Von weitem höre ich bereits Gelächter und Rufe. Die Höhle des Löwen, wie das Graffiti des Raubtieres rechts der Eingangstüre vermuten ließe, erwartet mich nicht. Gleich vis a vis der offenen Eingangstüre sitzen zwei Jungs auf einem Sofa, bevor ich etwas sagen kann, begrüßen mich die beiden. Drei Schritte weiter stellen sich mir Melanie und Roland vor. Beide mit einem Stieleis in der Hand, kein Wunder bei der Hitze! Sie sind zwei von vier Betreuer:innen im Jugendzentrum Lienz. Die beiden helfen mir bei der Suche nach meinem Gesprächspartner, Wolfgang Walder.
Wir finden den Geschäftsführer und Leiter des Jugendzentrum Lienz gleich neben der Küchenzeile. Der große Raum, in dem wir nun stehen, erinnert an eine Wohnküche. Neben der Küchenzeile ist er mit einem großen Esstisch, einer langen, dunkelbraunen Sitzcouch, Getränkeautomat, Standcomputer und einem Tischtennistisch ausgestattet. Eben alles, was eine gut ausgestattete Wohnküche braucht. Unter der in den oberen Stock führenden Treppe befindet sich eine Gefriertruhe mit Eis, wie im Freibadkiosk unweit des Jugendzentrums.
Über diese Treppe führt mich der leitende Betreuer nun nach oben und beginnt mir von der Einrichtung zu erzählen. Ab der Hälfte versperrt ein dunkelroter Kordelzug den Weg. Zum Glück bin ich in Begleitung, denn im normalen Betrieb und ohne Aufsicht darf niemand den oberen Stock betreten. Schnell wird klar, weshalb. Das Geländer aus Beton erinnert an ein Balkongeländer. Einerseits also aufgrund der erhöhten Sturzgefahr. Andererseits wegen der oben gelegenen Räumlichkeiten, dem Kreativ- und dem Freiraum. Letzterer ist vermutlich besser ausgestattet als so manches Musikstudio. Alles, was man zum producen braucht: Computer, Lautsprecher, Gitarre, Loop-Station, Mischpulte. „Einige unserer früheren Besucher brauchen unsere Räumlichkeiten nicht mehr, um Musik zu machen. Sie legen jetzt in den Bars der Stadt auf“. Wolfgang nennt mir Namen, die momentan die Nacht-Szene von Lienz mit ihren rhythmischen Bässen wiederbeleben. Er zeigt mir mehrere Mischpulte und sagt, dass sie alle von ehemaligen Jugendlichen sind, die nun auf den Mischpulten und Playern der „Großen“ spielen, den Pioneers.
Bevor ich nicht mehr aus dem Staunen komme, führt mich Wolfgang in den Raum nebenan. Rechts an der Wand, gleich neben dem Eingang, befindet sich eine Werkbank aus hellem Massivholz, links ein deckenhohes Regal, schön beschriftet und sortiert. „Es ist wichtig, dass wir einen solchen Raum für handwerkliche Projekte haben, denn unsere Kids sind meistens sehr sprunghaft. Am einen Tag sind sie motiviert für ein Projekt, am anderen dann bereits nicht mehr.“ Ich erinnere mich an meine Jugend zurück und weiß, wovon er spricht. Durch den Raum und die vorhandene Ausstattung sind handwerkliche Projekte und Vorhaben immer und zeitnah realisierbar, ohne dass im Vorhinein ein externer Raum gebucht werden muss. Auch kleinere Reparaturen an Scooter, Skateboards oder Rädern können durchgeführt werden. Mir werden die zur Genüge vorhandenen Ersatzteile gezeigt.
Gegenüber des Treppenabgangs lässt ein bodentiefes Fenster den Blick auf die Terrasse zu. Diese wird überwiegend für Workshops verwendet, wird mir erzählt. Im Sommer sei es jedoch die meiste Zeit über zu heiß. Wir lassen den oberen Stock und den Kordelzug hinter uns und gehen, wieder im Erdgeschoss angekommen, entlang des Gangs nach hinten. Dieser führt zu den Räumlichkeiten, in denen sich die Kinder und Jugendlichen ohne Aufsichtsperson aufhalten dürfen: Musikraum, Fernsehraum, Sanitäranlagen. Neben den Toiletten gibt es auch noch eine Dusche. Die Jugendlichen würden allerdings die meiste Zeit Deo präferieren, wie Wolfgang schmunzelt. Man kann es ihnen nicht übel nehmen, ich persönlich präferiere auch meine Dusche zu Hause! In unmittelbarer Nähe der Sanitäranlagen gibt es noch Schließfächer und zwei Kästchen, die, zugänglich für alle, mit Pflegeartikeln ausgestattet sind. „Einer für die Mädels, einer für die Jungs“, bekomme ich erklärt, während wir kehrt um machen.
