Nach unserem kurzen Abstecher über den Paso las Pampas nach Argentinien stoßen wir Ende Februar bei Villa Santa Lucía wieder auf die chilenische Carretera Austral, die südliche Fernstraße. Nun hat uns der südliche Herbst eingeholt. Es regnet, ist kalt und unfreundlich. Wir werfen uns gerade in unsere Regenkluft, als wir von Daniel angesprochen werden. Er hat etwas außerhalb des Ortes ein Grundstück am Fluss, auf dem Radler:innen gratis campieren dürfen. Noch sind wir nicht ganz überzeugt. Bei der Kälte und Nässe im Zelt auszuharren scheint uns zu ungemütlich. Immerhin sind wir schon zwei Monate durchgehend draußen unterwegs und ich sehne mich nach einem trockenen, warmen Schlafplatz. So trifft es sich gut, dass Daniel auch zwei Zimmer in seinem Haus vermietet.
Daniel spricht sehr gut Englisch, kommt eigentlich aus Santiago de Chile und ist vor drei Jahren hierher gezogen. Er ist ein Naturmensch, war früher als Bergführer tätig und hat das Grüne in Santiago vermisst. Jetzt lebt er etwas außerhalb von Villa Santa Lucía, einem 120 Seelen Dorf, am Rande des Regenwaldes. Mehr Grün geht kaum. Aber wir merken schnell, dass hier etwas fehlt. Daniel wirkt niedergeschlagen, fast depressiv. Seine Familie lebt weit entfernt. Im Dorf hat er zwar schnell Freunde gefunden, aber Gleichgesinnte sucht er hier vergebens. Wohl auch ein Grund, warum er sich vier Hunde und eine Katze auf seinem Grundstück hält. Unsere Anwesenheit tut ihm gut und da wir sowieso auf der Suche nach einem Platz zum Ausruhen waren, bleiben wir.
Mehr als drei Wochen verbringen wir bei Daniel und erfahren hautnah, was es bedeutet in dieser Abgeschiedenheit zu leben. Er hat sich sein Haus mit Hilfe von Nachbarn und ein paar Arbeitern selbst gebaut. Baumaterialien sind hier sehr hochpreisig und so ist vieles improvisiert und etwas unterdimensioniert. Der Anschluss an das örtliche Stromnetz wäre zu teuer. Ein kleines Solarpanel sorgt abends für spärliche Beleuchtung und wenn es genug regnet, können wir mit Hilfe einer Wasserturbine unsere Akkus laden. Deshalb und wohl hauptsächlich wegen der sozialen Kontakte fährt Daniel täglich ins Dorf um seinen Handyakku zu laden. Bei mehreren Dorfspaziergängen lernen wir die vielen kleinen Holzschindel-Häuschen und ihre Bewohner:innen kennen.
Villa Santa Lucía hat eine traurige Geschichte. 2017 hat eine riesige Mure das halbe Dorf verschüttet und über 20 Menschen das Leben gekostet. Ein Schicksalsschlag für die kleine Gemeinschaft. Noch immer liegt vieles unter Schutt begraben, Don Marios zweistöckiges Haus ist als einziges in der Umgebung stehen geblieben. Nebenan hat er ein kleines Museum eingerichtet. Viele Fotos dokumentieren die verheerende Verwüstung. Interessant ist, dass es seit diesem Ereignis keinen Alkohol im Dorf zu kaufen gibt aus Angst, die Leute würden sich ihren Kummer wegtrinken und zu Alkoholikern werden. Daniel führt uns zusammen mit anderen Reisenden in einer Tageswanderung zu der Stelle, wo die Mure herunter kam. Auch ein Teil des Gletschers ist damals abgebrochen. Die Verwüstungen sind schockierend. Früher war hier alles bewaldet, heute wandern wir auf einem riesigen Geröllfeld. Unglaublich welche Naturgewalt hier am Werk gewesen sein muss.
