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Lukas Oberlohr zu Besuch in der höchstgelegenen Redaktion der Stadt. Foto: Dolomitenstadt/Franz

Lukas Oberlohr zu Besuch in der höchstgelegenen Redaktion der Stadt. Foto: Dolomitenstadt/Franz

„Ich biete Sicherheit, nicht den Gipfel“

Der Kalser Lukas Oberlohr ist mit 22 Jahren einer der jüngsten Bergführer Österreichs. Ein Interview.

Lukas, beginnen wir bei der Aufnahmeprüfung zum Bergführer, wie ist diese gestaltet? Was kann man sich darunter vorstellen? 

Die Aufnahmeprüfung zieht sich über fünf Tage, an drei davon werden Winterdisziplinen, an zwei Tagen das Können im Sommer geprüft. Die Standorte wechseln von Jahr zu Jahr. Im Winter muss man Skifahren: Kurzschwünge, Langschwünge und eine Kombination aus beiden. Auch Steileis im Eispark und einen Eisparkour muss man klettern können. Hatte man die Prüfungen im Winter gemeistert, ging es weiter im Maltatal mit den Sommerdisziplinen. Dort musste ein leichter Parkour im Felsen mit Steigeisen absolviert und eine Route mit mobilen Sicherungsmitteln abgesichert werden. Schlussendlich muss ein Tourenbericht erstellt werden, mit dem Mindestanforderungen nachgewiesen werden können, wie beispielsweise das Klettern einer Wand, die mindestens 300 Meter im Alpinstil verläuft. Auch in den Westalpen musste man mal unterwegs gewesen sein. Nach zwei Jahren ist man bei positiver Absolvierung der Aufgaben dann Bergführer-Anwärter und darf offiziell in Begleitung führen.

Was sind Voraussetzungen, um die Ausbildung zu machen und wo findet diese statt? 

Man muss bergsteigerisches Eigenkönnen mitbringen. Bei der Ausbildung wird einem das ganze Führerwesen beigebracht, verschiedene Rettungstechniken und wie man mit Leuten in verschiedenen Situationen umgeht. Von 100 Personen schaffen zwischen 20 und 30 die Aufnahmeprüfung zur Ausbildung. Diese dauert dann drei Jahre. Insgesamt besteht sie aus 100 Ausbildungstagen. Nach jedem Kurs mit einem Schwerpunkt ist eine Prüfung zu absolvieren, die schließlich den nächsten Kurs zugänglich macht. Die Kurse der österreichischen Bergführerausbildung finden überall statt, nicht nur in Österreich. Der erste Felskurs beispielsweise war am Sella Pass in Südtirol, der Abschlusskurs in Chamonix in Frankreich.

Wieso hast du dich dazu entschieden, Bergführer zu werden?

Mein Papa war 20 Jahre lang Hüttenwirt auf der Stüdlhütte. In dieser Zeit war ich als Kind viel dort. Da oben geht es nahezu nur ums Bergsteigen. Die Bergführer reden auch untereinander über die Berge und die verschiedenen Touren. Bald bin ich auch mit meinem Papa mitgegangen, der hat mir dann die Basics gezeigt. Mit 12 Jahren habe ich schließlich zum ersten Mal einen Kletterkurs gemacht. Mit dem Kurs habe ich Sportklettern in der Halle und am Felsen begonnen. Beim Sportklettern geht es immer darum, schwer zu klettern. Das ist eine gute Trainingsbasis. Vor dem Bergsteigen habe ich also überwiegend geklettert, aber irgendwann habe ich auch mit dem Skitourengehen angefangen.

 „Das Schöne am Bergführer sein: Du bringst Leute an einen Ort, an dem sie von allein nicht hinkommen.“

Lukas Oberlohr

Dann hast du also früh mit dem Bergsteigen begonnen. Welcher war dein Erster und welcher der Häufigste, den du bestiegen bist? 

