Südtirols neue Landesregierung ist unter keinem guten Stern geboren: keine kompakte Mehrheit, Heckenschützen, Abstimmungspannen. Nach der Angelobung seines Kabinetts am 1. Februar geht Landeshauptmann Arno Kompatscher geschwächt in seine letzte Amtszeit. Wird er sie überdauern? Und wie steht Südtirol nun vor seiner Schutzmacht Österreich da? „Wir sind längst unglaubwürdig geworden“, so das nüchterne Urteil des Südtiroler Politologen und emeritierten Professors für Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck Günther Pallaver.
Herr Pallaver, was ist da in den letzten Wochen in Südtirol passiert?
Eigentlich nichts Außergewöhnliches. Bei Koalitionsverhandlungen treffen sich Parteien und versuchen, ihre Vorstellungen so weit als möglich durchzusetzen. Natürlich gibt es da immer ein Hin und Her. Außergewöhnlich aber ist, dass die Südtiroler Volkspartei, wie viele andere christdemokratische Parteien, ultrarechten Kräften die Tür öffnet und sie in die Regierung holt. Das ist die Besonderheit in diesem Falle. Der Rest – wer welche Posten und Kompetenzen bekommt und wer nicht – ist bei allen Koalitionsverhandlungen das übliche Machtspiel.
Man hat aber auch gesehen, dass sich ein Landeshauptmann mit seinen Vorstellungen in der eigenen Partei nicht durchsetzen kann.
Stimmt. Arno Kompatscher hat sich in vielen Bereichen nicht durchsetzen können. Nach eigenen Aussagen wollte er eine andere, weniger rechte Landesregierung – ging nicht. Er wollte eine 8er-Regierung, bilden musste er ein 11er-Kabinett. Bei der personellen Besetzung von Landesratsposten hat er sich nicht überall in der Partei durchsetzen können. Im Vergleich zum vorigen Landtag sitzen in der SVP-Landtagsfraktion jetzt mehr Abgeordnete, die mit Kompatscher sympathisieren. Aber die Mehrheit der Partei ist offensichtlich nicht hinter ihm. Wie seit Langem schon.
Wie gespalten ist die SVP?
In der Partei fehlt die Kohäsion. Einige sind nach der Entscheidung, neben zwei italienischen Rechtsparteien auch die Freiheitlichen in die Regierung zu holen, aus der SVP ausgetreten – das sagt an sich schon viel aus. Aber auch bei der Wahl der Landesregierung und des Landtagspräsidenten hat die Partei keinen starken Zusammenhalt an den Tag gelegt.
Die Bauernvertreter in der Partei haben verhindert, dass Kompatschers engster Vertrauter, Arnold Schuler, als Landwirtschaftslandesrat bestätigt wird. Seine parteiinterne Widersacherin Waltraud Deeg hat auf einen Platz in der Landesregierung verzichtet, weil sie mit den ihr zugeteilten Kompetenzen nicht zufrieden war. Der bisherige Landtagspräsident Josef Noggler wurde abgesetzt.
Es gibt jetzt persönliche Animositäten, die in Zukunft zu Spannungen führen können. Genauso wie die Tatsache, dass der ehemals so starke SVP-Bezirk Pustertal in der Landesregierung nicht mehr vertreten ist. Darüber ist nicht nur Deeg als Pustererin, sondern der gesamte Bezirk Pustertal nicht gerade erfreut. Innerhalb der Partei gibt es Spannungslinien zwischen konservativer Mehrheit und liberaler Minderheit, die immer wieder aufbrechen können.
Sehen Sie Spannungslinien auch innerhalb der Koalition?
Absolut. Je mehr Parteien in einer Koalition sitzen, desto anfälliger ist diese. Das gilt nicht nur in Südtirol, wo jetzt fünf Parteien regieren, sondern für alle Mehrparteien-Koalitionen. Jede Partei will natürlich die eigenen Positionen nach außen kommunizieren, heischt nach Visibilität, damit die Wählerschaft sieht, wer letztendlich hinter bestimmten Entscheidungen steht – oder auch nicht. Und das führt immer wieder zu Spannungen und Konflikten.
Der neuen Regierungsmehrheit gehören 19 von 35 Landtagsabgeordneten an. Das war bereits in der letzten Legislaturperiode so – große Konflikte hat es da aber nicht gegeben. Warum soll das nun anders sein?
Von 2018 bis 2023 hatte die SVP mit der Lega nur einen Koalitionspartner mit zwei italienischen Landesräten, die politisch schwach waren. Jetzt sitzen zwei italienische Landesräte in der Regierung, die das nicht sind und nicht so unsichtbar sein werden wie ihre Vorgänger. Das gilt übrigens auch für die Freiheitliche Landesrätin. Dazu kommt, dass wir jetzt eine knappe Mehrheit sehen, in der einzelne Abgeordnete der Mehrheitsparteien durchaus ein Erpressungspotenzial haben, das sie wahrscheinlich auch einsetzen. Der Freiheitliche Andreas Leiter Reber hat bei der Wahl der Landesregierung bereits zum ersten Mal zwar nicht dagegen, aber auch nicht dafür gestimmt. Für die Stabilität der Mehrheit ist das insofern gefährlich, als dass es im Vorfeld von Abstimmungen viele Verhandlungen wird geben müssen, um dieses Erpressungspotenzial zu beseitigen. Man wird möglicherweise Partikularinteressen befrieden müssen. Der Koalitionsausschuss wird alle Hände voll zu tun haben.
