Mir gegenüber auf der überdachten Parkbank sitzt Felix. Anstelle zweier Bierdosen steht, am mit Asche vergangener Besucher:innen verschmutzten Holztisch, mein Aufnahmegerät vor uns. Wir sprechen über Olympia, das Nichts-Tun, Systemrelevanz, Spaziergänge als Notwendigkeit und (Verkaufs-)Kunst. Vor allem aber fragen wir uns des Öfteren: „Wie sind wir denn hier gelandet?“
Zu Beginn lautet die erste Frage jedoch: Wer ist Felix Hell? Und wer ist der Künstler Felix Hell? „Als Künstler? Schwierige Frage.“ Und als Mensch? „Auch eine schwierige Frage. Vielleicht bin ich deshalb Künstler, um das herauszufinden“, lacht Felix. Er fügt hinzu, er habe sehr sprunghafte Interessen und meistens eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne. Wenn ihn ein Thema jedoch interessiert, lässt sich Felix voll und ganz darauf ein. „Und das Schöne an der Kunst ist: Ich kann mir aussuchen, mit was ich mich beschäftigen will.“ Im Rahmen seines Studiums an der Universität für Angewandte Kunst bei Hans Schabus in Wien kann Felix facettenreiche Themen behandeln.
„Und das Schöne an der Kunst ist: Ich kann mir aussuchen, mit was ich mich beschäftigen will“.
Felix Hell
Ich bitte ihn, mir seine Kunst zu beschreiben. Auch bei dieser Frage lacht Felix und beginnt mir von einer Situation während der Aufnahmeprüfung vor zwei Jahren zu erzählen. Die Aufgabe bestand darin, eine räumliche Szene in einem Satz zu beschreiben und zu begründen, warum er sie gewählt hat. Beschrieben hat er damals eine Szene am Wiener Donaukanal. Wir landen beim Element Wasser. „Ich mag den Schwebezustand. Das schwerelose Treiben, das gefällt mir.“
Felix erzählt mir vom stundenlangen Schnorcheln im Meer. „Das ist ein Moment, in dem man alles komplett vergisst.“ Man befinde sich beim Schnorcheln zwischen zwei Welten. „Man taucht in eine andere Welt ein und ist doch nur an der Oberfläche“. Die Begeisterung für Wasser und die darin lebenden Wesen zeigt sich auch in einem seiner Werke: Zwei Fische aus Eis, die er mit Wasser aus dem Donaukanal gegossen hat. Dargestellt ist der in der Donau lebende Huchen, der Fisch des Jahres 2023. Mit der Zeit verschwinden die Eisskulpturen ebenso wie die Fischart selbst, denn durch Uferverbauungen gehen wertvolle Laichplätze verloren.
Nach längerem Überlegen kommt Felix dann doch noch auf meine Frage zurück. Natur und Tiere seien in seiner Kunst immer in einer gewissen Form enthalten. Auch das Verhältnis Natur und Mensch. „Die Abgrenzung von Mensch und Natur finde ich spannend. Das ist fast schon ein Gott gleicher Zustand, wenn man sagt Mensch und Natur. Der Mensch zerstört die Natur und doch ist er ja Teil eben jener, obwohl er sich abzugrenzen versucht.“
„Ich glaube künstlerische Ausbildung wird immer ein wenig missverstanden. Künstlerische Ausbildung ist der Diskurs unter Menschen, die das gleiche Interesse haben. Und irgendwie die Welt auf ähnliche Weise sehen. Und der Austausch zwischen diesen Menschen untereinander ist vielleicht künstlerische Ausbildung.“ Felix erzählt mir von seiner Großmutter, die einen ganz anderen Kunstbegriff hat als er und viele andere. „Für sie ist ein handwerklich gut gearbeitetes Bild gute Kunst. Mit moderner Kunst kann sie wenig anfangen.“ Mit Kunst verhalte es sich wie mit Erfindungen, meint Felix. „Wenn jemand etwas erfindet, dann ist es etwas Neues. Und das ist die Kunst für mich: etwas Neues.“ Man könne dabei Grundlagen von anderem einbauen, ohne dass es etwas Gleiches ist, das schon bereits da war. Ich frage Felix: „Denkst du, dass in Zukunft alles bereits einmal da gewesen sein wird?“ „Diese Frage stelle ich mir oft. Ich denke, das ist die Krankheit einer jeden Epoche. Das hat es immer schon gegeben, diese Frage nach der Möglichkeit des Neuen. Bis es etwas Neues gibt.“
„Ich vergleiche die Kunst immer mit Sport.“ Olympia sei in gewisser Weise wahnwitzig, meint Felix. „Jemand trainiert ein Leben lang, um ein Gewicht zu heben. Da arbeitet man sein Leben lang dafür, um einmal in vier Jahren bei den Olympischen Spielen ein Gewicht in die Luft zu stemmen.“ Er betont, dass er das nicht anzweifeln, sondern gegenüberstellen möchte. Auch das professionelle Skifahren beispielsweise würde sehr glorifiziert, die Fahrer:innen fast schon als Volksheld:innen gefeiert. Als Kunststudent:in werde man oft schief angeblickt und gefragt: „Was kann man denn damit machen?“, meint Felix und fragt sich: „Was kann man denn als Skifahrer:in machen? Skifahren.“ Wir sprechen über Systemrelevanz und Lobbyismus hinter Sportevents und deren Akteur:innen. „Ich finde es spannend, dass es in der Gesellschaft so viel Platz für alles gibt. Also auch für so etwas wie Kunst und Sport.“ In gewisser Weise sei alles in der Gesellschaft systemrelevant, so Felix.
