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Foto: Dolomitenstadt/Sabine Hoffmann

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Faktencheck zum Renaturierungsgesetz der EU

Weitere Blockade „verantwortungslos und gefährlich“ – WWF und Wissenschaft fordern Zustimmung zum Gesetz.

Anlässlich der intensiven politischen Debatte über das EU-Renaturierungsgesetz hat der WWF Österreich diese Woche gemeinsam mit dem Biodiversitätsforscher Franz Essl einen Faktencheck zu den häufigsten Vorbehalten veröffentlicht – von der Ernährungssicherheit bis zur Finanzierung.

„Das bisherige Länder-Veto entbehrt jeder sachlichen Grundlage und schadet Österreich. Das ist verantwortungslos und gefährlich“, sagt WWF-Programmleiterin Hanna Simons. „Intakte Ökosysteme sind unsere wichtigsten Verbündeten gegen die Klima- und Biodiversitätskrise. Das Gesetz würde die Ernährungssicherheit stärken und wäre eine Rund-Um-Lösung für viele Probleme.“

Der WWF fordert daher einen Schulterschluss der Politik und begrüßt die von Wien und Kärnten verlangte „Neubewertung“ des Gesetzes. „Im nächsten Schritt sollten Wien und Kärnten Nägel mit Köpfen machen und ihr öffentliches Abrücken vom Länder-Veto weiter konkretisieren, damit Österreich im EU-Umweltrat zustimmen kann“, sagt Hanna Simons. 

„Intakte Ökosysteme sind unsere wichtigsten Verbündeten gegen die Klima- und Biodiversitätskrise. Das Gesetz würde die Ernährungssicherheit stärken und wäre eine Rund-Um-Lösung für viele Probleme.“

Hanna Simons, WWF

Der Biodiversitätsforscher Franz Essl unterstützt die Ergebnisse des WWF-Faktenchecks und sieht das Gesetz als zentral, um die Ernährungssicherheit langfristig zu sichern. „In der eskalierenden Klimakrise sind stabile Ernten nur dann möglich, wenn Äcker in eine intakte Landschaft eingebettet sind“, sagt Franz Essl. Anders als von Teilen der Landespolitik faktenwidrig behauptet, sehe das Gesetz auch nirgends verpflichtende Stilllegungen vor. „Die größte Gefahr für die heimische Ernährungssicherheit ist der massive Flächenfraß, gegen den die Bundesländer viel zu wenig tun“, kritisiert Essl. 

Die notwendige Finanzierung des Gesetzes ist für ein Land wie Österreich „absolut möglich“ und zahlt sich langfristig mehrfach aus. „Sowohl der Nutzen des Gesetzes als auch die Kosten der weiteren Tatenlosigkeit sind deutlich höher als die notwendigen Investitionen. Österreich könnte zudem mit einem guten Renaturierungsplan sehr viel Geld aus Brüssel abrufen“, argumentiert Hanna Simons vom WWF Österreich. Irreführend ist es hingegen, wenn einzelne Länder nur die langfristigen Kosten darstellen, aber den deutlich höheren Nutzen ausblenden.

Umfragen zeigen Unterstützung für Gesetz

Auf Initiative des WWF Österreich forderten zuletzt 170 Wissenschaftler:innen eine Zustimmung der Bundesländer zum geplanten Gesetz. Auch die Bevölkerung steht dem Thema Renaturierung positiv gegenüber, wie eine market-Umfrage zeigt. Demnach sind mehr als zwei Drittel der Befragten besorgt über den Verlust der heimischen Natur (72 Prozent) und wollen, dass sie wiederhergestellt wird (76 Prozent). In anderen europäischen Ländern stößt die Wiederherstellung der Natur ebenfalls auf große Zustimmung in der Bevölkerung. So zeigt eine neue Umfrage in sechs EU-Mitgliedstaaten, dass drei Viertel der Befragten das EU-Renaturierungsgesetz unterstützen.

Der Handlungsbedarf ist groß: In Österreich sind mehr als 80 Prozent der europarechtlich geschützten Lebensräume in keinem günstigen Erhaltungszustand. Mehr als die Hälfte der Fließgewässer verfehlt die EU-Kriterien für einen guten ökologischen Zustand. Auch der Großteil der Moore ist in einem bedenklichen Zustand. Dazu kommt ein hoher Bodenverbrauch, was den Druck auf zahlreiche Ökosysteme und ihre Leistungen für die Gesellschaft noch weiter erhöht.