Der Hinweis, dass die christdemokratischen Parteien Türöffner für ultrarechte Parteien sind, ist nicht von der Hand zu weisen.
Günther Pallaver
Arno Kompatscher verwehrt sich vehement dagegen, ein Türöffner für Ultrarechte zu sein – man koaliere ja mit Parteien – Fratelli d’Italia und Lega –, die in Italien seit 2022 regieren.
Der Hinweis, dass die christdemokratischen Parteien, die Zentrumsparteien, Türöffner für ultrarechte Parteien sind, ist nicht von der Hand zu weisen. In Europa gibt es eine ganze Reihe von Ländern, wo das der Fall ist: Finnland, Schweden und natürlich Österreich, wo die FPÖ im Herbst wahrscheinlich an der Regierung sein wird – und es dank der ÖVP auch schon war. Man kann es drehen, wie man will, die SVP reiht sich in diese ungute Tradition ein und ist eine Türöffnerin – wenn nicht auf Staatsebene, dann eben auf regionaler Ebene.
Kompatscher rechtfertigt die Entscheidung auch damit, dass man dem Wählerwillen entspreche, wenn man mit den Fratelli die meist gewählte italienische Partei in die Regierung holt. Sticht das Argument? Schließlich waren unter seinem Vorgänger Luis Durnwalder die stärksten italienischen Parteien auch immer ultrarechte – mit ihnen koaliert hat Durnwalder trotzdem nie.
Was heißt „der Wählerwille“? Natürlich kann man in Südtirol mit Verweis auf die Konkordanzdemokratie sagen, es wäre gut, möglichst viele Italiener in der Regierung vertreten zu haben. Das stimmt sicherlich. Aber schauen wir uns die Analysen an: Der Politologe Hermann Atz hat berechnet, dass die Hälfte der italienischen Bürgerinnen und Bürger nicht die Rechten gewählt haben. Die SVP selbst hat rund 10.000 Stimmen von den italienischen Wählerinnen und Wählern erhalten. Haben die am Abend die Volkspartei gewählt, um am Morgen Fratelli d’Italia in der Regierung zu haben? Ich glaube nicht. Dann hätten sie gleich die Fratelli wählen können. Aber sie haben die Volkspartei gewählt. Genauso vertreten andere, nicht rechte Parteien wie die Grünen und die Demokratische Partei die italienische Wählerschaft.
Es gibt Menschen, die enttäuscht sind und sich von Kompatscher verraten fühlen, den sie als liberalen, progressiven, fast schon grün angehauchten Landeshauptmann, als der er sich immer präsentiert hat, gewählt haben – und der nun mit seiner Koalition in die völlig andere Richtung driftet.
Sein Argument ist die Autonomie, die er stärken will und dazu das Wohlwollen der Regierung in Rom braucht. Aber da wird natürlich auch etwas getrickst.
Inwiefern?
Eines von Kompatschers Zielen ist ja, eine Norm zu schreiben, damit das Autonomiestatut nicht einseitig abgeändert werden kann. Alles gut und recht. Aber das Zweite Autonomiestatut ist noch nie einseitig abgeändert worden. Und das kann es auch nicht werden. Bei allem, was die Autonomie, den Minderheitenschutz und das Zusammenleben betrifft, braucht es immer den Konsens zwischen Bozen, Wien und Rom.
Natürlich, in dem Autonomie-Paket, das Rom absegnen soll, sind neue Kompetenzen enthalten. Aber nichts Zukunftsweisendes. Im Südtiroler Autonomiestatut steht zum Beispiel nichts zu Europa; in einem partizipativen Prozess wurden jahrelang viele Vorschläge gesammelt, die man mit einer Autonomiereform umsetzen müsste. Davon fehlt jede Spur. Die Chance wird jetzt nicht genutzt, man vertritt eine konservative Linie, spricht nur von der Wiederherstellung von Kompetenzen und ein paar neuen Zuständigkeiten. Das ist schon in Ordnung, aber in die Zukunft führt uns das nicht.
In einem Interview haben Sie 2018 gesagt, die SVP sei von einer Wertegemeinschaft „längst abgerückt“, stelle „offenbar die Autonomie über alles“ und denke „rein zweckrational, utilitaristisch“. Sehen Sie sich bestätigt?