„Ich finde es spannend, dass es in der Gesellschaft so viel Platz für alles gibt. Also auch für so etwas wie Kunst und Sport.“
Felix Hell
Ich frage nach den Themen, die den jungen Künstler beschäftigen. „Eigentlich all das, worüber wir eben gesprochen haben.“ Er erzählt mir von einer bevorstehenden Ausstellung im September, in deren Rahmen die ausstellenden Kunstschaffenden sich mit dem Thema Fußball befassen. Felix zeigt mir erste Skizzen und Bilder seiner Ideen. Er will die Verklärung des Sports infrage stellen und plant, die Besuchenden der Ausstellung Torjubel mit anderen Augen sehen zu lassen. Obwohl es bei der Ausstellung um Fußball geht, will er das Objekt der (Volks-)Begierde nicht in den Vordergrund stellen.
Wesentlicher Bestandteil seiner kreativen Schaffensprozesse sei das Prokrastinieren. Kunst braucht Zeit, sowohl beim Schaffen als auch der Rezeption. „Ich dümple ganz oft vor mich hin und habe keine konkreten Ideen im Kopf. Auf einmal sehe ich etwas und dann ist sie da, die Silhouette einer neuen Idee.“ Das ewige Warten sei manchmal nervig. Er sei wie ein Vulkan, meint Felix. Es staut sich etwas an und irgendwann bahnt es sich seinen Weg nach draußen. „Wenn ich mich dazu entscheide, etwas zu machen, dann richtig. Ich bin ein Badewannen-Mensch“. Der junge Künstler lässt sich ganz auf Situationen ein.
„Man kann in und mit der Kunst Fragen stellen"
Felix Hell
Die Themen kommen immer zufällig. Dennoch: Natur und Mensch würden immer bleiben, meint Felix. „Das Verhalten von Menschen und Tieren, das finde ich immer ganz spannend“. So wie die Themen, ergeben sich auch die Materialien, mit denen der junge Künstler seine Ideen realisiert. Diese wandeln sich oft, mir wird von verschiedenen Versionen einer Idee erzählt. Statt ‚am Anfang war das Wort‘ gilt bei Felix ‚am Anfang war das Konzept‘: „In dem Konzept kristallisiert sich heraus, welches Material ich verwenden muss“. Er beschränkt sich nicht von Beginn eines Projekts auf ein Material. Somit ist er flexibler als andere, die sich auf einen Werkstoff beschränken. „Dafür wäre ich auch einfach zu sprunghaft und viel zu schnell gelangweilt.“ Eine Zeit lang sei er hyperfixiert auf ein Material, aber nach einer gewissen Zeit sei das Kapitel irgendwann abgeschlossen, lacht Felix. Dennoch frage ich ihn, für welches Material er sich entscheiden würde, wenn er für den Rest seines Lebens nur noch eines verwenden könnte. Trotz seiner Spezialisierung auf Skulptur und Raum an der Universität bekomme ich die Antwort: „Zeichnen!“.
Ein Problem bei der skulpturalen Arbeit sei die Materialbeschaffung, meint der junge Künstler. Zum einen der finanzielle Aspekt, zum anderen die Verpflichtung, die man damit einer Idee gegenüber eingeht. Um sicher zu gehen, dass er eine Idee auch tatsächlich im Raum realisieren will, zeichnet Felix im Vorhinein unzählige Skizzen und verfasst Texte, in denen er die Idee ausführt. Ich frage nach Vorbildern oder Epochen, an denen er sich orientiert und die ihn inspirieren. „Die alten Meister – Da Vinci, Rembrandt zum Beispiel – das sind alles nur Namen, das ist alles unglaublich lange her. Ich bin so frei, vielleicht auch egoistisch in der Hinsicht, und kann sagen, das ist irrelevant für meine Kunst.“
Felix betont, er sei zu neu, zu jung im Kunstbetrieb, um ein fundiertes Urteil darüber abgeben zu können. Nach zwei Jahren, die er sich jetzt in der Kunstszene befindet, würde er langsam in die Abläufe hineinkommen, in die Prozesse und die Tatsache, dass man seine Kunst auch ausstellt. Wir sprechen über sein Werk, das bis Ende August in der Kunstwerkstatt zu sehen ist. Das Bild ist groß, das sei bereits problematisch. Es liegt am Boden platziert im Ausstellungsraum, erinnert an einen Teppich. „Wer legt sich zuhause schon ein Bild auf den Boden?“, fragt Felix. Er scheint Kunst in Verkaufskunst zu unterteilen. „Viele Sachen, die man macht, haben ein cooles Konzept und lassen sich toll im Ausstellungsrahmen präsentieren, aber die sind nicht verkaufbar.“ Mit der Kunst betrete man einen Bereich, der manchmal auch fernab der realen Welt ist.
Ich frage, ob man kritischer mit seiner Kunst umgeht, wenn man sie ausstellt. Der junge Künstler möchte vor allem Werke ausstellen, hinter denen ein Konzept und eine Idee stehen. Die Ausstellung sei ein vulnerabler Moment. Er brauche jedoch keine fremden Betrachtenden, um seine Arbeit kritischer zu sehen, denn er sei selbst bereits kritisch. „Die Zweifel kommen schon so drei Mal am Tag.“ Das Zweifeln sei Grundlage seiner Kunst, schmunzelt Felix. Man müsse nicht immer alles beantworten können: „Man kann in und mit der Kunst Fragen stellen“, das sei das Schöne.
Die Arbeiten von Felix Hell und anderen jungen Künstler:innen sind noch bis zum 29. August in der Kunstwerkstatt Lienz, Mühlgasse 8a im Rahmen der Ausstellung „Nähen" zu sehen.
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