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Zum Fürchten: Über Gotteswahn und Leitkultur 

„Du nix essta den Schweinfleisch, du nix trinkta Schpritzta mit Chef!“

Neulich hat Dolomitenstadt uns das Fürchten gelehrt. Das Fürchten um die Österreichische Volkspartei. Der einstigen politischen Kraft mit Tiefgang wurde ein Niedergang mit politischer Kraft in Aussicht gestellt, sollte sie nicht ehebaldigst ihren moralischen Kompass und ihre christlichen Wurzeln bemühen. Und dann wurde, knapp vor der Europawahl, auch noch die Fronleichnamsprozession abgesagt!

Das Fürchten war grundlos. Schließlich ist der Niedergang einer österreichischen Partei nicht am Absturz gegenüber dem letzten Ergebnis zu messen, sondern am Abstand zur FPÖ. Und der ist der üblen Nachrede nicht wert – glaubt eine österreichische Partei, die das Glauben von ihren christlichen Wurzeln her kennt.

In meiner Kindheit, soweit ich mich eben zurückzuerinnern imstande bin, wurden von der katholischen Kirche neben gewöhnlichen Sonn- und gesetzlichen Feiertagen noch ein paar außergewöhnliche Feste gefeiert: der Ostersonntag zu Ostern, der Pfingstsonntag zu Pfingsten, der Christophorus Sonntag knapp vor dem Urlaub, weil danach mit den unfallfreien Kilometern kein großes Geschäft zu erwarten war, der Portiunkula Sonntag Anfang August und der Christkönigsonntag Ende November. Der Wahlsonntag konnte, wenn die Astrologie es erlaubte, im Kirchenjahr sogar mehrmals stattfinden.

Das Herzstück der Wahlsonntagsliturgie bestand darin, dass der Pfarrer von der Kanzel herab mit Nachdruck seine Wahlempfehlung verkündete. Die Beichtstühle wurden kurzerhand zu Wahlkabinen umfunktioniert und die Gläubigen bekamen das Kreuz ausnahmsweise nicht auf die Stirn, sondern auf jenen Abschnitt des Blattes Papier, der mit den Buchstaben ÖVP gekennzeichnet war. Fehlte nur noch, dass man zum Schluss die Stimmzettel verbrannte und schwarzer Rauch vom Kirchturm aufstieg.

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Das Herzstück der Wahlsonntagsliturgie bestand darin, dass der Pfarrer von der Kanzel herab mit Nachdruck seine Wahlempfehlung verkündete.

Das Kirchenjahr 1970 stand unter keinem günstigen Stern. Je mehr der Wahlsonntag seinem Ende sich näherte, desto deutlicher begann der Rauch die Farbe zu wechseln. Die Abendmesse wurde nur deshalb noch heil über die Bühne gebracht, weil der Professor Bruckmann, der Hochrechner des Österreichischen Rundfunks, zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage war, ein valides Ergebnis auf seine Schiefertafel zu schreiben. Als Sieger ging schließlich einer hervor, den die katholische Kirche bisher allenfalls von der Karfreitagsfürbitte her kannte. Im Jahr darauf erlangte er zwar nicht die Absolution, dafür aber die Absolute, und von da an unterließ es die katholische Kirche, ihre Gläubigen mit Wahlempfehlungen zu versorgen.

Seither läuft die Österreichische Volkspartei ihrer christlichen Identität hinterher, die Lukas Resetarits schon in den frühen Achtzigern negativ definiert hat: „Du nix essta den Schweinfleisch, du nix trinkta Schpritzta mit Chef!“ Jetzt hat der Chef eine Leitkultur in Auftrag gegeben, die Zuwanderern Zuflucht gewähren soll. Bassam Tibi, der den Begriff in den migrationspolitischen Diskurs eingeführt hat, versteht darunter weniger die Assimilation von Getränke- und Speisekarten als vielmehr die bedingungslose Anerkennung westlicher Werte, die er auch für seine Idee vom „Euro-Islam“ geltend macht: Demokratie, Menschenrechte, die Gleichheit von Mann und Frau und die Trennung von Kirche und Staat.

