„Aus den Bergen auf die hohe See“ lautete der Titel des Heimweh-Interviews mit Jasmin van der Woude vor fast zehn Jahren. Als ich die gebürtige Dölsacherin kontaktiere, bin ich gespannt, wo ihr Lebensweg sie hingeführt hat.
Ich erwische Jasmin bei unserem Video-Interview ganz „Amsterdam-like“ auf dem Fahrrad. Das mit der Technik klappt nicht ganz, ich sehe zwar die gebürtige Dölsacherin und hinter ihr die niederländische Hauptstadt im Dämmerlicht, nur hören kann ich nichts. Wir entscheiden uns ganz klassisch ohne Bild zu telefonieren und sie nimmt mich akustisch mit durch die nächtlichen Geräusche der Stadt.
Gerade ist sie auf dem Heimweg von einem Klettertraining, gemeinsam mit zwei weiteren Freiwilligen coacht sie eine Gruppe junger Mädchen in einer Boulderhalle. „Im Freien gibt es in Holland ja nicht so viele Möglichkeiten zu klettern“, lacht sie, während sie in die Pedale tritt. Der wöchentliche Kletterunterricht ist aber nur ein Mosaiksteinchen aus ihrem bunten beruflichen und privaten Alltag, wie ich im Laufe des Interviews erfahre.
Aber von vorne: Vor mehr als zehn Jahren hat es Jasmin für ein Studium in das Venedig des Nordens gezogen. „In Osttirol zu bleiben war für mich damals keine Option, ich wollte weg und am liebsten weit weg“, lacht sie. Da kam das Studium „Maritiem Offizier“ mit der Aussicht, auf Schiffen zu arbeiten und damit ständig unterwegs zu sein, wie gelegen. Wer dieses Studium an der Hogeschool van Amsterdam absolviert, hat im Anschluss die Möglichkeit, entweder als Steuerfrau bzw. – mann oder Maschinist:in an Bord eines Schiffes zu arbeiten.
Ich habe gedacht, ich hätte mich für ein englischsprachiges Studium inskribiert, schlussendlich war aber doch alles auf Holländisch.
Jasmin van der Woude
„Ich habe ganz lange überhaupt nicht gewusst, was ich machen sollte“, erzählt Jasmin. Heute könnte sie mit ihrer Studienwahl nicht zufriedener sein, obwohl sie zu Beginn vor einer sprachlichen Hürde stand: „Ich habe gedacht, ich hätte mich für ein englischsprachiges Studium inskribiert, schlussendlich war aber doch alles auf Holländisch“, schmunzelt die Dölsacherin. „Ich hab' dann gesagt, ich probier´s trotzdem und es hat schlussendlich auch funktioniert“, freut sie sich. Ihre Sprachkenntnisse beschränkten sich damals - trotz ihrer holländischen Wurzeln - auf einzelne Wörter.
Nach einem Praktikum auf hoher See spezialisierte sich Jasmin auf den technischen Part des Berufsfeldes und wandte ihre Expertise schon während ihres Studiums und auch nach ihrem Abschluss im Maschinenraum von Kreuzfahrtschiffen an. „Es ist allerdings ein recht harter Job, man ist immer vier Monate am Stück unterwegs und arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag“, erzählt sie. Zwar habe sie auf diese Weise bereits zweimal die Welt umrundet, „unsere Landgänge beschränkten sich allerdings auf eine Stunde während unserer Mittagspause, man sieht also quasi nichts von den Orten, bei denen das Schiff anlegt“, schildert sie.
Ein Unfall hat sie schließlich für ein Jahr an das holländische Festland gebunden. Inzwischen arbeitet sie seit mehr als fünf Jahren bei der Schiffswerft, bei der sie sich in diesem einen Jahr beworben hatte. „Die Werft baut Luxusjachten, als eine von dreien weltweit, die Yachten in dieser Größenordnung anbietet. Meine Aufgabe ist es, sämtliche Reparaturarbeiten an den Yachten entweder selbst durchzuführen oder zu koordinieren“, erklärt Jasmin. Von kaputten Pumpen, über nicht funktionierende Motoren bis hin zu Kino-Kopfstützen, die den Besitzern zu unbequem sind – Jasmins Aufgabe ist es, für alle Anliegen die optimale Lösung zu finden. Viele der Reparaturen werden im Amsterdamer Hafen durchgeführt, immer wieder kommt es aber auch vor, dass sie für Service-Leistungen um die halbe Welt reist.
