Nachdem das Europäische Parlament im April strengere Luftschadstoff-Grenzwerte beschlossen hatte, drängt Transitforum Austria-Tirol-Obmann Fritz Gurgiser auf ein rasches Implementieren derselben in das heimische Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L). „Das gehört gemacht. Wann nimmt die Republik Österreich endlich ihren Auftrag wahr?“, fragte Gurgiser im APA-Interview und attackierte die Kanzlerpartei ÖVP: „Die Volkspartei bremst komplett.“
Monatelang würde eine Ministerratsvorlage des Koalitionspartners Grüne dahingehend bereits vor sich hinmodern, nur weil die Schwarzen „auf der Bremse stehen“. „Die ÖVP verlässt damit einen erfolgreichen Schutzweg für die private und betriebliche Anrainerschaft und gesellt sich gedanklich zu jenen, an denen Grundwerte wie Gesundheit ohnehin vorbeigehen“, pochte Gurgiser auf eine rasche Umsetzung, möglichst noch in dieser Legislaturperiode. Man sollte „endlich erkennen, dass es dabei um einen Mehrwert für alle geht“ und nicht der „völlig falschen Sicht anhängen, dass die schärferen Luftwerte Auswirkungen auf die Industrie haben, denn die Industrie schafft das dankenswerterweise schon lange“, meinte Tirols oberster Anti-Transitkämpfer.
Der Beschluss des EU-Parlaments umfasste verschärfte Standards. Diese sahen strengere Grenzwerte für mehrere Schadstoffe bis zum Jahr 2030 vor, darunter Feinstaub, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid. Für Feinstaub soll die Obergrenze demnach ab 2030 bei zehn Mikrogramm pro Kubikmeter liegen, bisher sind es 25 Mikrogramm. Der Grenzwert für Stickstoffdioxid wird von 40 Mikrogramm auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter halbiert.
Die Standards sollen mindestens alle fünf Jahre neu geprüft werden. Die Mitgliedstaaten können die Einführung der neuen Grenzwerte zudem um fünf Jahre verschieben, wenn bereits absehbar ist, dass ihre Städte das Ziel für 2030 nicht erreichen. Unter bestimmten Bedingungen ist eine weitere Verschiebung auf 2040 möglich, etwa wenn die Grenzwerte nur durch das Austauschen von Ölheizungen in Haushalten eingehalten werden können. Österreich könne aber die Grenzwerte schon heute in das IG-L übernehmen, verwies Gurgiser auf eine entsprechende Stellungnahme von Europarechtler Walter Obwexer.
Die schwarz-rote Tiroler Landesregierung sah durch den Beschluss jedenfalls ihre Transit-Position bzgl. der Brennerstrecke angesichts der von Italien angekündigten Klage (derzeit wartet man noch auf eine mögliche Stellungnahme der EU-Kommission dahingehend, Anm.) gestärkt. Ebendieser drohenden Klage gab Gurgiser wiederum ebenso wenig Erfolgschancen wie einem möglichen Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission gegen Österreich. „Da müsste sich die Kommission ja selber klagen“, so der Transitforum-Chef. Schließlich sei das „Paket zum IG-Luft“, das unter anderem Lkw-Nachtfahrverbot, Sektorales Fahrverbot, Euroklassenverbot sowie Tempo 100 beinhalte, vorher mit der EU-Kommission abgestimmt worden.
Zum seit langem schwelenden Transit-Streit mit dem südlichen Nachbarland, in dem - wie in der gesamten Problematik des Brennertransits - immer wieder von einer notwendigen politischen Verhandlungslösung die Rede ist, hat Gurgiser ohnehin eine klare Meinung: „Ich wüsste nicht, was es zu verhandeln gibt. Es gibt nichts zu verhandeln. Die Gesundheit ist kein verhandelbares Gut. Das Europarecht auch nicht.“
„Ich wüsste nicht, was es zu verhandeln gibt. Es gibt nichts zu verhandeln. Die Gesundheit ist kein verhandelbares Gut. Das Europarecht auch nicht.“
Fritz Gurgiser
Es sei in puncto Transit alles normiert: Im Nationalen Recht, im Europarecht, im Völkerrecht, in der Alpenkonvention, in der Straßenverkehrsordnung. Vielmehr gelte es einmal „das System“ an sich in Frage zu stellen, was bedeute: „Die Politik hat in diesem Bereich in Wahrheit keine Aufgabe mehr, weil es überall bereits gute Bestimmungen gibt, die einzuhalten sind. Aber weil sie immer nach außen so tun müssen, wie wichtig sie sind und wie viel sie beeinflussen können, verzetteln sie sich“, richtete Gurgiser den Akteuren aus. Und für Tirol bzw. Österreich gelte ohnehin: „Wir haben keine Kompromisse anzubieten. Oder um es mit Niki Lauda zu formulieren: ‚Wir haben nix zu verschenken.‘“
Statt an den „falschen Baustellen“ tätig zu sein, müsse die Politik einerseits die „eigenen Vorgaben“ restriktiv umsetzen und den Behörden dabei viel mehr freien Raum lassen. Alle Fahrverbote müssten im Zweijahresrhythmus auf ihre Effizienz überprüft werden, Strafen im Verkehrsbereich härter ausfallen. „Mehr Kontrollen und mehr Strafen“, müsse die Devise laut Gurgiser lauten. Noch immer würden viele Lkw durch Österreich fahren, die eigentlich nicht fahren dürften.