Der erste hohe Berg, den ich bestiegen bin, war der Großglockner. Da war ich sechs Jahre alt. Mein Papa hat mich mitgenommen, retrospektiv betrachtet war ich aber viel zu jung. Er hat es damals gut gemeint. Nachher gab es eine Zeit, in der nicht mehr bergsteigen wollte. Mit zehn allerdings hatte ich dann wieder Lust mitzukommen. Im Führungskontext bin ich am meisten am Großglockner unterwegs. Das ist auch praktisch, ich wohne in Kals und kann auch spontan problemlos in kurzer Zeit mit meinem Motorrad auf die Lucknerhütte fahren. Ich will aber auch mal herumkommen, vor allem als junger Bergführer ist das wichtig. 

Gebirgstechnisch bist du ja bereits herumgekommen. Du warst fünf Wochen lang in Patagonien. Wie ist es, dort, das Bergsteigen? 

Gemeinsam mit drei Freunden bin ich Anfang des Jahres dorthin geflogen. In Patagonien ist das Wetter sehr problematisch, da muss man Glück haben. Direkt nach unserer Ankunft gab es ein günstiges Wetterfenster, das wir gleich nutzen konnten. Wir haben uns gleich für eine Einstiegstour auf den Weg zu einem Nebengipfel der Fitz Roy Gruppe gemacht. Am Gipfel blickt man dann auf den Cerro Torre und denkt sich: Wow, wie eine kilometerhohe Nadel, die aus dem Nichts in die Höhe ragt. Das Wetter ist, wie zuvor erwähnt, sehr krass dort. Da gibt es Windstärken, die bei uns niemals zustande kommen, um die 200 Kilometer pro Stunde. Wenn man also in ein Wetter kommt, kann man nur hoffen, dass man das auch überlebt. Auch die langen Zustiege sind schwierig, zwischen 20 und 30 Kilometer muss man mit einem 30 Kilogramm schweren Rucksack am Rücken hinter sich legen, da man dort dann meistens ein Zelt und seine Base aufbaut, es gibt nämlich auch keine Hütten dort. Was fehlt, ist auch die Bergrettung. Es gibt keine Rettungskette, die man auslösen kann. Man ist da oben ganz auf sich allein gestellt. Es ist schon ein wenig befremdlich, da hochzusteigen und zu wissen, da ist niemand, der uns holen kann, wenn etwas passiert. Auch die Touren muss man alle selbst absichern, das ist schon richtiges Bergsteigen. Wir hatten im Vorfeld viel geplant, wovon wir aber nur zwei Touren haben realisieren können. Bei der zweiten Besteigung mussten wir aufgrund des Wetters zwei Seillängen unter dem Ziel, dem Gipfel abbrechen. Nächstes Jahr im Februar versuchen wir es wieder. Einmal ganz oben am Cerro Torre zu stehen, das wäre großartig, sofern uns der Berg lässt. 

Lukas beim Eisklettern im Innerglschlöss am Kesselfall. Foto:Privat

Du bist Vize-Staatsmeister im Eisklettern. Präferierst du die kalte Jahreszeit am Berg?

Das ist schwer zu sagen, beide Jahreszeiten haben ihren Reiz. Früher habe ich mir beim Skifahren schwerer getan als beim Klettern, das konnte ich immer schon gut. Aber mittlerweile stehe ich auch gerne auf den Skiern, einfach, weil ich es jetzt auch besser kann und dann macht es natürlich mehr Spaß. Eine weitere Leidenschaft von mir ist eben das Eisklettern. Denn mittlerweile komme ich im Sommer fast nicht zum Klettern, da bin ich arbeitstechnisch viel am Berg. Diese Hochzeit im Sommer muss ich nutzen, denn im November und Dezember ist wenig bis gar kein Bedarf an Bergführungen. Die Hauptsaison für Sommerhochtouren ist Juni bis Anfang Oktober.