Ihr berufliches Umfeld ist vorwiegend männerdominiert, „das hat Vor- und Nachteile“, meint Jasmin, die inzwischen den Service-Bereich der Werft leitet und immer mehr koordinative Aufgaben übernimmt. In Meetings werde sie manchmal gefragt, ob sie als Sekretärin zum Mitschreiben dabei sei. Bei herausfordernden Situationen mit Kunden habe sie dann wiederum oft das Gefühl, dass diese ihr gegenüber freundlicher seien als ihren Kollegen gegenüber. „Das nenne ich positiven Sexismus“, meint sie.
Auf See unterwegs zu sein geht ihr nur zum Teil ab: „Man ist schon lange unterwegs und sieht seine Arbeitskolleg:innen halt wirklich den ganzen Tag. Ich genieße es jetzt schon, abends heimzukommen und meine Ruhe zu haben.“ Aber nicht nur der Unfall und das Arbeitsumfeld zogen sie zurück auf den festen Boden: „Wenn man immer so lange weg ist, ist es auch schwierig, sich daheim etwas aufzubauen. Meine Beziehung ist in der Zeit gewachsen und ich wollte meine Freunde und meine Familie öfters sehen“, erklärt Jasmin.
Egal wie weit man von seiner Familie weg ist, sobald es nicht mehr einfach ist ‚nach Hause‘ zu fahren, steht man irgendwann vor der Frage, wo man sich eigentlich daheim fühlt.
Jasmin van der Woude
Mindestens zweimal im Jahr zieht es die Dölsacherin zurück nach Osttirol. Am meisten freut sie sich dabei darauf, Zeit mit ihrem kleinen Neffen zu verbringen. Wieder ‚daheim‘ zu leben ist für sie derzeit allerdings keine Option: „Vor etwas mehr als fünf Jahren hab ich auf dem halben Weg zwischen Amsterdam und Lienz bemerkt, dass es sich nicht mehr nach ‚heimfahren‘ anfühlt, sondern mehr nach Urlaub. Das war ein komisches Gefühl, weil sich damals auch Amsterdam nicht nach ‚zuhause‘ angefühlt hat und ich nicht wusste, wo ich hingehöre.“
Das ist inzwischen anders: Mit ihrem holländischen Freund, den sie liebevoll als ihren „schenen Lagl“ bezeichnet, bekam sie auch eine zweite Familie. Seine Amsterdamer Freunde erweitern nun Jasmins internationalen Freundeskreis. „Es ist einfach schön zu wissen, dass immer jemand da ist, wenn man einmal krank ist oder sonst etwas braucht und Freunde hat, die einem beim Siedeln helfen und selbst die schwere Couch ohne Murren in den fünften Stock tragen“, lacht sie. „Ich hab ein Lieblingscafé und ein Lieblingsbeisl, gehe zweimal in der Woche in den Amsterdamer Grachten Kajakfahren, bin Teil eines Buch- und eines Kinoklubs, gebe Kletterunterricht und genieße es, alles in zwanzig Minuten mit dem Fahrrad erreichen zu können“, schwärmt Jasmin.
„Egal wie weit man von seiner Familie weg ist, sobald es nicht mehr einfach ist ‚nach Hause‘ zu fahren, steht man irgendwann vor der Frage, wo man sich eigentlich daheim fühlt“, glaubt Jasmin. Sie hat ihre Antwort gefunden und sich vor kurzem sogar eine Wohnung in Amsterdam gekauft: „Die ist allerdings noch nicht gebaut, das heißt ich kann erst in zwei Jahren dann einziehen“, schmunzelt sie und meint: „Ich bin einfach glücklich so, wie´s gerade ist.“
Zwischen 2014 und 2016 befragten die Künstlerin Linda Steiner und das Redaktionsteam von Dolomitenstadt mehr als hundert Studierende mit Osttiroler Wurzeln nach ihren Zukunftsplänen und -träumen. Wir nannten die Interviewserie „Heimweh“. Jahre später laden wir die Gesprächspartner:innen von damals in der zweiten Staffel Heimweh 2.0 erneut zum Interview. Was hat sich seither getan in dieser besonders spannenden Phase des Lebens?
2 Postings
Tolle Serie. Ich freue mich, über tolle Menschen mit spannenden Lebenswegen zu lesen.
Danke für diesen wunderschönen Bericht über diese tolle junge Frau und ihrem hochinteressanten Lebensweg!
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