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Weingartner: Friedenswunsch war stärker als Transitskepsis

Der 87-jährige Ex-Landeshauptmann erinnert sich an die EU-Volksabstimmung am 12. Juni 1994.

Im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen und der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 ist ein Bundesland besonders im Fokus gestanden: Tirol. Vor allem wegen der Transit-Problematik war die Skepsis dort am größten, fiel das Pro-EU-Votum am geringsten aus. Dass letztlich auch die Tiroler dafür stimmten, lag vor allem am „Friedensargument“, sagte der damalige Landeshauptmann Wendelin Weingartner (ÖVP) im APA-Interview rückblickend. Dies habe wohl noch schwerer gewogen als der Transit.

Während österreichweit vor fast genau 30 Jahren 66,6 Prozent der Bevölkerung mit „Ja“ stimmten und nur 33,4 Prozent mit „Nein“, war das „Rennen“ in Tirol etwas enger: 56,7 Prozent votierten hier für den Beitritt, 43,3 Prozent dagegen - zwar auch ein eindeutiges Votum, aber die doch geringste Zustimmung aller Bundesländer. Die rund zehn Prozentpunkte „Differenz“ in der Zustimmung habe sicher zu einem Gutteil am Transit-Thema gelegen, konstatierte der heute 87-jährige Weingartner, der Tirol von 1993 bis 2002 regierte.

Im Vorfeld der Volksabstimmung und seit dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen in Brüssel am 1. März war dem Landeschef jedenfalls eine zentrale Rolle zugekommen. Es habe „vor allem an Tiroler Themen gehakt“, so Weingartner im Rückblick und die wären insbesondere gewesen: Der Transit bzw. der seit dem Jahr 1992 bestandene Transitvertrag sowie der immer wieder aufgekommene „Ausverkauf der Heimat“, unter den in erster Linie die Themen Zweitwohnsitze und Landwirtschaft fielen. All dies hätte Tirol besonders „berührt“ - und so war Weingartner nicht sehr angetan von dem ausgehandelten Abkommen.

Wendelin Weingartner (87), war vom 1994 ausgehandelten Beitrittsabkommen vor allem wegen der Transitproblematik nicht sehr angetan. Dennoch setzte er sich massiv für ein „Ja“-Votum zum Friedensprojekt ein. Foto: APA/

Von „derzeit noch nicht zufriedenstellend“ bis „große Enttäuschung für uns Tiroler“ verlautete es damals vom Landeshauptmann, wenngleich er heute betont, dass der Transitvertrag generell und „in Relation zur Bedeutung des Beitritts überbewertet wurde“, auch medial. Dieser Meinung sei er immer gewesen.

„Schließlich war er ein zeitlich befristeter Vertrag, noch dazu mit vorgegebenen Werten, die jederzeit verändert werden konnten. Aus heutiger Sicht wäre er schon längst Makulatur“, erklärte Weingartner. Aber damals habe er ein „Eigenleben entwickelt“ und noch dazu hätten auch auf Bundesebene „alle geschworen“, dass es ohne dessen Beibehaltung keinen Beitritt geben würde. Zur Beibehaltung kam es dann nicht, der Transitvertrag wurde geändert.

Es kam laut Weingartner zu einem „neuen Vertrag“, der ebenfalls wieder zeitlich befristet war und spätestens nach neun Jahren auslaufen sollte. „Es stimmte nicht, dass wir mit einem gleichwertigen Vertrag abgeschlossen haben“, so Weingartner. „Ehrliche Politiker“ auf Bundesebene wie der damalige ÖVP-Außenminister und als „Mr. Europa“ titulierte Alois Mock hätten das ihm gegenüber auch eingestanden.

Weingartner drohte jedenfalls mit einem „Nein“ Tirols bzw. seiner Landesregierung zu einem EU-Beitritt, sollten bis zur Volksabstimmung nicht einige „Bedingungen“ umgesetzt werden. „Ich habe vor allem die Bedingung gestellt, dass Österreich ‚Ja‘ sagen muss zum Bau des Brennerbasistunnels. Wien wollte den Tunnel eigentlich nie bauen. Man hat lieber Investitionen in den Osten gesehen, denn für die österreichische Industrie war der Brennerbasistunnel uninteressant.“

Und so kam es schließlich nach harten Verhandlungen in Wien Anfang Mai 1994 zu einem „einklagbaren Vertrag“ über den Bau der Unterinntaltrasse bzw. dem Ausbau der dortigen Bahnlinie sowie zu der Einigung, dass sich Österreich völkerrechtlich verpflichten werde, beim Verkehrsministertreffen mit Italien und Deutschland Anfang Juni in Montreux für einen Bau der Brenner-Transversale (München-Verona) einzutreten. Ein „wichtiger politischer Erfolg“ und Basis für beide Großprojekte, wie Weingartner betont. „Da haben sie nicht mehr aus können“, meinte er über seine damaligen rot-schwarzen Verhandlungspartner im Bund.

Dass sein Transit-„Widerstand“ auch etwas mit der am 13. März 1994 angesetzten Landtagswahl zu tun hatte, stellte der ÖVP-Politiker in Abrede. Denn in dem Fall wäre es die wesentlich „leichtere Position“ gewesen zu sagen: „Liebe Tiroler, sie haben uns den Transitvertrag genommen. Deshalb bin ich gegen den Beitritt.“ So habe er hingegen versucht, eine Langfristlösung durchzuboxen und den Bahnausbau voranzutreiben, was gelungen sei, auch wenn all dies noch nicht zur nötigen Verlagerung und signifikanten Transit-Reduktion geführt habe.