Wie viele andere Dörfer im Süden Chiles, wurde Villa Santa Lucía in den 80er Jahren von Soldaten besiedelt. Jene Männer, die die Carretera Austral bauten, waren die ersten Bewohner des Dorfes. Vorher war die Gegend nur per Pferd erreichbar und von einzelnen Bauern bewohnt. Wegen immer wieder aufkeimenden Grenzstreitigkeiten mit Argentinien hat der Staat großes Interesse daran, die Grenzregionen zu besiedeln und sorgt für Jobs bei der Gemeinde oder beim Straßenbau. Wie uns Daniel erzählt, wachsen die Orte im südlichen Patagonien schnell. Die Natur ist hier noch intakt und die Leute im Norden wollen raus aus den Städten. Die Preise für ein Stück Land steigen. Viele Ländereien werden aufgesplittet und in kleinen Teilen verkauft, nicht nur an Chilenen, sondern auch an Amerikaner und andere Ausländer. Viele träumen von der heilen Welt in Patagonien, merken allerdings schnell, dass es kein leichtes Unterfangen ist in der Einöde ein Haus zu bauen. Die Siedler haben sich ihre Häuser selber gebaut, es gibt weit und breit kaum Arbeiter und Baumaterial ist knapp und teuer.
Als Gegenleistung für die Unterkunft bauen wir zusammen mit Daniel einen Unterstand für Radler:innen. Bei dem häufigen Regen in der Gegend ist es gut, einen trockenen Platz fürs Zelt zu haben. Ferdi hat endlich einen Angelpartner gefunden und fängt seinen ersten großen Fisch. Ein paar Mal gibt es Lachsforelle und Regenbogenforelle zum Abendessen. Zudem freuen wir uns immer, wenn wir eine richtige Küche und einen Backofen zur Verfügung haben. Ich sorge für vegetarische Köstlichkeiten wie Erdäpfelpuffer, Lasagne oder Chili sin Carne.
Die beiden Männer toben sich beim Fleisch aus, auch Rinderherz und -zunge stehen am Speiseplan. Das kam so: Ein Nachbar von Daniel hat für Don Mario eine Arbeit verrichtet. Dafür wurde er in Rindfleisch bezahlt, einem ganzen Haufen Rindfleisch. Weil der Nachbar kein Auto besitzt, hat dieser Daniel beauftragt gemeinsam mit ihm und dem Haufen Rindfleisch in den übernächsten Ort, nach Puyuhuapi, zu fahren um das Fleisch zu verkaufen. Der Verkauf findet in einem eigens dafür eingerichteten Raum statt und wird extra im Radio angekündigt. Als Dankeschön für die Hilfeleistung wird Daniel vom Nachbarn mit Rinderherz und -zunge bezahlt. Ein gutes Beispiel für funktionierenden Zusammenhalt in dieser abgeschiedenen Gegend.
Nach drei Wochen bei Daniel zieht es uns wieder hinaus, aufs Fahrrad. Der letzte Teil der Carretera Austral führt durch den ehemals größten privaten Nationalpark des Landes, einst vom US-amerikanischen Millionär Douglas Tompkins gegründet, um den Regenwald zu schützen. Mittlerweile wurde der Park dem Staat übergeben, ist aber dennoch, im Gegensatz zu den meisten Nationalparks in Chile, frei zugänglich. Eine kurze, steile Wanderung bringt uns zum Krater des Vulkans Chaíten. 2008 sorgte ein überraschender Ausbruch für starken Ascheregen, der sich bis zum Atlantik ausbreitete und viele bleibende Spuren hinterließ. Der Fluss in Chaíten wurde verlegt, große Teile des Ortes zerstört und die Asche im südlichen Patagonien verstopfte Wassertränken für Kühe. Viele Tiere gingen zu Grunde und mit ihnen ganze Estancias. Ein weiteres Beispiel für die vorherrschenden Naturgewalten in diesem Teil der Erde.