Wie viele Touren hast du seit deiner Ausbildung bereits geführt? 

Am Anfang war ich viel am Großglockner. Letztes Jahr habe ich dort vielleicht um die 20 bis 25 Touren geführt. Dieses Jahr waren es vermutlich schon so an die 30. 

Bist du angestellt oder als selbstständiger Bergführer unterwegs? Wie kann man sich das vorstellen?

Ich habe vor Kurzem ein Kleingewerbe angemeldet, sozusagen bin ich also selbstständig. Als Bergführer kann man sich aussuchen wo, in welchem Gebiet man arbeiten will. Man muss sich eigenständig um alles kümmern und sich bei den verschiedenen Alpinschulen melden. Wenn diese Arbeit haben, vermitteln sie dich. Allerdings muss man für die gesamte Anreise und Unterkunft selbst aufkommen. Als gebürtiger Kalser bin ich im Moment noch viel in Kals. Das bietet sich einfach an. Vielleicht wird sich das aber bald ändern. 

Bei der Recherche sind mir die Ostalpen Guides untergekommen. Was hat es damit auf sich? 

Das ist ein Leader-Projekt, wir sind die Ersten in der Region, die so ein Projekt vorgestellt haben. Zwei Kollegen der Kalser Bergführer haben uns auf die Idee gebracht. Momentan kommt viel junger Nachwuchs. Insgesamt sind wir sieben Bergführer, von denen alle selbstständig unterwegs sind. Deswegen investieren wir zu siebt in dieses Projekt und schaffen uns gegenseitig eine Plattform. Wir arbeiten auch viel mit den Bergführern aus Kals zusammen und werden über sie vermittelt. Unsere Website soll, wenn sie fertig ist, eine Anlaufstelle für junge Bergführer sein. Es ist nämlich gar nicht so einfach, Arbeit zu bekommen, wenn man neu ist und keine Alpinschule im Rücken hat. Wir legen viel Wert auf das Miteinander, wir bauen das Projekt auch mit den Bergführern aus Heiligenblut auf. Unser Ziel ist es, die Berge in Osttirol, also die Ostalpen bekannter zu machen. Es sollen auch nicht immer nur der Großglockner und Großvenediger im Mittelpunkt stehen. 

„Es ist wichtig, auch einmal etwas anderes zu sehen als nur die heimischen Berge.“

Lukas Oberlohr

Wenn du nicht gerade auf dem Großglockner oder am Großvenediger führst, also auf Bergen arbeitest, die du kaum oder gar nicht kennst, wie gehst du dann vor?

Man muss die Touren viel genauer planen. Es ist ein Unterschied, wenn ich mich auf Bergen aufhalte, die ich seit meiner Kindheit kenne. In neuen Regionen fragt man dann beispielsweise auch viel andere, mit dem Gebiet vertraute Bergführer oder erfahrene Hüttenwirt:innen, worauf man aufpassen muss und was bei der Begehung zu beachten ist. Eine Bergkarte aus Papier verwende ich nicht. Das meiste habe ich am Smartphone, da gibt es Apps, in denen man sich Karten herunterladen kann, die dann auch offline verfügbar sind. Als Backup habe ich immer ein GPS-Gerät im Rucksack. Damit mache ich mir oft Tracks, das ist praktisch, wenn man zum Beispiel in ein Whiteout kommt, in dem man leicht die Orientierung verliert. Das braucht man manchmal auch in den heimischen Bergen, wo man sich eigentlich gut auskennt, denn dann ist alles um einen herum weiß, unten wie oben.

Wie stehst du zu den Gefahren des Bergsteigens?