Auch ohne die Beschilderung kann ich erahnen, was sich hinter der Türe, die Wolfgang nun öffnet, befindet. Lauter Bass dröhnt durch die in hellem Grau lackierte Holztür. „Dort haben die Jugendlichen die Möglichkeit, sich musikalisch auszuprobieren und Musik zu erleben, wie die Älteren in den Clubs. Andere üben auch einfach Tänze für die anstehenden Kirchtage“. Von Elektronischer Musik bis Reggae, Schlager und Volksmusik ist alles dabei, erzählt mir Wolfgang. Der Raum erinnert tatsächlich an einen Club, er hat alles, was man zum Musik hören und Tanzen braucht. Genügend freie Fläche, Discokugel, Lichter, Wandspiegel, DJ-Pult, Boxen, Beamer und Leinwand sowie eine Couch, falls die Beine vom vielen Tanzen müde werden.
Gegenüber auf der anderen Seite drückt mein Begleiter die Klinke zum Fernsehraum nach unten. Als hätte Wolfgang einen Röntgenblick, prophezeit er mir, bevor er die Türe ganz öffnet: „Die Jungs spielen wahrscheinlich Fifa“. Und tatsächlich – Zwei Jungs sitzen mit Controllern in den Händen auf der Couch und fixieren den Screen vor ihnen. Trotz größter Konzentration blicken sie uns, bevor sie sich wieder ihrem Match widmen, entgegen und sagen Hallo. Die Wand hinter ihnen ziert eine besprayte Leinwand in grün, rot, gelb mit schwarzen Peace-Zeichen und der Phrase „Next Generation“. Hier können die Jugendlichen TV schauen, Playstation spielen oder einfach nur abhängen. Wem der Fernseherbildschirm zu langweilig wird, kann durch das Fenster draußen am Skatepark die rollenden Scooter und Skateboards beobachten.
Wir schließen wieder die Türe hinter uns und verlassen das Gebäude. Nun können die zwei Jungs im TV-Raum Wolfgang und mich am Skatepark beobachten, wie er mir die Graffitis und Geschichten dahinter erzählt. Der Skatepark gehört zu einer der Flächen in Lienz, an denen es erlaubt ist, zu sprayen. Die Jugendlichen können sich hier sowohl an den angrenzenden Wänden des Stadions als auch den Obstacles im Park künstlerisch ausprobieren. Auch das Gebäude des Zentrums selbst ist bemalt. Wohl alle, die am Jugendzentrum vorbeispaziert sind, dürften das Graffiti kennen, das ich meine – der bereits erwähnte Tiger, mit seinem rot leuchtenden Maul. Das Bild ist wahnsinnig beliebt, wird mir mitgeteilt. Sowohl bei den Kids selbst, als auch bei den mit ihren Rädern vorbeiwackelnden Italiener:innen. Wir betreten wieder das Gebäude.
Im Vorbeigehen blicken wir noch mal auf die Treppe zu unserer Rechten und Wolfgang ergänzt: „Der obere Stock wird auch für Einzelgespräche mit den Jugendlichen genutzt, falls diese sich bei der Besprechung eines Themas mit uns Ansprechpersonen mehr Privatsphäre wünschen“. Ein Gespräch haben wir zwei jetzt auch geplant, allerdings nicht im ersten Stock, sondern im Büro der Betreuer:innen. Hier haben wir durch zwei Glasfronten die ins Gebäude kommenden Personen im Blick und umgekehrt.