Uns fehlt leider die Zeit um den Parque Pumalín genauer zu erkunden. Die Wettervorhersage für die nächsten Tage kündigt sehr viel Niederschlag an und so beeilen wir uns in den nächsten Ort zu kommen. Aber auch meine wiederkehrenden Knieprobleme zwingen uns zu einer Wanderpause. Beim Radeln habe ich erfreulicherweise keine Schmerzen. Nach Hornopiren müssen wir eine Fähre nehmen, die Mittags abfährt. Also stehen wir früh auf, um am Vormittag den uralten Alercebäumen einen Besuch abzustatten.
Mitten im Regenwald stehen sie da, die ältesten unter ihnen schon 3000 Jahre lang. Ehrfürchtig berühre ich die Rinde der Riesen und blicke in deren Braumkronen, viele viele Meter über mir. Schon ganz zu Beginn, als die Idee für eine gemeinsame Reise entstand, war es unser innigster Wunsch, eines Tages nach Patagonien zu reisen und gemeinsam unter diesen Giganten zu stehen. Nun sind wir tatsächlich hier und dankbar für diesen schönen Moment. Wir haben uns einen Traum erfüllt.
Pünktlich erreichen wir die Fährstation und überqueren wieder mal einen Pazifikfjord. In Hornopiren angekommen herrscht patagonisches Wetter, Dauerregen. Der Campingplatz hat zum Glück überdachte Zeltplätze, doch unser nasses Gewand trocknet unter diesen Bedingungen selbst nach zwei Tagen nicht. Die Besitzerin ist so freundlich und hängt es im Haus neben den Ofen. Beim Verlassen der Stadt hat sich der Regen gelegt, wir blicken zufällig zurück und staunen über einen riesigen, wunderschönen Vulkan, der die letzten Tage regenverhangen nicht zu erblicken war.
Nach zweieinhalb Monaten verlassen wir nun endgültig die Carretera Austral, die nur noch ein kurzes Stückchen Richtung Puerto Montt weiterführt und biegen Richtung Argentinien ab. Eine abenteuerliche Grenzüberquerung über einen Wanderweg wartet auf uns. Ein bisschen Luft aus den Reifen lassen und ab auf die Schotterpiste. Nach einem ausgiebigen Mittagsmenü in Rio Puelo erreichen wir gerade noch rechtzeitig die letzte Fähre über den Tagua Tagua See. Auf der anderen Seite angekommen schlagen wir unser Nachtlager im Warteraum der Fährstation auf. Der nächste Tag ist verregnet und so verbringen wir ihn Mate trinkend und lesend im und um das Wartehäuschen. Ich staune nicht schlecht als ich gerade mit einem Mate in der Hand am Stiegengeländer sitze und auf den Fluss unter mir blicke.
Plötzlich taucht ein Helikopter auf, landet am gegenüberliegenden Flussufer, setzt zwei Leute ab und hebt wieder ab. Keine zehn Minuten später wiederholt sich das Prozedere. Die vier "Ausgesetzten" besteigen ein Fischerboot, das schon seit einiger Zeit am Ufer wartet und sie nun auf ihren höchst privaten Angelausflug mitnimmt. Ein paar Stunden später kehren die Luxustourist:innen mit einem stattlichen Fisch zum Ufer zurück und werden bald darauf vom Helikopter abgeholt. Das hier ist bei weitem kein Einzelfall. Andere Radler:innen berichten von reichen Tourist:innen die sich zum Sonnenuntergang auf einen abgeschiedenen Berg fliegen lassen um in Campingstühlen bei einem Gläschen Wein das schöne Panorama zu genießen.
Für uns geht es per Rad weiter bis wir am Ende des Tales das Ufer des Lago Puelo erreichen, wo wir im Dunkeln das Zelt aufschlagen. Wir wollen das erste Boot über den See nicht verpassen, also heißt es früh aufstehen. Oscar ist gewillt uns mitsamt unseren Rädern bis zur Grenzstation und noch ein gutes Stück weiter zu bringen. Ferdi hilft die Fahrräder in das kleine Motorboot zu laden und los geht die Fahrt. Noch ist es kalt und nebelig, aber ich genieße die kurze Fahrt und die Aussicht.
