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Im Atelier „Studio Wall“ in Wien hat Linda ein zweites Zuhause gefunden, in dem sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann.

Im Atelier „Studio Wall“ in Wien hat Linda ein zweites Zuhause gefunden, in dem sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann.

„Es hat sich ausgezahlt, dass ich nicht viel geplant habe“ 

In diesem Heimweh-Artikel holen wir die Erfinderin der Erfolgsserie vor den Vorhang: Die Künstlerin Linda Steiner.

Es dauert ein paar Sekunden, dann erscheint Lindas Gesicht auf dem Zoombildschirm. Ein unaufgeregtes Lächeln auf den Lippen, ein schwarzer Lockenkopf, im Hintergrund grüne Pflanzen und eine gerahmte Zeichnung. Würde man das Bild für eine Sekunde festhalten, könnte es ein Werk der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo sein, die Linda Steiner schon lange sowohl aus künstlerischer als auch aus persönlicher Sicht inspiriert. 

„Frida Kahlo wird sehr oft als Referenz hergenommen, aber ich mag die Art, wie sie ihr Leben verarbeitet. Sie beschäftigt sich mit sich selbst und allem, was in ihrem Inneren ist, aber auch mit ihrem engen Umfeld und ihrer Familie“, schildert Linda. Das ist etwas, das auch Linda in ihrem eigenen künstlerischen Schaffen ausdrückt. Kunst hat für Linda unter anderem einen selbsttherapierenden Zweck. Sie hält sich selbst den Spiegel vor, doch anstatt nur die Oberfläche darzustellen, spürt sie viel tiefer in sich hinein. 

Linda Steiner ist auf Dolomitenstadt.at kein unbekanntes Gesicht - inzwischen arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in Wien.

Ihre eigenen individuellen und sehr persönlichen Themen in ihrer Kunst zu verarbeiten, helfe ihr einerseits, diese für sich einzuordnen und zu verarbeiten, andererseits sei es nicht immer ganz einfach, sich damit in die Öffentlichkeit zu wagen. „Inzwischen habe ich einen guten Weg gefunden, der es mir ermöglicht, Werke zu schaffen, die auch ohne die tatsächliche Information Sinn machen. Für Leute, die mir nahestehen oder welchen ich es erklären mag, gibt es noch eine Ebene darunter.“

Allgemein sind marginalisierte Gruppen in meiner Kunst ein Thema und als Frau gehöre ich ja so einer an.

Linda Steiner

Dass das „Sich-mit-sich-selbst-Auseinanderzusetzen“ (auch) schmerzt, spiegeln ihre Werke wider, sie regen zum Nachdenken und Diskutieren an. Ein Auseinandersetzen mit dem Selbst kann aber nie nur die persönliche Ebene betreffen: Linda greift neben ihrer eigenen emotionalen Ebene auch Themen aus ihrem Umfeld auf, die sie oder Personen, die ihr nahe stehen, beschäftigen. Dabei kommt sie an sozialen, gesellschaftspolitischen und feministischen Aspekten nicht vorbei: „Allgemein sind marginalisierte Gruppen in meiner Kunst ein Thema und als Frau gehöre ich ja so einer an.“ Dabei setzt sie auf inklusiven Feminismus: „Magarete Stokowski hat, finde ich, einen unheimlich sympathischen Zugang zu einem Feminismus, der sich gegen das System richtet und nicht gegen Männer“, erklärt Linda. 

Ein Werk, welches das Brückenschlagen zwischen der persönlichen Ebene und allgemeinen strukturellen Problematiken besonders ergreifend darstellt, ist Lindas bisher größte Skulptur: ‚Work Baby‘ heißt das sitzende doppelte Selbstportrait, das – würde es stehen – etwa fünf Meter groß wäre. Es geht um die Frage, was man (als Frau) in der Welt hinterlässt, welche Rolle eigene Kinder in der Selbstverwirklichung spielen, wie viel Selbstverwirklichung in Arbeit steckt, und mit welchen gesellschaftlichen Herausforderungen und Stigmata Frauen zu kämpfen haben, wenn sie sich für oder gegen eigene Kinder entscheiden. „Als Künstler:in hinterlässt du ja auch viele Werke in der Welt, die ein bisschen deine Babys sind“, schildert Linda. 