„Es ist wichtig, dass die Kinder einen Ort haben, an dem sie sich auch wohlfühlen können und der ihnen gerecht wird“
Wolfgang Walder
Die offene Jugendarbeit spiegelt sich auch in der Architektur des Hauses wider, wie ich finde. Meine Wahrnehmung wird bestätigt. „Offene Jugendarbeit gibt es in Lienz bereits sehr lange. Sie wurde ursprünglich im Jahr 1976 gegründet“. Das neue Haus am Rechten Drauweg wurde extra für diese Arbeit gebaut, „deshalb der offene Charakter“, erzählt mir mein Gesprächspartner. Trotz der vielen Fenster gibt es genügend Ecken und Räumlichkeiten, in denen die Jugendlichen sich zurückziehen können. „Insgesamt kann man genau dreimal durch das Gebäude hindurchblicken“. Vom Eingang bis zum angrenzenden Fußballplatz, vom Postkasten bis zum Schwimmbadparkplatz, der sich hinter dem Zentrum befindet und im oberen Stock bei den zwei Kreativräumen von Norden nach Süden und umgekehrt. „Das war für uns die Interpretation eines offenen Hauses“. Das vorherige Jugendzentrum am alten Standort, von dem mir Wolfgang erzählt, klingt nicht gerade einladend. Wer will schon freiwillig in der kalten Jahreszeit in einem Haus ohne Heizung abhängen? „Es ist wichtig, dass die Kinder einen Ort haben, an dem sie sich auch wohlfühlen können und der ihnen gerecht wird“, beteuert Wolfgang.
Offen ist auch die Türe zum Büro, in dem ich das Gespräch mit dem Leiter des Zentrums führe. Die Jugendlichen wissen, falls sie etwas brauchen, finden sie immer ein offenes Ohr. Während unseres Gesprächs blicken drei Jugendliche durch den breiten Türspalt und fragen Wolfgang nach Controllern, Billardkugeln oder anderem. Ich frage, wie der Zugang im Gebäude geregelt ist, ob sich die Besucher:innen bei den anwesenden Betreuenden an-, oder abmelden müssen. „Prinzipiell gehen sie ein und aus, wie sie wollen“, sagt mir Wolfgang. Der siebzehnjährige Nikolai bestätigt die Aussage: „Ich bin seit gestern eigentlich erst wieder da. Spontan nach dem Schwimmen habe ich mal wieder vorbeigeschaut“. Den Jugendlichen ist es selbst überlassen, ob sie kommen und wann sie gehen. Sich an- oder abmelden müssen sie sich also nicht. Auch vorstellen müssen sie sich nicht, wenn sie neu in der Einrichtung sind. „Viele Kids kommen gleich auf uns zu, manche andere nicht. Grundlage der Sozialpädagogik ist eigentlich die Beziehungsarbeit und die baut auf dem Prinzip auf, dass jede:r zunächst einmal machen kann, was er:sie will“.
Pro Tag bewegen sich um die 30 bis 50 Jugendliche im Haus, im Sommer aufgrund des Wetters weniger als im Winter. Die hohe und breite Besuchszahl schätzen auch der zwölfjährige Raphael und der 14-jährige Simon. Unter anderem nennen sie mir „weil man immer coole Leute trifft“ als Grund, weshalb sie gerne in das Jugendzentrum gehen. Auch der 15 Jahre alte Hamed schätzt sehr, dass er immer Freunde im Zentrum sieht.
Um die 150 Jugendlichen besuchen das Zentrum zurzeit insgesamt. Sie haben die Möglichkeit, sich Mitgliedsausweise ausstellen zu lassen, so können sie Utensilien wie Dartpfeile, Scooter, Longboards oder Billardkugeln innerhalb des Hauses ausleihen, wie mir auch später von den Jugendlichen erklärt wird. Nötig, um sich im Gebäude aufhalten zu können, sind diese Ausweise aber nicht. Im Jahr 2024 wurden bereits 400 Ausweise ausgestellt, in den letzten elf Jahren, die das Jugendzentrum jetzt bereits am neuen Standort geöffnet hat, wurden um die 1400 solcher Ausweise ausgestellt. Bei schlechtem Wetter oder im Herbst kann es schon mal vorkommen, dass sich am Tag bis zu 70 Jugendliche im Haus befinden. „Es ist wichtig, dass die Kids einen Raum haben, indem sie Kultur ausleben können, in dem sie auch laut sein können und dürfen“, sagt Wolfgang und verweist auf den Musikraum, „die Möglichkeiten beispielsweise in einer Siedlung so laut sein zu können, ohne dass es die Eltern oder Nachbarschaft stört, sind in den meisten Fällen begrenzt“.
