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Das Südtiroler Landesparlament wird sich nach der Wahl am 22. Oktober stark verändern. Foto: Südtiroler Landtag

Das Südtiroler Landesparlament wird sich nach der Wahl am 22. Oktober stark verändern. Foto: Südtiroler Landtag

Südtirol wählt: Wie stark wird das politische Erdbeben?

16 Listen rittern um Stimmen und Mandate. Die SVP wird dennoch wieder den Landeshauptmann stellen. Ein Überblick.

Spannend. Richtungsweisend. Schicksalhaft. Mit solchen Adjektiven werden in Analysen und Beobachtungen die am Sonntag anstehenden Landtagswahlen in Südtirol betitelt. Es sind die 17. seit 1948 – und auch wenn die Vorzeichen für sie denkbar ungünstig stehen, eines steht bereits jetzt fest: Die Südtiroler Volkspartei (SVP) wird auch nach dem 22. Oktober 2023 den Landeshauptmann stellen und die Landesregierung anführen. Zum 17. Mal seit 1948. Offen wie nie ist jedoch die Frage, wen sich die SVP mit ins Boot holen wird – oder muss. Sollte das Wahlergebnis so ausfallen wie die Umfragen, deren Resultate vor der Wahl veröffentlicht wurden, tun sich gleich mehrere Koalitionsoptionen auf. Theoretisch zumindest. Denn die SVP tendiert bei ihrer Partnerwahl klar in eine Richtung: nach rechts außen.

Zahlen und Fakten

488 Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich heuer der Wahl zum Südtiroler Landtag. Auf 16 Listen – so viele gab es erst ein Mal, 1993. War es früher das italienischsprachige Lager, das stark zersplittert auf- bzw. antrat, gibt es nun eine große Parteienvielfalt auch auf deutschsprachiger Seite – neben politischen Kräften ohne klare ethnische Positionierung. Gewählt wird am Sonntag, 22. Oktober, von 7 bis 21 Uhr. Wahlberechtigt sind 432.156 Personen, rund 8.000 mehr als vor fünf Jahren.

Die SVP tendiert bei ihrer Partnerwahl klar in eine Richtung: nach rechts außen.

Die 35 Sitze im Südtiroler Landtag werden alle fünf Jahre nach reinem Verhältniswahlrecht vergeben. Der kleinsten Sprachgruppe im Land, den Ladinern, ist eine Vertretung im Landtag garantiert. Der Landeshauptmann wird in Südtirol, anders als im restlichen Italien (mit Ausnahme der Region Aosta) und auch im benachbarten Trentino, nicht direkt gewählt. Laut Autonomiestatut müssen in der Landesregierung die deutsche und italienische Sprachgruppe gemäß ihrer Stärke im Landtag vertreten sein. Für die seit 75 Jahren herrschende Südtiroler Volkspartei bedeutet das, dass sie, selbst wenn es das Wahlergebnis zuließe, nicht alleine regieren kann, sondern italienische Koalitionspartner braucht. Bei deren Kür lässt sich die SVP mittlerweile nicht (mehr) von Werten leiten, sondern davon, wie zahm und handelbar der Partner und entsprechend leicht das Durchregieren für die SVP selbst ist.

Bis 2013 regierte die Volkspartei Südtirol mit absoluter Mehrheit. Vor zehn Jahren – nach dem Ende der ein Vierteljahrhundert dauernden Ära von Landeshauptmann Luis Durnwalder – erhielt die SVP immerhin noch 45,7 Prozent, aber erstmals weniger als 18 Sitze. 2018 verlor sie weiter an Zustimmung – 41,9 Prozent – und kam nur mehr auf 15 Sitze. Dank einer Koalition mit der Lega, die, auf der Erfolgswelle des damaligen Innenministers Matteo Salvini schwimmend, vier Mandate erzielte, konnte die SVP schließlich doch recht reibungslos fünf Jahre lang regieren. Nach dem 22. Oktober 2023 aber könnte es für die Volkspartei deutlich schwieriger werden, ein mehrheitsfähiges Bündnis auf die Beine zu stellen. Denn zum ersten Mal könnte sie auch auf einen deutschsprachigen Regierungspartner angewiesen sein.

Alte und Neue

Neben der SVP treten am 22. Oktober weitere neun Listen an, die bereits im Südtiroler Landtag vertreten sind: das sozial-liberale Team K, das 2018 auf Anhieb mit sechs Landtagsabgeordneten zur stärksten Oppositionskraft wurde; die Öko-Partei der Grünen, die drei Abgeordnete stellt; die deutschen rechts-patriotischen Parteien Freiheitliche und Südtiroler Freiheit mit jeweils zwei Abgeordneten; die italienischen Linksparteien Demokratische Partei und Fünf Sterne Bewegung (je ein Abgeordneter); die Ableger der nationalen Rechtsparteien Lega (nach einem Abgang auf drei Abgeordnete geschrumpft), Forza Italia und Fratelli d'Italia (alle ein Abgeordneter).