Was predigt dieser Mann? Hass oder Humor? Häresie oder Harmonie? Dolomitenstadt-Leser:innen wissen es. Foto: Rudi Ingruber

„Das ist Euro. Wo ist Islam?“ kritisiert Hamed Abdel Samad, der die Idee mit einem Burkini vergleicht. Der ehemalige Imam und Moslembruder glaubt weder an den europäischen noch den arabischen Gott. Er sitzt im Beirat der Giordano Bruno Stiftung, einer gottlosen Initiative von Humanisten, die fest davon überzeugt sind, dass gesellschaftliche Leitbilder heute ohne die vor ein paar tausend Jahren erzählten Legenden auskommen sollten. „There is (probably) no God“ wurde im Namen der Leitfigur des „New Atheism“, Richard Dawkins, in Großbritannien verkündet. „Glaubst du noch, oder denkst du schon?“, war die Frage, die man dem deutschsprachigen Mitbürger stellte.

Man müsse dem Ruf des Muezzins mit dem Angelusläuten und dem dazugehörigen, jedoch weitgehend aus dem aktiven Wortschatz der Katholiken verdrängten Gebet übertönen, empfahl vor einigen Jahren ein Pfarrer in Lienz. Allerdings musste er wissen, dass einen mit Worten geführten Glaubenskrieg der mit den besseren Argumenten gewinnt und nicht der, der am lautesten schreit. Auch nicht der, der das letzte Wort hat. Jesus ist das Wort Gottes. Der Koran ist das letzte Wort Gottes.

Der Glaube an einen Gott ist für den Islam wie für das Christentum konstitutiv, doch es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Muslime und Christen an ein und denselben Gott glauben. Es ist daher aussichtslos, eine Angleichung der beiden Modelle oder ihren Austausch zu wagen. Nur im Christentum ist Jesus ein Gott und Gott auch ein Mensch. Also setzt man beim Menschen an.

Wie soll eine Anpassung, deren Scheitern gefühlt zwei Drittel der autochthonen Bevölkerung mit der Ausreise nach Ruanda bedrohen würde, ausgerechnet Migranten muslimischen Glaubens gelingen?

„Integration heißt Anpassung“, wurde seitens der ÖVP in letzter Zeit immer wieder verlautet, und gestatten Sie mir, dass ich mich jetzt fürchte. Wie soll eine Anpassung, deren Scheitern gefühlt zwei Drittel der autochthonen Bevölkerung mit der Ausreise nach Ruanda bedrohen würde, ausgerechnet Migranten muslimischen Glaubens gelingen? Indem man ihnen ein Konto bei der Raiffeisen, die Garderobe von der Freiwilligen Feuerwehr, vom Schützen- oder vom Krampusverein und womöglich noch einen weißen Anstrich zum Sternsingen verpasst?

An diesem Punkt erübrigt sich das Konzept der Integration wohl von selbst. Doch anstatt resignierend das Feld den Rechten zu überlassen, könnte man auch auf ein zukunftstauglicheres Terrain wechseln, das man derzeit höchstens für harmlose Ablenkungsmanöver benutzt: „Inklusion“ heißt „Einschließen“ – und, wenn vom Strafgesetz angezeigt, meinetwegen auch „Einsperren“ – und ist nicht auf ein hierzulande permanent mit Füßen getretenes Privileg an der gleichberechtigten Teilhabe behinderter Schülerinnen und Schüler begrenzt. Inklusion ist die (Heraus-)Forderung, die Anpassung nicht von der Minderheit der „Anderen“, sondern von der Mehrheitsgesellschaft verlangt.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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9 Postings

r.ingruber
vor 2 Wochen

Danke den Diskutierenden, aber eigentlich wollte ich weiter nichts, als der ÖVP ein Türchen öffnen. Meine Gedanken zur Inklusion habe ich in den Randnotizen schon mehrfach geäußert, aber natürlich wären z. B. Dawkins' miserabel begründeter Atheismus oder Kants schon zu seinen Lebzeiten kritisierter Rassismus auch der einen oder anderen Zeile wert.