Doch Regeln, an die man sich halten muss, gibt es auch hier. Wenn auch nicht viele: „Es gibt ganz wenig Regeln, die es braucht, um gut miteinander leben zu können“. Im ganzen Haus gibt es keine geschriebene Hausordnung, erzählt mir der Betreuer. „Wir leben sie, das ist uns wichtig“. Die Kids geben die Regeln weiter und schreiten in den meisten Fällen selbst ein, wenn sie Fehlverhalten anderer wahrnehmen. „Wir sind an und für sich wie eine große Familie und das gegenseitige Akzeptieren macht es möglich, das miteinander leben.“ Gelegentlich müssen die Betreuer:innen des Jugendzentrums dann doch manchmal Schiedsrichter:in spielen, indem sie eine vermittelnde Rolle einnehmen. Sie leisten Aufklärungsarbeit und ermitteln mit den Betroffenen, weshalb ihre Aussagen oder ihr Verhalten problematisch sind.
Sollten Situationen für die Gemeinschaft nicht mehr tragbar sein, handelt das Betreuer:innen-Team in Eigenverantwortung. Hierbei entscheidet das anwesende Team, wie darauf zu reagieren ist. Das Jugendzentrum hat, wie andere pädagogische Einrichtungen, ein Schutzkonzept, nach dem zu handeln ist und das ein gutes und sicheres Miteinander gewährleistet. „Es soll ein sicherer Ort sein. Für jede:n“. Bei gröberen oder mehrmaligen Verstößen wird der Sachverhalt in den monatlichen Teamsitzungen mit allen Betreuer:innen besprochen. Daraufhin gibt es Teambeschlüsse, bei denen man sich einigt, ob und wie lange jemand das Jugendzentrum nicht mehr besuchen darf. „Sie sehen unsere Entscheidung in den meisten Fällen ein“, so Wolfgang.
„Es soll ein sicherer Ort sein. Für jede:n“
Wolfgang Walder
Auf meine Frage nach einem typischen Tag im Jugendzentrum antwortet Wolfgang mit einem Lachen. „Ich arbeite jetzt knapp 30 Jahre in der offenen Jugendarbeit und nein, einen typischen Tag, den gibt es nicht! Am Vormittag kann man nicht sagen, was am Nachmittag los ist.“ Jeder Tag im Haus ist so bunt wie die Charaktere darin. Haben die Betreuer:innen Workshops geplant, laufen diese parallel zum regulären, offenen Betrieb. Meistens sind zwei Betreuer:innen anwesend, so ist gewährleistet, dass auch für Kinder, die keine Lust auf geplantes Programm haben, eine Ansprechperson im Haus ist, die Zeit für sie hat. „Wir haben Montag bis Samstag von 15:00 bis 20:00 Uhr offen, bis auf zwei Wochen im Sommer, in denen wir Revisionsarbeiten durchführen“, klärt mich Wolfgang auf. Diese zwei Wochen, in denen der Betrieb geschlossen ist, sind wichtig, da die Computer zurückgesetzt und gewisses Inventar, wie beispielsweise der Billardtisch, repariert und instand gesetzt werden muss.
Woran das Jugendzentrum nicht regelmäßig arbeiten muss respektive will, ist seine mediale Präsenz. „Wir haben lange darüber nachgedacht, ob und wie wir uns online präsentieren.“ Die Homepage des Zentrums ist etwas Statisches, das benötigt wird, um nachlesen zu können, welche Personen mit welcher Ausbildung im Haus arbeiten, wann dieses geöffnet ist und welches Konzept darin gelebt wird. Die Jugendlichen, die die Einrichtung besuchen, interessieren diese Informationen aber nicht, wie mir versichert wird. „Wichtig für sie ist, dass jemand für sie da ist.“
Was mich überrascht: Soziale Medien seien für die Kids im Zusammenhang mit dem Jugendzentrum irrelevant. Bei ihnen läuft alles über Mundpropaganda, sie organisieren sich selbst und wissen, wo welche Einrichtung geöffnet hat. Dennoch wird mir angekündigt, dass das Projekt Social Media in Zukunft wieder Thema wird. Nach einer gewissen Zeit jedoch werden diese Kanäle meist träge, wie man auch an Profilen anderer Jugendzentren erkennen kann. „Es liegt einfach daran, dass es die Kids nicht interessiert. Meist sind es die Erwachsenen, die sich ein Bild davon machen wollen, was bei uns abgeht oder auch nicht“. Wolfgang erzählt mir, dass soziale Medien im einzelnen Kontext keinen so großen Platz im Haus einnehmen.