Man kann es so und so betreiben. Ob ich jetzt aufs Goiselemandl in der Schobergruppe gehe oder woanders hin: Das ist im Endeffekt beides Bergsteigen. Die Spitzenliga treibt es ziemlich weit hinauf. Bei manchen ist die Tour wichtiger, die wollen unbedingt den Gipfel erreichen. Das ist dann wichtiger als das Leben. Nicht umsonst haben manche „Red Bull“ am Helm stehen. Das sind aber nicht meine Ambitionen, ich lebe ganz gerne. Ich bin gerne in den Bergen, aber es ist wichtig, dass alles im Rahmen bleibt. Natürlich bin ich auch schon oft wo gestanden und habe mir gedacht: Hier will ich eigentlich nicht sein. Aber das gehört dazu, aus solchen Situationen lernt man. In diesem Sport gehört auch viel Glück dazu. Man darf sich nicht übernehmen. Jeder Mensch hat seine eigene Risikobereitschaft.

„Was für den einen Wahnsinn ist, ist für den anderen erst der Anfang.“

Lukas Oberlohr

Bleiben wir bei den Gefahren. Was ist der häufigste Fehler am Berg?

Das Wetter unter- oder sich selbst zu überschätzen. Zurzeit sind vor allem Sommergewitter gefährlich. Aber immer mehr Leute gehen jetzt mit Bergführern. Das ist auch wichtig. Denn wenn etwas passiert, musst du wissen, was du machst. Da kennen wir uns gut aus, dafür sind wir schließlich ausgebildet.

Wie reagierst du, wenn jemand deine Expertise nicht anerkennt? Wie gehst du mit problematischen Gästen um? 

Am Berg bin ich einfach der Chef, vor allem bei sicherheitstechnischen Sachen. Es braucht eine gewisse Autorität. Als Bergführer bin ich ein Dienstleister, der anbietet, die Tour so sicher wie möglich zu machen. Natürlich versuche ich immer, auf die Leute einzugehen und ihnen einen schönen Tag zu bereiten. Aber ich biete ihnen in erster Linie Sicherheit, nicht den Gipfel. Wenn dieser nicht erreichbar für sie ist, dann sage ich das auch klar. Natürlich versuche ich dabei freundlich zu sein und auch einen Kulanzpreis zu verhandeln. Aber die Inanspruchnahme eines Bergführers ist keine Garantie, dass man es auf den Gipfel schafft. Es ist wichtig, die Gäste aufzuklären, warum man zu der Entscheidung kommt. Die meisten sehen es dann auch ein. 

Der junge Bergführer bei der Glocknerwandüberschreitung. Foto: Privat
Lukas beim Klettern an der westlichen Wand der Drei Zinnen, an der Scoiattoli-Kante. Foto: Privat

Wenn diese Sicherheit einmal nicht gewährleistet werden kann, wie gehst du mit schwierigen Situationen am Berg um? 

Das Wichtigste ist, ruhig zu bleiben. Die Situation ändert sich nicht, wenn man in Panik gerät. Man muss vor allem dann gewissenhaft vorgehen und darf nicht schlampig werden, nur um schnell aus der Situation zu kommen, denn das geht meistens nach hinten los. Vor allem beim Führen ist es unglaublich wichtig, solide zu bleiben. Man muss einen guten Umgang mit solchen Situationen haben und in manchen Fällen auch einfach ein wenig Schauspielen können.

Zurück zu deinem Ursprung und somit der Gretchenfrage: Von welcher Seite ist der Großglockner schöner? 

Natürlich von Kals! Nein, Spaß! Beide Seiten haben ihren Reiz und sind schön. Die Routen sind ein wenig unterschiedlich, aber gerade im Winter kann man an der Nordwand hervorragend Eisklettern, das geht dort top. Aber beide Seiten bieten coole Routen. Wir können froh sein, dass wir ihn haben, diesen Hügel!

Lea-Sophie Franz studiert und arbeitet in Wien. Nach dem Abschluss in Germanistik studiert die Lienzerin derzeit Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Sie schreibt für das Magazin Allerlei und für dolomitenstadt.at.

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