In den verbleibenden eineinhalb Monaten bis zur Volksabstimmung habe er sich dann jedenfalls massiv für ein „Ja“-Votum eingesetzt, sei „fast jeden Tag draußen gewesen und habe Reden gehalten.“ Auch deshalb habe die Stimmung in der Tiroler Bevölkerung „gedreht“ werden können, auch wenn bis zum Schluss die „Sorge“ bestanden habe, diese könnte „Nein“ sagen. In Sachen Transit blieb zwar die Skepsis groß, aber die vorgebrachten Argumente seien auch aufgenommen und verstanden worden.

„Nun war es möglich, ohne Krieg eine Gemeinsamkeit zu schaffen. Auch aus heutiger Sicht historisch einmalig.“

Wendelin Weingartner

Vor allem aber betrachtet Weingartner das Friedensmotiv als ausschlaggebend für die „Ja“-Entscheidung.„Es gab damals noch viele, die eine persönliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg hatten oder dies aus der Erzählung ihrer Eltern mitbekamen.“ Österreich habe dabei schließlich auch „Schuld auf sich geladen.“ „Nun war es möglich, ohne Krieg eine Gemeinsamkeit zu schaffen. Auch aus heutiger Sicht historisch einmalig. In den USA beispielsweise gab es eine Gemeinsamkeit als Folge von Kriegen. In Europa wurde das erste Mal versucht, friedlich eine Gemeinschaft zu bilden.“

All diese Argumente seien „wesentlich besser angekommen“ als „alles Materielle wie etwa der ‚Ederer-Tausender‘“, spielte der Ex-Landeschef auf den nach der Ex-SPÖ-Europastaatssekretärin benannten „Tausender“ über angeblich niedrigere Lebenshaltungskosten nach dem EU-Beitritt an. Die „Friedensdividende“ habe gegriffen.

Dabei habe durchaus auch auf Bundesebene die Sorge bestanden, dass sich die österreichische Bevölkerung gegen den EU-Betritt entscheiden könnte, erinnerte sich Weingartner. Schließlich habe auch der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider massiv dagegen kampagnisiert und dabei unter anderem mittlerweile berühmt gewordene Argumente wie eine drohende „Blutschokolade“ und „Schildlaus-Joghurt“ ins Treffen geführt. „Haider hatte ein unglaubliches Gefühl, wie er Leute anspricht. Das war nicht ungefährlich.“. Aber auch die Grünen seien damals dagegen gewesen und später „glühende Europäer“ geworden, so Weingartner mit einem Schmunzeln.

Ein wesentlicher Hauptgrund für das „Ja“-Votum sei jedenfalls auch Alois Mock gewesen. Dieser habe die Tiroler Anliegen immer „besonders geschätzt“ und ernst genommen. „Er war ja zu der Zeit auch öfter in der Innsbrucker Klinik. Da er eine Vorliebe für Eis hatte, hat meine Frau immer Eis gemacht. Und ich hab es ihm in die Klinik gebracht“, wartete Weingartner mit einer Anekdote auf und meinte mit einem Lachen: „Das waren noch Zeiten.“

Die heute zu ziehende Lehre wäre, dass die EU weiter ein „Garant für Frieden“ sei - man könne weiter in keinen „binneneuropäischen Krieg“ verwickelt werden - und für einen Binnenmarkt stehe, durch den „Europa als wichtiger Markt eine Bedeutung hat und für Wohlstand der Bürger“ sorge - bei allen auch zu kritisierenden Fehlentwicklungen. „Und eine Lehre aus der Zeit vor der Volksabstimmung ist, dass man zu einer Grundmeinung stehen muss – und die großen Linien passen müssen und man nicht den kleinen nachrennt“, so der 87-Jährige.

Das Gespräch führte Wolfgang Eder/APA Eder

3 Postings

Alpin57
vor 5 Monaten

Dieser Weingartner wollte den Hauptsitz unserer Landesbank unbedingt nach Südtirol verlegen. Warum????

 
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Wunu
vor 6 Monaten

Öhmn, ja dann... Ausverkauf der Heimat: Check. "Einheimische" tun sich immer schwerer Grund und Boden zu kaufen oder gar Haus und Wohnung. In manchen Gegenden werden m² Preise aufgerufen das die Hälfte mehr als genug wären. Charlettes und Urlaubsdörfer von großteils Ausländischen Investoren wachsen wie die "Schwammerln" aus dem Boden... Keine Gemeinde ohne Zweitwohnsitze. Landwirtschaft: Check. Landwirtschaft gibt es eh nicht mehr. Alles was zählt sind nur noch Landwirtschaftsindustrie. Der Rest? Landschaftspfleger. Kaum ein "echter" Bauer der im Vollerwerb steht. Traktoren so groß wie Einfamilienhäuser auf der Landstraße mit einem Gräuschpegel eines startenden Düsen-Triebwerks, Massentierhaltung samt überbordender Bürokratie. Und doch reicht es bei vielen an allen Ecken und Enden nicht. Bauernproteste in Frankreich, Deutschland, Österreich, etc... Daher, für mich ist die EU nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Aber wie heißt es so schön: Wie man sich bettet so liegt man. Also dann...gemma wählen und hoffen das es nicht schlechter wird.

 
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    juchehh
    vor 6 Monaten

    Weingartner Das war doch Der ,der über Nacht seine Meinung zum EU Beitritt geändert hat!?

     
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