Bereits Anfang Februar fand im Zuge eines Erasmus+ Projektes zwischen dem BG / BRG Lienz und seiner finnischen Partnerschule aus Kokkola eine weitere Austauschwoche zu dem Thema "Cultural Heritage - Looking back is going forward" mit Programmpunkten in Venedig, Obertilliach und Salzburg statt. Hier ein paar fotografische Eindrücke vom Besuch der finnischen Schüler:innen in Österreich:
Wir nützten die Gelegenheit dieser Woche, um mit den beiden Begleitlehrerinnen des schwedisch-sprachigen Karleby Svenska Gymnasiums mehrere Gespräch über das finnische Bildungssystem zu führen, denn seit die OECD, eine Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Jahre 2000 die PISA-Studien einführte, gilt Finnland als ein Land mit einem der erfolgreichsten Bildungssysteme weltweit.
Die PISA-Studien haben nichts mit der italienischen Stadt Pisa zu tun, sondern sind - daher stammt auch der Name - ein Programm zur internationalen Schülerbewertung, um in möglichst vielen Ländern alle drei Jahre alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten von Fünfzehnjährigen zu messen. Die Ergebnisse dieser Tests werden jedes Mal mit großem Medieninteresse verfolgt, denn sie wirken wie eine Zeugnisverteilung für die gesamten Bildungsinstitutionen dieser Länder, zu denen inzwischen die meisten Mitgliedsstaaten der OECD sowie zahlreiche Partnerstaaten zählen.
Dabei werden in diesen Studien nur drei Bereiche, nämlich die Lesekompetenz, ein mathematisches Verständnis und eine naturwissenschaftliche Grundbildung überprüft. Gemäß dem Wortlaut der OECD soll damit allerdings nicht Faktenwissen abgeprüft werden, sondern getestet werden, ob die teilnehmenden Jugendlichen - stellvertretend für ca. 29 Millionen Schüler:innen in aller Welt - ihr Wissen anwenden und Informationen sinnvoll verknüpfen können, um in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts erfolgreich zu sein und das - wie sie es schon im Jahre 1999 beschrieb - "im persönlichen, sozialen und ökonomischen Bereich".
Im Jahre 2000 wurden 31 Staaten in der PISA-Studie überprüft. Finnland erreichte im Bereich Lesen den Platz 1, in den Naturwissenschaften belegten sie Platz 3 und in Mathematik Platz 4. In der zweiten PISA-Studie aus dem Jahr 2003 konnten die Finnen ihre Plätze sogar noch verbessern und landeten nun in allen Bereichen auf Platz 1, während Österreich oder auch Deutschland eher mittelmäßig abschnitten. In Folge wurden finnische Schulen geradezu überschwemmt mit Anfragen und Studien zu ihrem erfolgreichen Geheimrezept in der Bildungspolitik.
Sehr zur Überraschung der Finnen übrigens, wie uns schon öfter in Gesprächen mit den finnischen Kolleg:innen unserer Partnerschule mitgeteilt wurde. In ihrer wahrscheinlich landesweit doch üblichen Bescheidenheit und Bodenständigkeit weisen sie meistens auch sofort darauf hin, dass auch sie inzwischen diese guten Resultate nicht mehr beständig liefern können. Dass die Leistungen in den meisten Ländern inzwischen generell stetig zurückgingen, zeigten übrigens auch die Ergebnisse der letzten Studien aus dem Jahre 2022, die am 5. Dezember 2023 veröffentlicht und bei denen dieses Mal insgesamt ca. 690.000 Schüler aus 81 Ländern getestet wurden.
Da kam es - wiederum laut OECD - „insgesamt zu einem beispiellosen Rückgang des OECD-Leistungsdurchschnitts. Verglichen mit 2018 sank er in Lesekompetenz um 10 Punkte und in Mathematik um fast 15 Punkte. Der Leistungsrückgang in Mathematik ist dreimal so hoch wie jede vorherige Veränderung von einer PISA-Erhebung zur nächsten. Auf die Corona-Pandemie kann dabei der Leistungsrückgang nur teilweise zurückgeführt werden. Die Leistungen in Lesekompetenz und Naturwissenschaften hatten bereits vorher zu sinken begonnen und auch bei den Mathematikleistungen waren in diversen Ländern schon vor 2018 negative Trends zu beobachten."