Die Kinder würden, wenn sie gelegentlich eine Auszeit vom Trubel brauchen, eher Spiele auf ihren Smartphones spielen. Auch sämtliche Versuche, Projekte im Haus über WhatsApp zu organisieren, seien mehr oder weniger gescheitert. Auch hier scheint die interpersonelle Kommunikation zwischen den Jugendlichen im Vordergrund zu sein. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als man noch persönlich zu den einzelnen Freund:innen gehen musste, wenn man spielen oder abhängen wollte und niemand am anderen Ende vom Hörer das Festnetztelefon abhob.
Der 17 Jahre alte David bestätigt: „Wir haben hier in Lienz mit dem Jugendzentrum die Möglichkeit, uns mit unseren Freunden zu treffen. Es sind meistens immer dieselben Leute hier, da muss man nicht groß im Vorhinein ausmachen, dass man sich hier trifft“. Die mobile Jugendarbeit, die keinen solchen fixen Standort hat, arbeite mehr über digitale Kommunikationskanäle, wie mir Wolfgang erklärt. Das Haus am Rechten Drauweg fungiert also wortwörtlich als Zentrum für 12- bis 19-Jährige.
Doch was, wenn diese zu jungen Erwachsenen werden? Ich kann mir vorstellen, dass der Abschied von einem Ort und seinen Menschen schwierig ist, wenn man dort viele Stunden und Tage seiner Freizeit verbracht hat. Ich werde eines Besseren belehrt. „Die Interessen der Jugendlichen werden zunehmend anders. In Jugendzentren in Österreich gilt überall Rauch- und Alkoholverbot. Früher oder später wird das Ausgehen für die Jugendlichen interessant und sie stehen lieber in der Zwergergasse als Billard spielend im Jugendzentrum“. Die Besucher:innen scheinen also aus den Räumlichkeiten und Aktivitäten des Zentrums herauszuwachsen, wie aus ihren alten Kinderschuhen. Dennoch gibt es auch Jugendliche, die etwas länger brauchen, um sich zu verabschieden. „Das Ablösen von allein funktioniert in der Regel sehr gut und ohne Probleme.“ Benötigen ältere Jugendliche, zwischen 18 und 19 doch länger, um sich zu verabschieden, so sprechen die Betreuenden mit ihnen darüber und lassen ihnen genügend Zeit. Doch egal, wie lange der Abschied gedauert hat, immer wieder werden die Betreuer:innen von ehemaligen Jugendlichen besucht.
„Früher oder später wird das Ausgehen für die Jugendlichen interessant und sie stehen lieber in der Zwergergasse als Billard spielend im Jugendzentrum“
Wolfgang Walder
Doch wer sind die Jugendlichen, die das Jugendzentrum aufsuchen? Zu einem großen Teil haben die Besucher:innen viel Tagesfreizeit, wie mir erzählt wird. Das Angebot der Einrichtung nehmen vor allem Kinder und Jugendliche wahr, die nicht Teil eines Sport- oder Kulturvereins sind. „Es gibt sehr viel verbandliche Jugendarbeit im Raum Osttirol. Die offene Jugendarbeit ist im außerschulischen Bereich tätig. Es gibt sehr viel Vereine, wie beispielsweise Fußballvereine, die großartige Arbeit leisten!“. Jugendliche, die Teil solcher Vereine sind, werden aus der Erfahrung der Betreuenden aber höchstwahrscheinlich nicht in das Jugendzentrum kommen. Ich spreche manche Vereinskulturen an, die sich bewusst von anderen Vereinen und deren Mitgliedern abgrenzen. „Klar, hier bei uns ist es einfach städtischer“, antwortet mir mein Gesprächspartner. „Wir haben natürlich auch Mädels und Jungs hier bei uns, die in einem Sportverein sind, aber eben auch solche, die nicht Teil davon sind. Wir sind bunt gemischt.“
Das Jugendzentrum bietet den Jugendlichen und Kindern also einen Ort, an dem sie Zugehörigkeit und Gemeinschaft erleben. Primäre Aufgabe ist es, Räume zur Verfügung zu stellen, in denen die Kids sich ausleben können. Neben dieser gehören im Auftrag des Landes auch die Jugendschutzberatungen im Bezirk Lienz. Seit 2003 sprechen die Mitarbeiter:innen des Vereins hinter dem Jugendzentrum, aber auch jene der mobilen Jugendarbeit mit Minderjährigen nach Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz. Aufgrund von Platzproblemen wurden die Beratungsgespräche jedoch in Büros oberhalb der Stadtbücherei in Lienz ausgegliedert.