Daneben stellen sich ganze sieben Bewegungen zum ersten Mal einer Landtagswahl: mit JWA, Enzian und Vita gleich drei Kräfte, die aus dem Protest gegen die Corona-Politik hervorgegangen sind; Für Südtirol mit Widmann, gegründet vom langjährigen SVP-Exponenten Thomas Widmann, der nach einem Zerwürfnis mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und seinem Rücktritt als Gesundheitslandesrat 2023 die SVP verlassen hat; La Civica, ein loses Bündnis italienischer Bürgerlisten von Mitte-Rechts; die italienische Rechtspartei Centro Destra, angeführt von einem ehemaligen Lega-Parlamentarier.

Rechte Aussichten

Zwei Umfragen wurden in den Wochen vor den Landtagswahlen in Südtirol durchgeführt und veröffentlicht, von der Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) und der Tageszeitung des Medienkoloss Athesia Dolomiten. Für diese Momentaufnahmen wurden jeweils 1.000 Personen befragt. Demnach erwartet die SVP am 22. Oktober ein „Debakel“ (SWZ) und bei der Koalitionsbildung eine „Wackelpartie“ (Dolomiten). In beiden Umfragen verliert die Volkspartei deutlich und kommt nur mehr auf 32 bis 35 Prozent. Das wären zwölf bis 13 Sitze im Landtag.

Auch wenn vor den Wahlen nicht explizit als Wunschpartner genannt, so ließen sowohl SVP-Obmann Philipp Achammer als auch Landeshauptmann Arno Kompatscher bereits durchklingen, dass es kein Veto gegen eine Regierungsbeteiligung der postfaschistischen Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, den Fratelli d'Italia, geben wird. Um die lange minderheiten- und autonomiefeindliche Kraft in die Landesregierung zu holen, werde man in der SVP schon eine Rechtfertigung finden, zeigte sich der Bozner Politologe und Meinungsforscher Hermann Atz in einem Interview mit der SWZ im Juni überzeugt: „In Salzburg hat die ÖVP gerade eine Koalition mit der FPÖ geschlossen – ein Bündnis, das die ÖVP zuvor ausgeschlossen hatte. Es findet sich schon ein Argument, warum das geht.“

Trotz schwindender Zustimmung präsentiert sich die SVP weiterhin als alleinige Vertreterin der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit im Land.

Doch die Fratelli kämen laut Umfragen auch gemeinsam mit den beiden anderen italienischen Rechtsparteien Lega und Forza Italia nur auf vier bis sechs Mandate. Im besten Fall ergäbe das eine Mehrheit von 19 Sitzen. Das ist allerdings eine sehr vorsichtige Prognose. Reichen die Stimmen für SVP und italienische Rechte nicht für eine halbwegs komfortable Mehrheit, müsste sich die Volkspartei eine deutschsprachige Kraft mit in die Regierung holen. Doch das will die SVP um jeden Preis verhindern: Trotz schwindender Zustimmung präsentiert man sich weiterhin als alleinige Vertreterin der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit im Land.

Außerdem: Wer würde für eine Koalition in Frage kommen? Laut den beiden Umfragen kämen Team K und Grüne jeweils auf vier Sitze. Doch gegen beide herrscht SVP-intern große Abneigung. Die Liste des abtrünnigen Ex-Landesrats Widmann könnte bis zu zwei Sitze erzielen, doch „bei der Tür hinaus und durchs Fenster wieder hinein“ will man Widmann nicht lassen, wie Arno Kompatscher im APA-Interview betont.

Sein Tiroler Amtskollege Anton Mattle kennt das Gefühl schmerzlicher Stimmenverluste bereits. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher hat es noch vor sich. Foto: Expa/Groder

Für Kompatscher, der als SVP-Spitzenkandidat antritt, wird es aufgrund einer gesetzlichen Beschränkung die dritte und letzte Amtsperiode als Landeshauptmann sein. Den SVP-Granden genehm und in eine Regierung mit den italienischen Rechten wohl am besten passend wären aus dem deutschsprachigen Lager die Freiheitlichen. Sollten sie, den Umfragen gemäß, zwei Sitze erlangen, könnten sie als Mehrheitsbeschaffer herangezogen werden.