So herausfordernd es auch oft sei, diese sehr intimen Gedanken nach außen zu tragen, so wertvoll seien die Gespräche, die Linda mit Menschen führt, die ihre Werke sehen und sich mit ihnen auseinandersetzen: „Wenn man solche Dinge von sich preisgibt, erfährt man auch Geschichten von Menschen, die sie einem sonst nie erzählen würden.“

‚Work Baby‘ war einer von Lindas ersten Fußstapfen in die Welt der Skulpturen. Abgesehen von der Ausbildung an der Graphischen in Wien, bei der es vorwiegend um Grafikdesign ging, besuchte die gebürtige Osttirolerin nie eine Kunstuniversität: „Ich bringe mir die meisten Sachen selbst bei. Bei den Skulpturen arbeite ich viel mit Pappmaché, das kennt jeder Mensch aus dem Kindergarten“, lacht sie. Zum Teil gehe es ihr dabei wohl darum, zu sagen: „Wer braucht schon eine Uni, wenn man mit Kindergartentechniken auch spannende Sachen machen kann?“ Auf die eine oder andere Weise wäre sie, ob mit oder ohne Ausbildung an der Bildnerischen, wohl dort gelandet, wo sie heute steht, meint sie.

Ich hatte nie große Zukunftsvisionen, hab aber immer gewusst, dass ich irgendwas mit Kunst machen will.

Linda Steiner

Wo sie heute steht, das bedeutet im Fall von Linda: Mit beiden Füßen im selbstständigen Künstlerinnen-Leben. „Ich hatte nie große Zukunftsvisionen, hab aber immer gewusst, dass ich irgendwas mit Kunst machen will. Die Selbstständigkeit hat sich dann eher so ergeben“, erzählt sie. 2016 schloss sie sich einem Atelier in Wien an, jobbte nebenher in verschiedenen Bereichen, bis immer mehr Kunstprojekte an sie herangetragen wurden und sie merkte, dass sich Kunst und Arbeiten in Kombination nicht mehr ausgeht. 2020 wagte sie dann endgültig den Schritt in die Selbstständigkeit, um sich vollständig auf ihr künstlerisches Schaffen zu konzentrieren.

„Im Nachhinein bin ich froh, dass es so gekommen ist. In dem Atelier hab‘ ich eine total schöne Community gefunden. Wir haben klein angefangen und sind inzwischen 24 Künstler:innen.“ Um der kreativen Crew auch einen entsprechenden Rahmen zu bieten, wurde eine alte Wiener Klavierfabrik im 15. Bezirk angemietet: Große alte Holzfenster, sanftes Licht, groß- und kleinformatige Bilder, Farbtöpfe, Staffeleien, Pflanzen und auf 400 Quadratmetern auch ausreichend Freiraum für Inspiration und Kreation: Dass Linda sich in der bunten Mischung aus österreichischen und internationalen Künstler:innen, die die unterschiedlichsten Ideen mitbringen und mit den verschiedensten Techniken und Materialien arbeiten, wohl fühlt, sieht man ihr an. 

Linda Steiner mit zwei ihrer Kolleg:innen in ihrem Atelier 'Studio Walls' in Wien.

Auch sie lässt sich aus Sicht des verwendeten Materials und der Technik nicht in eine Schublade packen, das möchte sie auch nicht: „Ich habe lange Zeit gedacht, dass ich mich für eine Richtung entscheiden müsse, bin dann aber draufgekommen, dass das für mich nicht funktioniert.“ Grundsätzlich ist die Malerei etwas, das Linda schon lange begleitet, genauso finden sich unter ihren Werken allerdings auch Illustrationen, Digitale Kunst, Animationen, Drucke, StreetArt und in den letzten Jahren auch vermehrt Skulpturen. 

„Ich finde es wichtig, dass man flexibel bleibt und sich immer wieder selbst herausfordert“, erklärt sie ihren Ansatz. Wolle man seine Kunst verkaufen, sei es oft einfacher, immer ähnliche Sachen zu machen, „weil die Leute wissen wollen, was sie von dir bekommen. Ich hab´s probiert, aber dann akzeptiert, dass es für mich immer sehr divers bleiben wird.“ 

Divers sind auch die beiden Projekte, die in diesem Jahr auf Lindas Agenda stehen: Zum einen arbeitet sie derzeit an einer Skulptur, die ab März in der Kunstbrücke der RLB Lienz ausgestellt wird, zum anderen wird sie zum ersten Mal als Solokünstlerin beim Wiener StreetArtFestival Calle Libre vertreten sein. „In welche Richtung ich da gehen möchte, weiß ich noch nicht“, schmunzelt sie. Inspiriert fühle sie sich in der StreetArt momentan von südamerikanischen Künstler:innen, insbesondere von Milu Correch. „Das ist aber so wahnsinnig weit weg von meinem derzeitigen Skill-Level“, meint Linda mit der für sie typischen Bescheidenheit und Unaufgeregtheit, die sich durch das ganze Interview zieht und sich auch in Aussagen erkennen lässt, wie: „Natürlich hab´ ich auch als Kind schon viel und gern gezeichnet, aber welches Kind malt denn nicht gerne.“