Pia Björkqvist und Carola Wisén-Elenius, die Begleitlehrerinnen bei der Erasmus+ Austauschwoche in Lienz. Foto: BG/BRG Lienz
Doch zurück zu den immer noch sehr herausragenden Leistungen der Finnen und den Gründen, die dafür ausschlaggebend sind. Pia Björkqvist unterrichtet Finnisch an der schwedischen Schule und damit eine der zwei als gleichwertig gesehenen Sprachen in diesem Gebiet an der Westküste von Finnland, das ungefähr vier Zugstunden nördlich von der Hauptstadt Helsinki liegt. Für Pia als Sprachenlehrerin sind also vor allem die Lesekompetenz-Ergebnisse interessant und ihre Erklärung für das gute Abschneiden der Finnen in diesem Bereich klingt sehr einleuchtend.
Zusätzlich zu einer grundsätzlich ausgeprägten Lesetradition in Finnland sieht sie den Hauptgrund in der Tatsache, dass Filme in skandinavischen Ländern sowohl im Fernsehen als auch im Kino nur in der Originalsprache mit Untertiteln gezeigt werden, was die Motivation, lesen zu lernen, schon bei Kleinkindern, erheblich fördert und gleichzeitig die guten Sprachkenntnisse, vor allem in Englisch, der gesamten skandinavischen Bevölkerung erklärt. Außerdem, so erzählt sie uns, hat Finnland immer noch vergleichsweise niedrige Zuwanderungsquoten, wodurch die Anzahl an Kindern mit einer anderen Muttersprache und somit größeren Sprachbarrieren deutlich niedriger sind als in anderen Ländern.
„Wir sind bemüht, für kein finnisches Kind jemals eine Tür zuzumachen.“
Pia Björkqvist und Carola Wisén-Elenius
Als noch wichtigeren Grund sehen Pia und Carola Wisén-Elenius, die zweite Begleitlehrerin bei der Erasmus+ Austauschwoche in Lienz, jedoch die seit den sechziger Jahren kontinuierliche Orientierung der finnischen Politiker an dem Bildungsprinzip der Chancengleichheit für Heranwachsende aus allen sozialen Schichten. Diese ist einerseits schon durch die vergleichsweise geringen sozialen Unterschiede in einer sehr homogenen Gesellschaft gewährleistet, wird aber zusätzlich eben auch noch durch eine durchgehend hohe Schulqualität garantiert. Zu diesen hohen Schulstandards gehören nicht nur eine sehr gute materielle Ausstattung aller Schulen in Finnland mit einem inkludierten Gratis-Mittagessen für alle Schüler:innen, sondern auch eine sehr wertschätzende Personalpolitik.
In Finnland, wie generell in den skandinavischen Ländern, herrscht ein sehr strenges Auswahlverfahren bei Lehramtsstudien und ein dementsprechend hohes Ansehen von Lehrpersonen in der Bevölkerung, die - wie Pia es formuliert - von den Eltern, Vorgesetzten, Kolleg:innen usw. als "akademische Experten" gesehen werden und damit sehr eigenständig und ohne allzu viele generelle Vorgaben und allzu großer Bürokratie unterrichten können. Zusätzlich arbeiten Lehrer:innen in allen Schulstufen in Teams mit allgemeinen Pädagogen, Sonderpädagogen, Sozialarbeitern, Psychologen und Schulassistenten.
„Wir sind bemüht, für kein finnisches Kind jemals eine Tür zuzumachen“, erklären Pia und Carola einstimmig. Die Grundlage dafür bildet auch ein ungegliedertes Gesamtschulsystem bis zum 15. Lebensjahr, in dem Schüler:innen bis zur 9. Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Dies ermöglicht sowohl eine längere gemeinsame Entwicklungsbegleitung in den ersten Schuljahren als auch eine erst später erfolgende Fokussierung auf Kernkompetenzen sowie eine spätere Entscheidung für weiterbildende Einrichtungen.