Und andererseits gelte es, „wie überall“, die Ursachen zu bekämpfen. Eine Hauptursache in Bezug auf den überbordenden Transitverkehr sei: Die „Nichtharmonisierung des Binnenmarktes“. „Das ist die eigentliche Ursache des künstlich wachsenden Straßengütertransitverkehrs kreuz und quer durch Europa und wie in einem politischen Kanal auf den Brenner gelenkt“, erklärte der Transitforum-Obmann, dessen Bürgerrechtsorganisation heuer 30-jähriges Bestehen feiert. Die Folgen des seit 1993 bestehenden Binnenmarktes seien „nur Erleichterungen für die Industrie, nix Soziales, nix für die Landwirtschaft und nichts für die Regionalwirtschaft“ gewesen. „Der Binnenmarkt ist ein regionalwirtschaftliches Killerprogramm“, kritisierte Gurgiser.
Die Harmonisierung von Steuern und Abgaben auf einem hohen Niveau würde das „Hin- und Hergekarre von Rohstoffen, Halb- und Fertigprodukten zum Nutzen des gerade günstigsten Dumping-Standortes mit Sicherheit in kürzester Zeit halbieren“ und die regionalen Wirtschaftskreisläufe wieder stärken“, zeigte sich Gurgiser überzeugt. Einmal mehr sah er einen Hebel auch in der Verbesserung der Situation der Lkw-Fahrer, den „Lenkradlohnsklaven“, wie er es gerne nennt. Es brauche europaweit einen „Mindestkollektiv von 3.000 bis 4.000 Euro brutto im Monat.“
Warenverkehrsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit, Dienstleistungsverkehrsfreiheit - diese vier „EU-Grundfreiheiten“ – sie müssten „endlich angegangen und infrage gestellt werden.“ „Sie stellen heute in vielen Bereichen Belastungen dar“, begründete dies Gurgiser. Österreich jedenfalls habe in all diesen Fragen bisher leider „keine einzige europäische Initiative“ gesetzt.
Und darüber hinaus: Die Straße müsse teurer und das System, was die Straßenschäden betrifft, „Verursacher-gerecht“ angepasst werden. Dazu zähle klarerweise auch eine einheitliche, höhere „Korridormaut“ von München bis Verona, die das Transitforum schon seit Langem einfordere.
Scharfe Worte fand Gurgiser einmal mehr für das von Tirol, Bayern und Südtirol politisch paktierte „Slot-System“ mit buchbaren Lkw-Fahrten auf der Brennerstrecke. Da die „Slotterei“ erst bei voller Nutzung der Straßenkapazitäten einsetze, sei klar, dass Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) offenbar die zweieinhalb Millionen Lkw-Fahrten pro Jahr auf der Brennerstrecke „akzeptiert“ - „inklusive eine Million Umwegverkehr“: „Eine Todsünde“. Aber in Wahrheit ohnehin nicht relevant, denn: „Slot ist bereits tot.“
Auch hier beackere man wieder einmal das falsche Feld. Stattdessen sollten sich die politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen einmal das Landverkehrsabkommen zwischen der EU und der Schweiz aus dem Jahr 1998 zu Gemüte führen. Darin habe man sich unter anderem verpflichtet, Transit- Umwegverkehr zu vermeiden. Eine Vereinbarung, die nicht eingehalten worden sei, erinnerte der Transitforum-Chef.
2 Postings
F. Gurgiser ist absolut Recht zu geben, denn hier könnte das Land mit der "schnellen" Umsetzung niedriger Grenzwerte zumindest eine transitbremsende Maßnahme zu setzen. Das liegt ganz bei der Landesregierung und ist weder von Salvini noch von den Bayern, noch von Wien abhängig, tun müssten sie es halt, statt reden und jammern.
„Die Volkspartei bremst komplett.“ ... es bremst nit nur die Volkspartei, die stärksten Bremsen haben die SUVFahrer ...
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