Der Faktencheck des WWF im Wortlaut:

FALSCH: „Das EU-Renaturierungsgesetz ist überflüssig. Bestehende Regeln reichen.“
Richtig ist: Zahlreiche wissenschaftliche Studien und offizielle Berichte zeigen den großen Handlungsbedarf in ganz Europa, so auch in Österreich. Denn die zunehmenden Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise treffen auf mehrfach vorbelastete Ökosysteme. Allein in Österreich sind über 80% europarechtlich geschützter Arten und Lebensräume in keinem günstigen Erhaltungszustand. Mehr als die Hälfte der Fließgewässer verfehlt die EU-Kriterien für einen guten ökologischen Zustand. Auch der Großteil der Moore ist in einem bedenklichen Zustand. Die betroffenen Ökosysteme werden übernutzt, verschmutzt, zerschnitten oder gänzlich zerstört.

Richtigerweise schafft das EU-Renaturierungsgesetz übergeordnete Ziele und Verbindlichkeiten für die Mitgliedstaaten und schließt Lücken der bestehenden EU-Naturschutzgesetze. Damit würde auch der Naturschutz in Österreich endlich einen höheren Stellenwert bekommen, der ihm sachlich betrachtet längst zusteht. Die konkrete Umsetzung bleibt aber jeweils den Ländern überlassen.

FALSCH: „Es fehlt Geld und Personal für die Umsetzung des Gesetzes.“
Erstens sind die Kosten der Tatenlosigkeit deutlich höher, zweitens ist die Unterfinanzierung des Naturschutzes schon seit Jahren ein generelles Problem – letztlich ein Ergebnis der mangelnden politischen Priorisierung. Das ist also keine Entschuldigung für die derzeitige Blockade der zuständigen Bundesländer.

Richtig ist: Österreich könnte mit einem guten Renaturierungsplan sehr viel Geld aus Brüssel abrufen, weil mit dem geplanten Gesetz auch ein Weg zu zusätzlichen EU-Mitteln vorgezeichnet ist. Demnach sollen die Mitgliedsländer konkret den Bedarf für ihre Maßnahmen erheben und melden, damit dies im kommenden EU-Budget berücksichtigt werden kann. Hier kann sich also eine zusätzliche Finanzierungsquelle ergeben. Sowohl der WWF Österreich als auch zahlreiche Stimmen aus der Wissenschaft fordern seit Jahren mehr Geld für den hierzulande generell unterfinanzierten Naturschutz. Zusätzliche budgetäre und personelle Ressourcen wären darüber hinaus eine dringend notwendige Unterstützung für die Beamtinnen und Beamten, die in diesem Bereich engagiert tätig sind.

Volkswirtschaftlich betrachtet zahlt sich Renaturierung jedenfalls mehrfach aus: Laut einer Berechnung der EU-Kommission bringt jeder in die Natur investierte Euro zwischen 8 und 38 Euro an Wert zurück. Im Durchschnitt sind es 12 Euro – eine enorm positive Bilanz. Hingegen sind die Kosten der Tatenlosigkeit fatal. Denn ohne intakte Natur verlieren wir in Österreich langfristig unsere Lebensgrundlagen und Handlungsoptionen.

IRREFÜHREND: „Die zusätzliche Bürokratisierung würde Gesamtkosten von mindestens 154 Milliarden Euro verursachen.“
Diese Aussage ist irreführend und lückenhaft, weil sie die mit den Investitionen verbundenen Vorteile ausblendet. Erstens sind die 154 Milliarden Euro eine Hochrechnung aus der Wirkungsanalyse der EU-Kommission bis zum Jahr 2070, also aus heutiger Sicht für über 46 Jahre. Zweitens liegt der ebenfalls berechnete Nutzen mit einem Gegenwert von 1.860 Milliarden Euro rund zwölf Mal höher als der Aufwand für die Wiederherstellung – somit ist jeder Euro gut investiert. Drittens sind die Kosten des Nicht-Handelns laut Europäischer Kommission mit 1.700 Milliarden mehr als zehn Mal höher als die geschätzten Kosten. Für Österreich allein ist die Kosten-Nutzen Relation ebenfalls positiv: Die Wirkungsanalyse der EU-Kommission berechnet einen nationalen Nutzen, der zwölf Mal höher liegt als die Kosten für die Wiederherstellung, wie auch das Umweltbundesamt bestätigt.
Ohne Trendwende würde übrigens allein Österreich von heute bis 2070 insgesamt rund 260 Milliarden Euro in umweltschädliche Subventionen stecken (derzeit bis zu 5,7 Milliarden Euro pro Jahr laut WIFO). Das wäre somit ein Vielfaches aller Naturschutz-Investitionen.

