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„Ich habe viel an Gelassenheit gewonnen.“

Olivia Höffernig erklärt, warum man auf das Bauchgefühl hören und manchmal den Kopf ausschalten sollte.

„Wie bekommt man das eigentlich alles unter einen Hut?“, frage ich Olivia Höffernig irgendwann im Laufe des Interviews lachend, denn aus der gebürtigen Osttirolerin sprudeln nur so die Dinge, die ihren Alltag, aber auch ihr Herz füllen. „Es braucht schon ein gutes Zeitmanagement, aber man muss auch lernen, einmal ohne schlechtes Gewissen ‚Nein‘ zu sagen“, schmunzelt sie. Was ihr am meisten Angst mache, sei Stillstand. Die Ideen, welche neuen Projekte sie angehen könnte, gehen der gebürtigen Osttirolerin nicht aus. Nicht selten zeigt ihr dabei ihr Bauchgefühl den Weg, „obwohl der Kopf schon auch immer mitreden möchte“. 

Das begann schon mit der Wahl ihres Studiums: Nach der Matura entschied sie sich, Transkulturelle Kommunikation mit der Sprachkombination Englisch und Russisch in Graz zu studieren. „Warum ich mich für Russisch entschieden habe, kann ich bis heute nicht sagen“, lacht sie, das sei eine Eingebung gewesen. Da sie keine Vorkenntnisse in der slawischen Sprache hatte, besuchte sie während des ersten Semesters viermal pro Woche einen Grundkurs: „Wir mussten schreiben lernen wie Volksschulkinder, schließlich ist das kyrillische Alphabet ganz anders als unseres“, erinnert sie sich zurück. 

Olivia Höffernig hat Dolmetschen und Übersetzen studiert und unterrichtet inzwischen an einer HAK in Mödling und an der Uni Wien. Fotos: Privat

Mit dem Ziel, später als Dolmetscherin für Englisch und Russisch zu arbeiten, absolvierte sie die beiden Masterstudiengänge Dolmetschen und Übersetzen und nahm bereits während ihrer Ausbildung Übersetzungsaufträge an: „Ich habe ein Projekt mit tschetschenischen Flüchtlingen unterstützt, für ein Kärntner Pharmaunternehmen gedolmetscht, juristische Texte für UNHCR Wien übersetzt und auch sonst alles mögliche gemacht.“ 

Trotzdem sei es nicht ganz so einfach, sich als freiberufliche Dolmetscherin zu etablieren: „Ich habe während des Masterstudiums eine Zusatzausbildung im Bereich Sprachenlernen mit Erwachsenen gemacht, die spezifisch für Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen angeboten wurde, damit man sich so ein zweites Standbein aufbauen kann.“ Statt eines zusätzlichen Standbeins hat Olivia in dem Lehrgang allerdings etwas anderes entdeckt, nämlich ihre Leidenschaft für das Unterrichten: „Ich habe einfach gemerkt, dass ich wahnsinnig gerne anderen Menschen etwas beibringe. Auch wenn es Spaß macht, an einem Übersetzungstext zu tüfteln, möchte ich nicht ständig hinter dem Laptop sitzen.“ 

Ich habe einfach gemerkt, dass ich wahnsinnig gerne anderen Menschen etwas beibringe.

Olivia Höffernig

Mit den beiden Masterabschlüssen in der Tasche stand die Frage im Raum, ob sie sich tatsächlich noch einmal an etwas Neues heranwagen würde. „Ich habe mich damals in Graz total wohl gefühlt, hatte einen netten Freundeskreis und eine feine Wohnung. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das noch nicht alles war.“

Kurzerhand übersiedelte sie nach Wien und schrieb sich dort für das Lehramtsstudium für Englisch und Russisch ein. „Mir wurde einiges von meinen vorherigen Studiengängen angerechnet, aber nicht so viel, wie man vielleicht meinen könnte“, schmunzelt sie. Das erste Unterrichtspraktikum bestätigte sie darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und sie begann in ihrem zweiten Studienjahr an einer Mittelschule in einem inneren Bezirk in Wien zu unterrichten. 

„Das war schon eine sehr intensive Zeit, die Herausforderungen waren mannigfaltig: Es gab teilweise schwere Schicksale und es war nicht so einfach, nicht mit allem mitzuleben und sich in alles hineinziehen zu lassen“, erzählt Olivia. Die Doppelbelastung aus Unterrichten und Studium habe das nicht einfacher gemacht. „Aber es war eine wertvolle Zeit, die mich sehr geprägt hat“, schildert sie. 