Wir werden am Steg der Grenzpolizei abgesetzt und Oscar braust davon, um uns in einer Stunde wieder aufzusammeln. Währenddessen wandern wir eine viertel Stunde über einen steilen Steig hinauf zur chilenischen Grenzstation, einem einsamen Gebäude auf einem freien Stück Wiese mit Blick über den See. Wie immer in Chile dauert es, bis die Formalitäten erledigt sind. Beim letzten Grenzübertritt haben wir sogar unsere Fahrräder mit Marke, Farbe und Seriennummer registrieren müssen.
Zurück am Steg warten wir auf Oscar und sein Motorboot, das uns noch ein gutes Stück weiter Richtung Argentinien bringt. So ersparen wir uns acht Kilometer schwierigen Wanderweg. Beim Steuern des Bootes fällt uns sein verbogener Arm auf. Eine Verletzung vom Pferderodeo, erklärt er uns. In einer kleinen Bucht ist dann Endstation, ab hier müssen wir zu Fuß weiter. Der Steig ist richtig anspruchsvoll, wir müssen unsere Räder über viele Felsen heben und es ist bereits früher Nachmittag, als wir Argentinien erreichen und den Beamten der ebenfalls weit abgelegenen Grenzstation unsere Pässe entgegenstrecken. Die zweite Hälfte des elf Kilometer langen Wanderweges ist anfangs sehr steil, sodass wir die Räder zu zweit schieben. Doch gegen Ende können wir sogar einiges radeln. In der Dämmerung stehen wir vor einem breiten Fluss und finden keine passende Stelle, um ihn zu durchqueren.
Wir suchen uns einen halbwegs geeigneten Zeltplatz und verbringen die Nacht dort. Unsere Essensvorräte sind fast gänzlich aufgebraucht und so besteht unser Abendessen aus einem alten Stück Brot und einem Müsliriegel. Am nächsten Morgen wird es nicht besser, es beginnt zu regnen, dann zu schütten. Wir suchen nach einer Möglichkeit, den Fluss zu durchqueren. Es ist kalt, regnet und stürmt. Das Wasser reicht mir bis zu den Knien und die Strömung ist stark, zu stark um die Fahrräder einfach durchzuschieben. Also läuft Ferdi hin und zurück, fünfmal durch den Fluss, um zuerst die Taschen, dann die Räder hinüber zu tragen. Am Schluss bin ich dran, Hose aus, Sandalen an und ab durch das kalte Wasser.
Zwanzig Kilometer radeln wir noch durch das nass-kalte Wetter, bis wir in El Bolson, unserem Tagesziel, ankommen. Auf Empfehlung einer Bekannten suchen wir Unterschlupf im Earthship Hostel und tauschen unser nasses Zelt gegen ein Stockbett in einer Jurte. Earthships gibt es mittlerweile in vielen Ländern der Erde. Sie werden aus natürlichen und recycelten Baumaterialien hergestellt und sind weitgehend energieautark.
Mit einem guten artesenal Bier, so heißt hier das Craft Beer, stoßen wir auf die überstandene Grenzüberquerung an und sind uns einig, dass wir diese sicherlich nicht an andere Radreisende weiterempfehlen werden. Schließlich wollen wir 'auf' dem Rad und nicht 'mit' dem Rad reisen. El Bolson ist eine gemütliche Stadt, wohl so etwas wie die Hippie-Hochburg Argentiniens. Es ist Osterwochenende und wir gönnen uns ein köstliches veganes Essen in einem netten Restaurant. Außerdem gibt es jeden Abend ein veganes Gemeinschaftsessen im Hostel. Dort lernen wir auch Dan, einen englischen Radreisenden kennen. Wir verstehen uns auf Anhieb, tauschen unsere Nummern aus und wollen uns in Argentiniens Norden wieder treffen.