Natürlich. Mir fällt da oft der verstorbene Vorarlberger Landeshauptmann-Stellvertreter Martin Müller ein – er stammt aus demselben Dorf wie meine Mutter –, der mir einmal erzählte: „Die Südtiroler, die verstehe ich nicht. Zuerst verhandeln sie mit uns, mit Vorarlberg und Tirol, und schauen, dass da möglichst viel herauskommt. Dann drehen sie sich um und verhandeln mit den anderen gegen uns, um noch mehr herauszuholen.“ Und so sind wir mittlerweile: Werte, hehre Prinzipien werden nur vorgeschoben, um materielle Interessen durchzusetzen. Es ist völlig egal, wer, mit wem, wo und was – Hauptsache – zynisch gesprochen –, die Knete stimmt. Wir sind eine moralisch korrupte und korrumpierbare Gesellschaft geworden. Aber das wird uns und dem Land noch auf den Kopf fallen. Wir sind längst unglaubwürdig geworden, auch wenn das noch nicht alle durchblickt haben.
Es ist völlig egal, wer, mit wem, wo und was – Hauptsache – zynisch gesprochen –, die Knete stimmt.
Günther Pallaver
Auch in den Beziehungen zu Österreich? Im Koalitionsprogramm der neuen Südtiroler Landesregierung findet sich kein Verweis auf die Schutzmachtfunktion Österreichs mehr. Und die SVP hatte auch keine Probleme, die Parteien in die Regierung zu holen, die im Transit-Streit ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich anstrengen.
Obwohl es einen Konflikt zwischen Italien und Österreich gibt, geht die SVP mit jenen Parteien eine Koalition ein, die diesen Konflikt vom Zaun gebrochen haben. Mir kommt dabei das Jahr 2000 in den Sinn, als es wegen der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung EU-Sanktionen gegen Österreich gab. Die Südtiroler Volkspartei hat sich im italienischen Parlament wie ein Goliath für Österreich eingesetzt und alles versucht, um die Resolutionen gegen Österreich abzuschwächen. Die SVP hat Partei für ihre Schutzmacht ergriffen. Jetzt gibt es ein Verfahren gegen Österreich und die Volkspartei schweigt.
Warum?
Natürlich schweigt sie, weil sie mit dieser italienischen Regierung ein Geschäft machen will. Wir wollen immer nur ein Geschäft machen – egal, was mit Österreich ist. Wenn wir Österreich brauchen, rufen wir Österreich natürlich an! Aber wenn Österreich etwas braucht, machen wir dann doch wieder das Geschäft mit den anderen. Wie das Martin Müller schon vor 50 Jahren geschildert hat.
Nach den Landtagswahlen in Südtirol haben der Tiroler Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer (SPÖ) und die FPÖ die doppelte Staatsbürgerschaft für deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler wieder ins Spiel gebracht. Die SVP war immer dafür, doch mit einer nationalistischen Partei wie die Fratelli an der Seite, die immer gegen den Doppelpass gewettert hat, wird das nicht zu machen sein?
Wenn nach den heurigen Nationalratswahlen in Österreich – man kann darüber spekulieren – eine Regierung ÖVP-FPÖ oder FPÖ-ÖVP kommt, wird das Thema Doppelstaatsbürgerschaft sicher wieder aufs Tapet gebracht werden. Dafür wird auch die Südtiroler Freiheit um Sven Knoll sorgen, die von der FPÖ unterstützt wird. Dann will ich sehen, was Fratelli und Lega sagen – und was die Südtiroler Landesregierung macht. Wird sich die SVP zurückziehen, wenn die österreichische Regierung sagt, das wollen wir? Oder wird die österreichische Regierung nichts ins Programm schreiben, weil die SVP bremst? Allein, die FPÖ wird sich davon nicht beirren lassen. Ich bin gespannt.
Teile der Opposition sagen Arno Kompatscher voraus, die nächsten fünf Jahre als Landeshauptmann nicht zu überstehen. Was ist Ihre Prognose?
Den Optimismus, dass die Regierung bald zusammenbricht, teile ich nicht. Denn keine Koalitionspartei ist an Neuwahlen interessiert. Zerbricht die Koalition, tragen alle Regierungsparteien großen Schaden davon. Man wird sich hüten, diese Regierung in die Brüche gehen zu lassen. Alle wären nur Verlierer, in erster Linie wohl die Volkspartei. Bei Neuwahlen würde die SVP ziemlich einbrechen, viele italienische und Kompatscher-Stimmen verlieren. Ich gehe davon aus, dass man sich bei allen Konflikten, die es geben wird, durchwurschteln wird. Eines aber frage ich mich doch.
Und zwar?
Der Landeshauptmann hat gesagt, er würde die Reißleine ziehen, wenn Grundwerte verletzt, vor allem aber wenn das versprochene Autonomie-Paket nicht innerhalb von sechs Monaten, also innerhalb Juni 2024, geschnürt und im Parlament in Rom eingebracht ist. Was aber, wenn das innerhalb dieser Frist nicht passiert? Lässt er die Koalition tatsächlich platzen oder wird man eine schöne Verlängerungsausrede finden?
Warum sägt Arno Kompatscher selbst am Ast seiner Glaubwürdigkeit?
Die Seele des Herrn Kompatscher verstehe ich schon lange nicht mehr.
Ein Posting
im Prinzip macht der Kompatscher nur das was die Österreicher vorher schon getan haben und tun; und jetzt ist in Österreich die SPÖ mehr rechts wie damals die ÖVP war
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