Eine Wohnzimmersession nur aus der Perspektive der Musik zu besprechen, würde dem Format nicht gerecht und doch ist es die Musik, die das kulturelle Intensiverlebnis, das Oliver Deutsch am 4. Mai zum achten Mal in Lienz inszenierte, unvergleichlich und unvergesslich macht.
Beginnen wir dennoch beim Essen, weil so auch jede Wohnzimmersession beginnt. Bevor die ersten Interpreten auf der winzigen Bühne im ersten Stock des Altstadthotels Eck Platz nehmen, holt sich das Publikum nämlich erst einmal einen gemischten Teller vom Buffet, das diesmal Köstlichkeiten aus der libanesischen Küche bot, von Meister Deutsch persönlich zubereitet. Was isst man im Libanon? Tabouleh, Pilzshawarma, Linsensuppe, Lamm und Ofensellerie mit Orangen und Nüssen. Deliziös!
Der aus Lavant stammende und in Graz lebende Tausendsassa scheint aber nicht nur Rezepte, sondern auch Kunstschaffende aus aller Welt zu kennen, anders ist das Niveau der Sessions schwer zu erklären. Neben einem halben Dutzend Speisen – die im Eintritt von 35 Euro inbegriffen sind – gibt es nämlich immer auch drei musikalische Acts, die Deutsch aufeinander abstimmt wie ein gutes Menü.
Die Karten für die Sessions sind meist innerhalb von 48 Stunden ausverkauft, bei der 8. Auflage, die hoffentlich nicht – wie angekündigt – die letzte war, ging es noch schneller. Nachdem dolomitenstadt.at das Line-up vorgestellt hatte, waren die Tickets nach nur einem Tag vergriffen. Wer einen Platz ergatterte hatte das Privileg, einem denkwürdigen musikalischen Abend beizuwohnen.
Ursprünglich war Jon Kenzie als Opener geplant, doch der Singer-Songwriter aus Manchester musste absagen. Für ihn sprangen zwei Musiker ein, deren Karriere auf der Straße begann. Gfeanzt & Zwida, Andi und Tommy, intonierten rotzig-rockig den Wiener Blues, erwiesen sich in der Conference als erstaunlich ortskundige Osttirol-Gäste und eroberten sofort die Sympathie des Publikums. Eine ideale Aufwärmrunde mit einigen Zugaben, die Ohren und Herzen öffnete für das, was nun folgen sollte, nämlich eine musikalische Offenbarung.
Es macht wenig Sinn, über Emily Stewart und Lukas Lauermann Loblieder zu schreiben. Man muss die beiden erleben! Wer sie aus nächster Nähe gesehen und gehört hat, wird ihnen künftig zwanghaft folgen, am besten live, wann immer sich dazu eine Gelegenheit bietet. So intim wie im Altstadthotel Eck wird das Erlebnis wohl nur selten sein. Nur ein paar Armlängen entfernt spürte man die musikalische Intensität und die unglaubliche Virtuosität dieses genialen Duos regelrecht körperlich, als Gänsehaut-Feeling und Glücksgefühl. Leise Töne, kluge Texte, musikalische Fragen und Antworten, kleine Explosionen, pure Poesie und eine Spiellaune, die das gemütlich altmodische Wohnzimmer in einen emotionalen Resonanzraum verwandelte. Man wollte ewig zuhören.
Als der letzte Ton von Emily Stewarts Geige und Lukas Lauermanns Cello samt tosendem Applaus verklungen war, wollte ein Zuhörer in unserer Nähe tief beeindruckt aufstehen und nach Hause gehen. „Ich will das genauso mitnehmen und nachklingen lassen. Ich will es nicht zerstören.“ Wir überredeten ihn zu bleiben und auch den dritten Akt zu erleben: Die Strottern.
Die beiden Ausnahmemusiker waren im Vorjahr eines der Highlights beim Open Air von Franui im Villgratental, doch mehr noch als auf der großen Bühne verzauberte das Duo im Klubambiente des Altstadthotels mit purer musikalischer Magie. David Müller brillierte als Ein-Mann-Rhythmus-Gruppe, ein atemberaubender Fingerstyle-Virtuose, dessen kleine Parlor-Gitarre unfassbar gut klang und die Couplets von Klemens Lendl mit einem perfekten Groove unterlegte – bis der wunderbar kauzige Sänger seine Geige für ein Gitarrensolo zweckentfremdete und gestand, er wäre eigentlich gerne E-Gitarrist geworden.
Nicht nur wie, auch was Die Strottern singen und spielen, macht sie zu den ungekrönten Königen des zeitgemäßen und zugleich zeitlosen Wienerliedes, das nicht melancholischer, augenzwinkernder und von purer Lebenskunst durchdrungener sein könnte. Und so war es eigentlich nur logisch, dass die beiden Musiker Emily Stewart auf die Bühne baten, für eine finale Performance, die das Publikum nach fast fünf Stunden voll musikalisch-kulinarischer Genüsse in die Nacht entließ. Wer jetzt noch nicht schlafen gehen wollte, für den hatte Oliver Deutsch einen weiteren Streich parat. Der Koch und Eventveranstalter wurde zum DJ, der ein Haus weiter – im unverwüstlichen „Becks“ – bis in die Morgenstunden Platten auflegte.
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