 
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    Bahner Bernd
    vor 2 Wochen

    Selber Schuld s.g. r.ingruber , wenn Sie selbst immer wieder Gedanken zu verschiedenen auch weltanschaulichen Themen anklingen lassen. Rassistische Äußerungen Kants ua. in seiner "Anthropolgie" werden immer wieder disktutiert, haben aber im Gegensatz zum Vermächtnis seiner Ethik und seiner Erkenntnistheorie letztlich eine untergeordnete Bedeutung. Die Prinzipin seiner Moralphilosophie sind alles andere als inhärent rassistisch und haben die Entwicklung der Menschenrechte in ihrer Universalität entscheidend vorangebracht. Kant hat auch die Sklaverei und den Kolonialismus entschieden abgelehnt, und war Bewunderer der französischen Revolution ( obwohl er eigentlich Revolten als politisches Mittel abgelehnt hat ) .Kant war eben auch als ein Kind seiner Zeit durch alle möglichen Stereotypien geprägt. So hatte er in verschiedenen Lebensphasen anscheinend auch Probleme, alle Völker dieser Erde , die Fähigkeit dieser Ethik gerecht zu werdene, gleichermaßen zuzugestehen. Kant selbst sagte : wir leben in einem Zeitalter der Aufklärung, aber noch nicht in einem aufgeklärten Zeitalter.

     
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Bahner Bernd
vor 2 Wochen

Vielleicht könnte man sich auf die bereits von Kant formulierte Position der universiellen Würde des Menschen verständigen, ohne Vorgaben von Religionen und Ideologien mit ihren dogmatischen Ansprüchen. Die Würde des Menschen beruht auf der ihm zugestandenen, prinzipiell möglichen, Autonomie der freien ethischen, verantwortungsvollen Entscheidung, auch gegen seine eigenen Interessen und Neigungen; wie es auch der kategorische Imperativ bei Kant vorgibt. Ein Recht auf Inklusion im weitesten Sinne würde dem konsequenterweise folgen. Der Beweis für eine Existenz oder Nichtexistenz einer Transzendenz, sprich Gott, ist erkenntnistheoretisch nicht zu führen. Dies bleibt dem Glauben vorbehalten, den Kant von den Fesseln der Rationalität befreit hat. Das Problem plakativ mit den Prinzipien der Plausibilität oder der Wahrscheinlichkeitsrechnung anzugehen , wie Dawkins, ist unsinnig.

 
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    Bahner Bernd
    vor 2 Wochen

    universell,in der ersten Zeile, würde auch genügen.

     
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    c.haplin
    vor 2 Wochen

    Selbst eine Aneinanderreihung von Fremdwörtern kann nichts daran ändern, dass Inklusion in der Realität funktioniert. Ob man dabei Dawkins, Darwin oder Hawking für unsinnig hält ist ebenso irrelevant. Man muss auf allen Ebenen einfach dafür sorgen, dass Inklusion möglich ist und niemand ausgeschlossen wird. Man muss dafür Sorge tragen, dass man sich aus seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht herauskaufen kann.

     
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      Bahner Bernd
      vor 2 Wochen

      So einfach kann man es sich nicht machen. Natürlich geht es auch um Grundsatzfragen der menschlichen Ethik, denen dann die Praxis zu folgen hat. In diesem Zusammenhang ist der Umgang mit der Philosophie der Aufklärung, insbesondere Kants, dem Rationalismus Dawkins etc. keineswegs müßig. Das hat mit dem Aneinanderreihen von Fremdwörtern nicht das Geringste zu tun.

       
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      Bahner Bernd
      vor 2 Wochen

      Offensichtlich hat es wieder einmal am Begriff Inklusion gehakt. Ich hatte den Eindruck, dass es diesmal r.ingruber im weiteren Sinne auch um allgemeine ,zt weltanschauliche bzw. religiöse Aspekte ging, wie Gesellschaft funktionieren kann. Daran habe ich mich orientiert.

       
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      r.ingruber
      vor 2 Wochen

      Genau, @Bahner Bernd, das war meine Absicht. Niveauvolle Diskussionen regen mich manchmal zu neuen Überlegungen an, noch manchmaler zu neuen Texten.

       
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Thomas Niederwieser
vor 2 Wochen

Es gibt Momente in denen ich glaube, dass wir ganz nah an einem inklusiven System sind! Dann wache ich auf und finde mich in einer Welt wieder, in der man lieber eine Strafe zahlt, als für Inklusion zu sorgen. Die Realität tut manchmal echt weh.

 
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