Die Schüler:innen des BG / BRG Lienz waren schon bei ihrem ersten Besuch in Kokkola begeistert von der Tatsache, dass nur ein Fach, und zwar die Muttersprache, für die Abschlussprüfungen, die unserer Matura entsprechen, verpflichtend ist. Alle anderen Fächer können frei und nach den eigenen Interessen und Talenten gewählt werden, allerdings benötigt man für den Zugang zu den Universitäten eine gewisse Punkteanzahl, die man durch das Wählen der Abschlussfächer erreicht. Mathematik, Fremdsprachen usw. erhalten dabei zum Beispiel mehr Punkte als Sport und Kunst und werden deshalb auch von vielen finnischen Schüler:innen für die Abschlussprüfungen gewählt.
In Bezug auf Prüfungen sind finnische Schüler:innen standardisierte Tests von jeher gewöhnt, denn sie werden dreimal im Jahr in landesweiten Testwochen überprüft. Das heißt, sie bereiten sich in drei Zyklen auf die nächsten Prüfungen vor, haben aber in den Wochen dazwischen keine Tests oder Schularbeiten. Für Lehrer:innen gibt es in der Vorbereitung dazu keine detaillierten Lehrpläne, sondern nur Lernziele, die ihre Schützlinge erreichen sollten. In den Klassen 1-4 gibt es generell keine Noten, in den Klassen 5-7 können, müssen aber nicht Noten zusätzlich zur verbalen Beurteilung gegeben werden. Außerdem ist man - und wie es scheint, nicht nur an unserer Partnerschule, sondern überall in Finnland, bemüht, Klassengrößen so klein wie möglich zu halten, die Freizeit nicht mit Hausübungen zu belasten, anstatt Wissen einzutrichtern vielmehr mit Projekten und spielerischem Lernen zu arbeiten und vor allem auf eine angenehme Lernatmosphäre in der Schule zu achten.
Das war auch der Aspekt, der mir persönlich schon am ersten Tag unseres Besuches im Svenska Gymnasium in Kokkola aufgefallen ist. Alle Lehrpersonen, selbst Direktor:innen, werden dort von allen Schüler:innen von der ersten bis zur letzten Klasse mit dem Vornamen angesprochen. Und das ist - laut Pia und Carola - auch in allen anderen finnischen Bildungseinrichtungen der Fall. Die gesamte Atmosphäre in der Schule wirkte dadurch viel natürlicher, freundlicher, angstbefreiter und kooperativer. Dieses Verwenden von Vornamen an Schulen mag in der Komplexität des gesamten Bildungssystems wie eine unwichtige Kleinigkeit erscheinen, doch für mich, als Lehrerin, liegt der Erfolg jedes Schulsystems hauptsächlich in der Beziehung zwischen Lehrpersonen und ihren Schüler:innen - und dabei geht es um jede noch so kleine wichtige Veränderung in die richtige Richtung, um alte Strukturen von Hierarchie und Distanz, die sehr oft zu Angst vor Lehrpersonen und Prüfungen führen, aufzubrechen.
Ich würde mir viele Aspekte des finnischen Systems für unsere Schulen wünschen, vor allem weil es eigentlich nicht allzu schwierig scheint, ein paar gute Ideen von ihnen zu übernehmen, wenn sie schon so für ihre PISA-Resultate bewundert werden. Am meisten würde ich mir jedoch wünschen, dass Schulen weltweit zu Plätzen ohne diesen unsinnigen Druck - sowohl für Schüler:innen als auch für Lehrer:innen - werden, denn unter Angst und Zwang entstand noch nie etwas Gutes. Und das sehen Pia und Carola genauso.
12 Postings
Man kann nichts 1 zu 1 umsetzen , ob beim Sport , Business oder in diesen Fall die Schule . In Mathematik ist Österreich besser wie Finnland ,trotz Punkte Verlust zur letzten Studie . Man kann Erfahrungen austauschen und gegenseitig von einander lernen , aber jedes Land muss seine eigene Lösung finden . Ich sehe die Gefahr bei einer FPÖ Regierung , das durch eine sogenannte Herdprämie es schlechter wird . Es braucht doch keiner glauben das in einer white trash ( harz 4 ) Familie ) oder arabischen Großfamilie , die Kinder zuhause gefördert werden , wenn Mama zuhause mit die Kinder ist . Weiteres gehört die Digitalisierung vorangetrieben . Ich war in Finnland , Estland ( Beste Pisa Studie Land Europas )und andere nordische Länder , die sind total modern und aufgeschlossen , alleine deswegen würde der Weg Finnlands in Österreich nicht funktionieren . Digitales wird von der zukünftigen Regierung abgelehnt .