Kurz nach El Bolson treffen wir eine französische Familie, die mit ihren drei Kindern ebenfalls auf Radreise ist. Eine sehr inspirierende Begegnung und selbst uns erstaunt es, wie sie mit ihren zwei Tandemfahrrädern und einem Anhänger auf den schlechten Straßen unterwegs sind. Die größte Herausforderung, so erzählen sie uns, ist es, neben dem Reisealltag auch noch den Schulunterricht unterzubringen. Die Kinder sind sehr aufgeweckt und gut gelaunt und wir bedauern es, dass wir nicht den gleichen Weg haben. Während sie auf der Hauptstraße weiterfahren, biegen wir auf den sogenannten "Patagonian Beer Trail" ab, eine schöne, abgelegene Alternativroute.
Der Name ist etwas irreführend. Am Anfang und Ende der Orte gibt es zwar ein paar kleine Brauereien, aber am eigentlichen Trail ist kein Bier zu finden. Die Strecke führt in den ersten Tagen entlang stillgelegter Bahngleise des seit Jahrzehnten eingestellten "Patagonian Express", der übriges alles andere als ein Express war und, so erzählt man sich, so langsam dahin gedampft sei, dass die Fahrgäste ausstiegen und nebenher gehen konnten. Dann verlassen wir die Bahntrasse und es geht einsam in die Berge und über einen Pass. Wir haben riesigen Spaß! Bei uns daheim würden wir so eine Route wohl nur mit einem Mountainbike und ohne Gepäck radeln, aber hier macht es uns nichts aus und wir können bis auf wenige steile Abschnitte alles radeln.
An meinem Geburtstag wache ich mitten im Nirgendwo in den patagonischen Bergen auf. Auch wenn wir hier keinen Internetempfang haben und die Glückwünsche ein paar Tage warten müssen, möchte ich gerade nirgendwo anders auf der Welt sein. Die angenehme Stille und die faszinierende Landschaft um uns herum zaubern mir ein Lächeln in mein von der Kälte rot gewordenes Gesicht. Es ist April und somit Herbst auf der südlichen Halbkugel. Bei minus sechs Grad Celsius in der Früh aus dem Zelt zu klettern ist eine Überwindung. Doch die allermeisten Tage sind sonnig und so warten wir jeden Morgen geduldig, bis die Sonne über die Bergspitzen blinzelt, unser Zelt auftaut und uns so viel Wärme spendet, dass wir aus unseren kuscheligen Schlafsäcken schlüpfen können. Manchmal haben wir Glück und finden einen tollen Zeltplatz mit Lagerfeuerstelle, die wir nicht nur für die kalten Nächte sondern auch für die fröstelnden Morgen nutzen. Frühstück am Lagerfeuer ist schon etwas Besonderes.
Mit ca. 140.000 Einwohnern ist Bariloche für patagonische Verhältnisse eine große Stadt und vor allem wegen seiner umliegenden Seen und Skigebiete bekannt. In Reiseführern liest man von der Schweiz Südamerikas. Die Straßen sind schmal, sehr steil und es herrscht viel Verkehr. Zum Radfahren nicht wirklich geeignet. Wir hatten auch nicht vor, hier zu verweilen, aber wir haben ein größeres Projekt geplant und hoffen hier die richtigen Materialien dafür zu finden. Außerdem haben wir von einem tollen Warmshowers Gastgeber ein paar Kilometer außerhalb vom Stadtzentrum gehört.
Miguel Nitzsche ist ein Fahrradfanatiker und eine wandelnde Fahrradenzyklopädie. Sein Interesse gilt alten Rennrädern. Über viele Jahre hat er verschiedenste Exemplare gesammelt, restauriert und ein eigenes kleines Museum dafür gebaut. Wir sind fasziniert und hören gespannt zu, wenn Miguel über seine historischen Räder spricht. Er kauft nicht nur gerne besondere Fahrräder, sondern baut auch selbst welche. Bei einer Fahrrad-Demo durch Bariloche bekommen wir sogar die Gelegenheit, ein echtes Nitzsche Tandem auszuprobieren.