Das Argument der Enteignung ist also ein reines Märchen. In vielen Fällen ist sogar eine aktive Landbewirtschaftung wie Beweidung notwendig, damit die Renaturierung funktioniert.

WWF Faktencheck zum EU-Renaturierungsgesetz

FAKE NEWS: „Durch das EU-Renaturierungsgesetz sollen Landnutzer:innen enteignet werden, zum Beispiel über die Stilllegung von Ackerflächen. Das gefährdet unsere Ernährungssicherheit.“
Richtig ist: Verpflichtende Stilllegungen sind in der Verordnung nicht vorgesehen. Das Argument der Enteignung ist also ein reines Märchen. In vielen Fällen ist sogar eine aktive Landbewirtschaftung wie Beweidung notwendig, damit die Renaturierung funktioniert. Auch für die Nahrungsmittelproduktion ist eine intakte Natur unverzichtbar. Man denke nur an die unersetzliche Rolle der Bestäuber. Ein tatsächliches Risiko für die Ernährungssicherheit in Österreich ist hingegen der ungezügelte Flächenfraß. Der Bodenverbrauch liegt im Schnitt fast fünf Mal höher als das selbst gesteckte „Nachhaltigkeitsziel“ von 2,5 Hektar pro Tag bis 2030. Regelmäßig werden fruchtbare Äcker für neue Verbauungen zerstört. Wenn also Landwirtinnen und Landwirte enteignet werden, dann primär für den Bau neuer Straßen, wie es aktuell für die „Ostumfahrung“ Wiener Neustadt geplant ist.

FALSCH: „Das Gesetz gefährdet den Hochwasserschutz, weil Dämme und andere Querbauten entfernt werden müssen.“
Richtig ist: Durch das Gesetz sollen nur Barrieren entfernt werden, die für die Energieerzeugung, die Schifffahrt, die Wasserversorgung und den Hochwasserschutz nicht mehr erforderlich und oft schon seit Jahrzehnten außer Nutzung sind. Auch hier argumentieren einzelne Landeshauptleute bewusst mit veralteten und falschen Inhalten.

Die Wiederherstellung von Flüssen ist in der Regel der beste Hochwasserschutz. Deshalb hat zum Beispiel Kärnten in den letzten 20 Jahren viel Geld in die Renaturierung der oberen Drau investiert. Sind die Gewässer in einem naturnahen Zustand und bekommen dadurch wieder mehr Platz, liefern sie eine Vielzahl an Ökosystemleistungen und können häufig mehr Wasser zurückhalten als beispielsweise stark verbaute Gewässer. Das hilft nicht nur gegen Hochwasser und Trockenheit, sondern ist auch gut für die Landwirtschaft oder die Fischerei.

IRREFÜHREND: „Die EU überschreitet ihre Zuständigkeit. Beim Management von Wäldern, bei der städtischen Raumordnung oder der Flächenwidmung hat sie nicht mitzureden.“
Das geplante Gesetz gibt europaweite Ziele vor, aber die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, wie sie diese Ziele erreichen wollen. Somit haben sie genügend Spielraum und können auch die Unterschiede zwischen den jeweiligen Regionen berücksichtigen. Aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht sind jedoch das „Silodenken“ und die Einzelkompetenzen im Naturschutz generell zu hinterfragen, da ein integrierter Ansatz wesentlich effektiver ist.

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2 Postings

beobachter52
vor einem Monat

Wie objektiv, mit Hausverstand und unter Berücksichtigung aller Faktoren die Stellungnahmen des WWF sind, sieht man zB . in der Wolfsfrage! Daher ist es für mich IRREFÜHREND, nur die Stellungnahme des WWF als Faktencheck hinzustellen ...

 
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TW-WU
vor einem Monat

Die ÖVP, Weltmeister im betonieren sorgt sich um die Ernährungssicherheit. Kann man nicht erfinden....

 
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