Niedergeschlagene Stimmung und Freudlosigkeit, Interessensverlust, Antriebsminderung: das sind die Hauptsymptome einer Depression. Aber mal ehrlich, hat das nicht jeder schon mal erlebt? Selbst die möglichen Begleitsymptome wie vermindertes Selbstwertgefühl, pessimistische Zukunftsperspektiven oder Schlafstörungen sind den meisten von uns nicht fremd.
Woran erkennt man nun, ob es sich nur um eine vorübergehende Befindlichkeitsstörung als natürliche Reaktion auf negative Ereignisse handelt, oder um eine echte Depression? Wann sollte man zum Arzt? „Wenn die sogenannten Hauptsymptome länger als zwei oder drei Wochen andauern, dann rate ich zur Überprüfung beim Arzt,“ sagt Martin Schmidt, Psychiater und ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Lienz.
Im Dolomitenstadt-Podcast erklärt der Experte: „In der frühen Phase kann eine Depression von einer depressiven Reaktion im Sinne einer Anpassungsstörung nicht sicher unterschieden werden. Schließlich entscheidet der Verlauf darüber, ob eine depressive Reaktion oder eine depressive Episode vorliegt. Wesentlich ist dieser Unterschied eigentlich nur in Hinblick auf die Art der antidepressiven Behandlung.“
Bei einem Gespräch mit dem Arzt werden die Begleitsymptome ermittelt und dann wird nach einem international festgelegten diagnostischen Verfahren vorgegangen und je nach Dauer der Beschwerden und Anzahl der ermittelten Begleitsymptome eine leichte, mittelgradige oder schwere Depression diagnostiziert.
In den meisten Fällen werden Depressionen über einige Monate behandelt. Danach sind sie abgeklungen und oftmals sind sie damit ohne erneute Erkrankungsphase beendet. Werden Depressionen nicht behandelt, tendieren sie dazu, sich chronisch zu entwickeln.
Als Begleitsymptome können außerdem auftreten: Erhöhte Ermüdbarkeit, Schuldgefühle und Gefühl von Wertlosigkeit, verminderter Appetit, Gedächtnisstörungen, Sexuelle Funktionsstörungen, Angstzustände, somatische Beschwerden, Suizidgedanken, um nur einige zu nennen. Die Depression stürzt sich auf alles Schlechte, vergrößert es und hält den Erkrankten in dieser negativen Blase gefangen. Oft werden die belastenden Begleitsymptome behandelt und die dahinterstehende Depression, die eigentliche Ursache, bleibt unerkannt.
„Der Versuch von Menschen mit psychischen Erkrankungen die Fassade nach außen hin aufrecht zu erhalten, erfordert einen ungeheuren Kraftaufwand,“ sagt Wolfgang Rennhofer. Er ist Geschäftsstellenleiter der Selbsthilfe Osttirol und leitet die Selbsthilfegruppe „Lichtblicke“, wo sich Menschen mit seelischen Erkrankungen zum Austausch treffen.
„Der Versuch von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die Fassade nach außen hin aufrecht zu erhalten, erfordert einen ungeheuren Kraftaufwand.“
Wolfgang Rennhofer
Wie fast alle Leiter:innen der Selbsthilfegruppen ist auch Rennhofer Betroffener und weiß somit wovon er spricht. Er kennt die mit der Depression verbundene Scham und weiß, wie befreiend es ist, endlich über die eigene Erkrankung zu sprechen. Auch für Menschen, die niemals eine Gruppe besuchen möchten, ist die Selbsthilfe Osttirol Ansprechpartner, sehr oft sogar der erste. Schon ein anonymes Telefongespräch oder ein Gespräch unter vier Augen kann Betroffene entlasten.
Martin Schmidt ist von der wichtigen Funktion der Selbsthilfegruppen überzeugt: „Sie erreichen Menschen niederschwellig und vermitteln Menschen oft in Behandlung, die sonst gar nicht zum Arzt gehen würden. Sie klären auf, sie wirken in die öffentliche Meinung hinein und helfen Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen. Psychiatrische Erkrankungen sind aus meiner Sicht etwas völlig Normales, was man allein schon an der Häufigkeit ihres Auftretens erkennen kann.“
6,5 bis 8 Prozent der erwachsenen österreichischen Bevölkerung leiden aktuell an einer depressiven Erkrankung. Die Ein-Jahres-Prävalenz beträgt 9,8 Prozent. Das heißt, im Zeitraum von zwölf Monaten ist knapp jede(r) Zehnte im Land betroffen. Mit diesem Wert liegt Österreich im europäischen Mittelfeld.
Von österreichischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 10-18 Jahren sind rund 2,9 Prozent zu einem Zeitpunkt von einer depressiven Erkrankung betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person aus Österreich im Laufe ihres Lebens depressiv erkrankt, beträgt ca. 20 Prozent. Damit zählt die Depression zu den häufigsten Erkrankungen.
Im Podcastgespräch mit Martin Schmidt und Wolfgang Rennhofer geht es auch um die Ursachen für Depressionen und mögliche Behandlungen. Eine klare Antwort hat Martin Schmidt auf die zentrale Frage: „Kann es jeden treffen?“ – „Ja, es kann jeden treffen!“
In der Serie „Reden hilft“ stellen Evelin Gander und Sabine Buchberger die unterschiedlichen Angebote und Gruppierungen der Selbsthilfe Osttirol vor, die mit mehr als 40 aktiven Gruppen ein breites Auffangnetz für all jene anbietet, die sich mit einem Problem, einer Krankheit oder einem sozialen Anliegen alleine oder auch allein gelassen fühlen.
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Sich zunächst an eine Selbsthilfe zu wenden, halte ich für sinnvoll. Sie wird wohl nur solche Psychiater empfehlen, die wirklich helfen wollen. Klassischen Psychiatern ist ja eher danach zumute, nur mit Psychopharmaka ruhig zu stellen.
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