Mit demselben Pragmatismus erklärt sie auch, wie vor zehn Jahren die Idee für die Heimweh-Serie auf Dolomitenstadt.at entstanden ist. Damals studierte sie bereits an der Graphischen in Wien und absolvierte ein Praktikum in der Redaktion. Wie viele andere in ihrem Alter fühlte sie sich wie zwischen den zwei Welten: Sie hatte sich bereits ein Leben in der Bundeshauptstadt weit weg von zu Hause aufgebaut und gleichzeitig durch ihre Familie und einige Freund:innen, die in Osttirol geblieben waren, einen starken Heimatbezug. Den Vorschlag, über diesen Balanceakt mit Gleichaltrigen zu sprechen und ihre Sichtweisen sowohl schriftlich als auch graphisch als Portraits festzuhalten, fand im Redaktionsteam und bald darauf auch in der Dolomitenstadt.at-Community großen Anklang. 

„Irgendwie ist es schon total cool, dass das so gut angekommen ist. Die Abschlussfeier, bei der die Firma Durst die gezeichneten Portraits gedruckt hat, war ja irgendwie meine erste Ausstellung“, erinnert sich Linda zurück. „Aber das Pensum war bei den ersten fünfzig Studierenden schon extrem, schließlich hab´ ich mir die Kontakte selbst zusammengesucht, die Interviews geführt und geschrieben und zusätzlich die Portraits gezeichnet“, lacht sie. 

Viele hätten sich damals in ihren Antworten auf die Heimweh-Frage eher vage gehalten, etwas, das Linda gut nachvollziehen konnte und kann. Für sich selbst hat sie jedenfalls für den Moment den richtigen Ort zum Leben gefunden und dass sie sich in ihrer derzeitigen Lebenssituation wohlfühlt, strahlt sie auch im Interview aus. 

Ich hab´ immer wieder Landflucht-Träumereien, die aber weniger in Richtung Osttirol gehen, dafür ist meine Wien-Liebe zu groß.

Linda Steiner

„Ich hab´ immer wieder Landflucht-Träumereien, die aber weniger in Richtung Osttirol gehen, dafür ist meine Wien-Liebe zu groß“, meint sie. Vielleicht ergebe sich ja irgendwann etwas in der Umgebung der Bundeshauptstadt, in der Linda nicht nur Inspiration findet, sondern auch ihre liebsten Menschen. „Es hat sich für mich bezahlt gemacht, dass ich nicht so viel geplant habe“, meint sie die letzten Jahre reflektierend, und so werde sie es wohl auch weiterhin halten: „Ich finde, dass es wichtig ist, flexibel zu bleiben mit den Erwartungen, die man an sich selbst und an sein eigenes Leben hat.“

Anna Maria Huber schreibt als freie Autorin nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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2 Postings

Bahner Bernd
vor 11 Monaten

Nachsatz : Natürlich gründete sich auch bei Dr. Riedl Intuition auf einem umfassenden Sachwissen, das er sich ua.an der Medizinischen Poliklinik ( Professor Polzer ) in Wien und als langjähriger Oberarzt im Kh Lienz erworben hat. Jedenfalls wird er mir immer als Vollblutmensch in lebendiger Erinnerung bleiben, als jemand ,den ich nun bei seiner bildnerisch tätigen Enkelin wieder zu erkennen glaube. Vielleicht führt sie ihr Heimatbezug auch wieder einmal auf eine Bergtour wie zum Stanziwurten, wo wir uns vor 4 Jahren mit ihrer Mutter Dr Elisabeth Steiner kurz begegnet sind.

 
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Bahner Bernd
vor 11 Monaten

Eine überzeugende, kraftvolle Künstlerin mit großen Versprechungen. Vieles erinnert mich da an ihren Großvater, den leider viel zu früh verstorbenen Arzt Dr. Erwin Riedl, auch ein Mensch mit großem Format und umfassender musischer Neigung. Ich habe immer seine Fähigkeit bewundert, bei oft wenigen medizinischen Informationenen zu einem schlüssigen Krankheitsbild des Patienten zu kommen, vielleicht zT auch ein Erfassen künstlerischer Natur.

 
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