Angst vor dem Unbekannten

Die Angst vor diesem unbekannten Szenario innerhalb der SVP wird in den letzten Tagen des Wahlkampfs deutlich: Obwohl innerparteiliche Risse und Zerwürfnisse in den vergangenen fünf Jahren immer deutlicher wurden, beschwört die Volkspartei kurz vor den Wahlen demonstrativ Geschlossenheit und Zusammenhalt. Da wird vor einem drohenden „Parteien-Chaos“, vor „Instabilität“ gewarnt und mit Slogans wie „keine Experimente“ und „Südtirol muss regierbar bleiben“ um Stimmen geworben. „Das Ziel ist, mit möglichst wenigen Partnern zu regieren und möglichst mit einem oder mehreren italienischen Koalitionspartnern“, sagt Parteiobmann Achammer in einem von der Neuen Südtiroler Tageszeitung organisierten Streitgespräch offen.

Dass ganze 16 Listen bei den heurigen Landtagswahlen antreten, stellt man als Gefahr für das Land hin. „Nur ein gutes Wahlergebnis für die SVP ist gut für Südtirol“, sagte Kompatscher beim Wahlkampfauftakt seiner Partei Ende September, bei der auch Tirols ÖVP-Landeshauptmann Toni Mattle anwesend war. Die Zersplitterung, die es laut SVP absolut zu vermeiden gelte, sieht der Politologe und Meinungsforscher Hermann Atz völlig anders: „Sind 16 Parteien das Ende der Demokratie, wie jetzt sehr oft gesagt wird? Nein! Das ist der Beweis, wie vielen Menschen das Politische nach wie vor ein Anliegen ist.“ Insgesamt sei es „ein gutes Zeichen“, dass sich so viele Listen, Kandidatinnen und Kandidaten für den Landtag bewerben, attestierte Atz vor Kurzem bei einer Diskussionsrunde der Spitzenleute für die Wahlen des Wochenmagazins ff.

Die Frage der Motivation

Atz geht, wie auch die SVP-Leute selbst, davon aus, dass die SVP am 22. Oktober Stimmen verlieren wird: „Die Frage ist, wie hoch und wie schmerzhaft der Verlust ist.“ Dass die Wahlbeteiligung angesichts der großen Auswahl steigen wird, kommentiert der Politologe verhalten: Der langfristige Trend zeige nach unten – 2013 lag die Beteiligung bei den Landtagswahlen südtirolweit bei 77,7 Prozent. 2018 bei 73,9 Prozent – und „es ist damit zu rechnen, dass die Beteiligung um ein bis drei Prozentpunkte zurückgeht. Vor allem auch deshalb, weil es nicht wirklich eine Alternativwahl ist“. Man kenne den relativen Wahlsieger bereits und es gebe auch „keine Alternative zu einer SVP-geführten Landesregierung in der nächsten Legislaturperiode“ – das wirke sich nicht vorteilhaft auf die Motivation aus, wählen zu gehen.

Neben der Wahlbeteiligung gibt es noch weitere Unbekannte: Die italienischsprachige Bevölkerung orientiert sich bei Wahlen in Südtirol großteils an den nationalen politischen Verhältnissen. Laut aktuellen Umfragen genießt die Regierungspartei Fratelli d'Italia derzeit eine noch größere Zustimmung als bei den Parlamentswahlen im September 2022 und kommt auf 28,7 Prozent (+2,7 Prozentpunkte). Dieser Aufwind könnte den Fratelli in Südtirol ein deutlich besseres Ergebnis als das der Umfragen bescheren. Zumal die Meloni-Partei inzwischen öffentlich für eine Regierungsbeteiligung in Südtirol wirbt. Auch die Verteilung der Restmandate könnte noch zu Überraschungen führen und der SVP in die Karten spielen – etwa, wenn eine der italienischen Mitte-Rechts-Kräfte ein solches Mandat erringt und sich für die Bildung der Mehrheit gewinnen lässt.

Über allem schwebt die Tatsache, dass laut den beiden aktuellsten Umfragen von SWZ und Dolomiten ein Viertel der Befragten noch nicht weiß, wem sie am 22. Oktober ihre Stimme geben werden. Wahlforscher Atz geht davon aus, dass die Unentschlossenen „schon noch einiges bewegen können, aber alles komplett verschieben wird sich nicht“. Was in Südtirol tatsächlich in Bewegung kommt, wird man in der Nacht von Sonntag auf Montag wissen: Mit der Auszählung der Stimmen wird gleich nach Schließung der Wahllokale begonnen.

Lisa Maria Gasser schreibt als freie Journalistin unter anderem für salto.bz und Die Zeit. Auf dolomitenstadt.at berichtet sie über aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Südtirol.

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