Inzwischen unterrichtet die Osttirolerin an einer HAK in Mödling. „Mich dort zu bewerben, war auch eher eine Bauchgefühlsentscheidung. Ich habe überlegt, ob ich noch einmal ins Ausland gehe, aber ich unterrichte einfach viel zu gern“, meint sie. „Es ist kein Tag wie der andere, du stehst immer vor neuen Herausforderungen und die Zeit in der Schule geht immer wahnsinnig schnell vorbei.“ 

Im Lehramtsstudium ist sie inzwischen im Master angekommen und schreibt an ihrer Abschlussarbeit. Darin beschäftigt sie sich mit russischer Propaganda im Vorfeld des Ukraine-Krieges. Der Konflikt ist etwas, das Olivia auf mehreren Ebenen beschäftigt: „Ich war zweimal für drei Wochen in Russland auf einem Sommercamp der Uni und bin seitdem mit einer anderen Teilnehmerin gut befreundet. Den Kontakt zu halten, ist derzeit leider nicht so einfach“, erzählt sie.

„Auch an der Uni wird die Situation natürlich laufend thematisiert und in der Mittelschule habe ich die Auswirkungen des Konfliktes hautnah zu spüren bekommen“, schildert Olivia, "wir hatten eine eigene Klasse für ukrainische Kinder, in der ich unterrichtet habe“. Auch wenn die Situation nicht einfach sei, sei sie froh, einen Beitrag leisten zu können und die Schüler:innen zu unterstützen. „Manchmal war das eine absolute Reizüberflutung, weil die Kinder auf Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch mit mir gesprochen haben. Da konnte ich am Ende des Tages in keiner Sprache mehr einen geraden Satz bilden“, lacht sie. 

Reisen, zu Konzerten gehen, Freunde treffen und sich sportlich betätigen - auch wenn Olivia in ihrem Alltag eingespannt ist, bleibt noch Zeit für andere Dinge. "Das Leben will auch gelebt werden", meint sie.

Neben ihrer Anstellung als Lehrerin hält Olivia Seminare am Institut für Slawistik der Universität Wien. „Das hat sich zufällig so ergeben“, erzählt sie. Damit hat sich für sie ein Traum erfüllt: „Ich hab‘ mir schon während meines Dolmetsch-Studiums in Graz gedacht, dass ich irgendwann wahnsinnig gern in der tertiären Bildung tätig sein möchte.“ 

Ähnlich geht es ihr mit ihrem aktuellen Wohnsitz in Wien: „Daheim ist da, wo man sich wohl fühlt. Es war immer ein Traum von mir, in Wien zu wohnen, und den habe ich mir erfüllt. Vielleicht hab‘ ich irgendwann auch genug von der Großstadt, aber im Moment bin ich sehr gern hier.“ 

Manchmal muss man auch die Reißleine ziehen und Sachen gut sein lassen. Das Leben will auch gelebt werden.

Olivia Höffernig

Neben ihren Tätigkeiten als Lehrerin und Dozentin sowie dem Schreiben ihrer Masterarbeit bleibt dennoch Zeit für andere Dinge: „Manchmal muss man auch die Reißleine ziehen und Sachen gut sein lassen. Das Leben will auch gelebt werden“, meint sie. Reisen, Sport und Bewegung an der frischen Luft, Gespräche mit netten Menschen, Konzerte oder ein gutes Buch  -  langweilig wird Olivia nicht. „Wenn ich dann den Master fertig habe, möchte ich unbedingt noch eine Sprache lernen“, schildert sie. Das sei in letzter Zeit auf der Strecke geblieben: „Mit Englisch kommt man zwar überall weiter, aber es ist einfach etwas ganz anderes, wenn man auf Reisen ist und dann die Sprache des jeweiligen Landes spricht.“ 

Ihre persönliche Reise wird in jedem Fall ihre Leidenschaft für das Unterrichten, Sprachen sowie das ständige Dazulernen und Weiterentwickeln beinhalten. „Aber ich habe in den letzten Jahren viel Gelassenheit gewonnen und gelernt, dass es auch Raum für Eventualitäten braucht – denn auch wenn ich weit davon entfernt bin, planlos durch´s Leben zu gehen: Es kommt selten so, wie man denkt“, schmunzelt Olivia.


Zwischen 2014 und 2016 befragten die Künstlerin Linda Steiner und das Redaktionsteam von Dolomitenstadt mehr als hundert Studierende mit Osttiroler Wurzeln nach ihren Zukunftsplänen und -träumen. Wir nannten die Interviewserie „Heimweh“. Jahre später laden wir die Gesprächspartner:innen von damals in der zweiten Staffel Heimweh 2.0 erneut zum Interview. Was hat sich seither getan in dieser besonders spannenden Phase des Lebens?

Anna Maria Huber schreibt als freie Autorin nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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