Beim Radeln des "Patagonian Beer Trails" ist uns, wie schon so oft, aufgefallen, wie gern wir auf solch einsamen Bergrouten unterwegs sind. Mit unseren Tourenrädern und vor allem den klassischen Packtaschen kommen wir dabei oft an die Grenzen. Die Vorderradtaschen hängen sehr tief und bei schmalen Pfaden bin ich des öfteren hängen geblieben. Außerdem sind unsere Taschen nie ganz voll und wir schleppen ungenutzten Stauraum mit uns herum. Deshalb wollen wir unser Setup ein bisschen mehr auf Bikepacking umstellen. Das heißt kleinere, leichtere Packtaschen die mittels Riemen am Fahrrad festgemacht werden und somit weniger klappern. Wie wir schnell feststellen, ist dieses Unterfangen in Argentinien kaum zu bewerkstelligen. Gute Ausrüstung ist schwer zu finden und wegen hoher Importzölle außerordentlich teuer. Immerhin haben wir Glück, bei Miguel gelandet zu sein. Als Rahmenbauer kennt er sich aus und lötet uns zwei weitere Gewindeösen an die Fahrradgabel. Daran werden wir später die Halterung für unsere neuen Packtaschen anschrauben.
Miguels zweite große Leidenschaft ist die Musik. Er spielt Klarinette und Saxophon in einem Tango Orchester und gemeinsam mit seiner Tochter in einem Saxophon Quartett. Zweimal dürfen wir ihn bei Konzerten live erleben und erfreuen uns an zwei wunderbaren Kulturabenden. Mittlerweile haben wir unsere Ausrüstungssuche auf Chile ausgedehnt und einen vielversprechenden Hersteller von Bikepacking-Taschen gefunden.
Eine Antwort auf meine E-Mail kommt prompt und dazu auch gleich die Einladung, ein paar Tage in der Werkstatt zu verbringen. Ich bin selbst leidenschaftliche Näherin und freue mich riesig über das Angebot, gemeinsam an neuen Fahrradtaschen zu arbeiten. Somit ist die Entscheidung getroffen und wir werden nach Santiago de Chile fahren. Eine Großstadt, die eigentlich überhaupt nicht in unserer Routenplanung vorkam, aber leider die einzige Möglichkeit bietet, an vernünftiges Equipment zu kommen. Noch dazu wartet das neue Objektiv für meine Kamera darauf, abgeholt zu werden. Wir haben es vor Wochen bestellt und an Daniels Cousin in Santiago schicken lassen.
Bevor wir aufbrechen, suchen wir noch nach einer Möglichkeit, unsere Daunenschlafsäcke per Hand zu waschen, finden aber nichts besseres, als eine alte rostige Schubkarre, die wir mit einer dicken Plastikplane auskleiden. Die Wäsche tut den Daunen gut, sie sind wieder um einiges flauschiger und wärmer. Auch unsere Fahrräder haben einen Service bekommen, die Lager sind gereinigt und neu geschmiert. Nachdem auch alle Löcher im Gewand gestopft sind, wird es Zeit unsere tolle Warmshowers Unterkunft zu verlassen.
Eigentlich wollten wir ab Bariloche noch den zweiten Teil vom "Beer Trail" radeln, doch der Winter steht vor der Türe, die Tage werden nässer und kälter und wir wollen uns beeilen, in den wärmeren Norden zu kommen. Also besorgen wir uns zwei große Fahrradkartons, verpacken unsere Räder und nehmen den Bus via Mendoza nach Santiago de Chile.
2 Postings
Wie immer... ganz großartig!
an den roten daumen: wenn´s eine persönliche abneigung ist dann artikulier das auch bitte!
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