Sehr geehrter Herr Menozzi, es verlangt auch keiner, dass alles 1:1 übernommen wir, nur fliegt man hin, schaut sich an wie es gehen könnte, fliegt wieder heim und das war's dann. Hier stimmt der Spruch leider zu 100%: außer Spesen nichts gewesen..."
Ich möchte jetzt nicht die Tiroler Landesregierung verteidigen , mir geht es nur um Fakten . Der Besuch in Finnland war eine Woche vor der Landes Klausur , ausdrücklich mit Themenschwerpunkt Bildung und Kinderbetreuung.
Bei der Klausur ist ein 10 Punkte Plan erstellt wurden , als nichts würde ich es nicht bezeichnen . Paar dieser Punkte , bringen einen auf den Nordisch/Baltischen weg .
https://www.tirol.gv.at/meldungen/meldung/recht-auf-kinderbildung-und-kinderbetreuung-herbstklausur-der-landesregierung/
danke für die Info, werde ich mir noch zu Gemüte führen
Gleichberechtigung und Gleichbehandlung, das Minimieren sozialer (und wohl auch kultureller) Unterschiede, Inklusion im weitesten Sinne, tragen sicher zum guten Abschneiden Finnlands bei den PISA Tests bei. Das alles gelingt aber auch leichter, wenn man im Vergleich zu anderen europäischen Staaten so gut wie keine Einwanderer zu bedienen hat. Ob wir uns solches ernstlich zum Vorbild nehmen sollten?
naja Rudi: Die Nettoeinwanderung nach Finland betrug 2021. 22905 Personen, umgerechnet auf Österreich (9 Mio zu 5,5 E), ist das relativ viel!
Sehr interessant! In einer Fortbildung sagte ein Pädagoge mal, dass wir in Österreich in einer Schieflage des Bildungssystems sind. Immer mehr Input, der auf die SchülerInnen einprasselt und das oft ohne Praxis - auf die Aneignungskompetenz (nämlich das Vermittelte in eigenes Wissen umzuwandeln) wurde in Österreich schlichtweg vergessen im Lehrplan. Da sind uns die skandinavischen Länder um einiges voraus. In Österreich sind die Noten wichtig, ob das Wissen nach dem Test noch da ist, scheint oft nebensächlich zu sein.
Von den Besten lernen.... schön wärs! Hat nicht im Herbst 2023 eine Delegation der Tiroler Landesregierung Helsinki bezüglich optimaler Kinderbetreuung besucht? Man hört nichts mehr davon - war höchstwahrscheinlich wohl eher ein vom Steuerzahler finanzierter Betriebsausflug. Liebes Dolomitenstadt-Team, könnt ihr da einmal nachfragen beim Hl. Land Tirol?
Sehr richtig erkannt, @isnitwahr! Immer wieder sind Abordnungen in Finnland. Was kommt dabei heraus???
Leider ist das Bildungs- u. Schulsystem in Österreich eine ewige Endlosschleife, sowie und gerade, weil ein Spielball der Politik. Deshalb kommen wir seit Jahrzehenten keinen Schritt weiter – im Gegenteil wir rutschen bei den PISA-Tests immer weiter nach hinten.
Schade für die Kinder und Jugendlichen! Es wäre so einfach, das finnische Schulsystem…
liebe @Chronos, mein Gott wie wahr....., die Baustellen werden immer mehr - Kinderbetreuung, Pflege, Schulsystem.... - man schaut sich's bei denen an, die es können und fährt dann nach Hause, um unverrichteter Dinge weiter zu wursteln wie bisher, eigentlich eine Schande. Man müsste Politiker für ihr Tun, oder besser für ihr Nichttun, zur Verantwortung ziehen können. So wird sich leider wohl nichts ändern in nächster Zukunft.
jede zeit hat ihre tücken. mit der entrechtung der lehrerinnen war die fahrt nach unten nicht mehr aufzuhalten. die roten als verursacher und die schwarzen als abnicker. beide gehören in die wüste. dass die blauen, obwohl sie viele akademiker haben, auch versagten, nur nebenbei.
@lia, können Sie mir bitte erklären, was Sie unter der "Entrechtung der Lehrerinnen " verstehen? Ich weiß jetzt wirklich nicht was Sie damit meinen. Ich freue mich auf Ihre Antwort!
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