„Man hat früher bei dieser Arbeit mit Sicherheit mehr Randgruppenarbeit geleistet.“
Wolfgang Walder
Ich spreche existierende Vorurteile an. „Man hat früher bei dieser Arbeit mit Sicherheit mehr Randgruppenarbeit geleistet. In Österreich ist sie Mitte der 70er groß geworden mit Einrichtungen in Wien oder in Vorarlberg, mit dem Z6 in Tirol beispielsweise.“ Lienz sei die drittälteste Einrichtung in ganz Tirol, wird mir gesagt. „Viele der Kinder und Jugendlichen kommen einfach in das Zentrum um Zeit zu verbringen und sich mit ihren Freund:innen zu treffen wenn sie keine anderen Möglichkeiten haben.“ Mitunter Schuld an voreingenommenen Meinungen gegenüber solchen Einrichtungen sei die Politik, wie der Betreuer meint. Die offene Jugendarbeit sei seitens der Politik lange Zeit an den Rand geschoben und belächelt worden. Jugendliche bekommen in vielen Gemeinden immer noch überwiegend Kellerräumlichkeiten. Es braucht Akzeptanz, politischen Willen und ausreichend finanzielle Möglichkeiten, um Jugendlichen das zu bieten, was ihnen gebührt. „Dieses Vertrauen wurde uns geschenkt. Uns wurde gut zugehört und dann auch dementsprechend investiert“, meint Wolfgang anerkennend.
Finanziert wird die Einrichtung ausschließlich vom Land Tirol und der Stadt Lienz. Ein Drittel übernimmt das Land Tirol, die restlichen zwei Drittel die Stadt Lienz. Das Verhältnis der Kostenübernahme ändert sich jedoch von Jahr zu Jahr, klärt mich Wolfgang auf. Die Einrichtung erhält aber auch Zuwendungen verschiedener Serviceclubs. Mit diesen wird beispielsweise das Weihnachtsfest im Zentrum finanziert. Doch auch Sachspenden werden dankend angenommen, Wolfgang verweist auf die Deodorants, die im Zentrum als Hygienemaßnahme von vielen Kids präferiert werden und schmunzelt erneut. Die Grundfinanzierung des pädagogischen Personals beziehungsweise des Sachaufwands wird jedoch zu 100 Prozent aus öffentlicher Hand finanziert. Das ist notwendig, denn finanzielle Stabilität und Sicherheit in einem solchen aufwendigen Arbeitsfeld ist unglaublich wichtig. Die Förderverträge werden jährlich verhandelt, so kann das Budget im Voraus geplant werden.
„Die Betreuenden sind immer für uns da und müssen uns tagtäglich aushalten. Sie haben meinen größten Respekt!“
David, Besucher des Jugendzentrums
Die Kinder und Jugendlichen ziehen ganz unterschiedliche Aspekte für sich aus dem Jugendzentrum und der dortigen Gemeinschaft, bekomme ich erklärt. Wolfgangs Aussage bestätigt sich später im Gespräch mit einigen Jugendlichen, die an diesem Tag im Jugendzentrum sind. „Das Wichtigste in einem Jugendzentrum ist, dass immer jemand da ist für die Jungen“, sagt mir der Betreuer. Diese Tatsache scheinen auch die Jugendlichen zu schätzen. Nikolai und David nennen unter anderem die Betreuer:innen als einen der Gründe, wieso sie gerne in das Jugendzentrum kommen. Dankbarkeit äußert auch der siebzehnjährige David, der grinsend meint, die Einsicht sei erst mit dem Alter gekommen: „Die Betreuenden sind immer für uns da und müssen uns tagtäglich aushalten“, scherzt er. „Sie haben meinen größten Respekt!“
2 Postings
Eine großartige Einrichtung! Danke an alle, die sich hier für die Jugendlichen einsetztn!
wow, 1 Nichtzustimmer....muss eine verbitterte Person dahinterstecken.... @Medan, bin ganz Ihrer Ansicht!
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