Am 22. Oktober steht Südtirol eine der spannendsten Landtagswahlen aller Zeiten ins Haus. Die seit Jahrzehnten dominierende Südtiroler Volkspartei (SVP) steht mit dem Rücken zur Wand. "Es ist realistisch, dass es deutliche Stimmenverluste geben kann", sagte SVP-Spitzenkandidat LH Arno Kompatscher im APA-Interview. 41,9 Prozent waren es bei der Wahl 2018. Es sei "äußerst schwierig" bis unrealistisch, dieses Ergebnis wieder zu erreichen, räumte der Landeschef ein.
"Wir arbeiten dafür, ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Ein Ergebnis, das deutlich besser ist, als es die derzeitigen Umfragen vorhersagen", betonte der seit dem Jahr 2014 regierende 52-Jährige, der für seine dritte und - laut Gesetz vorgesehene - letzte Amtsperiode kandidiert. Umfragen wiesen für die "Sammelpartei" zuletzt lediglich 32 bis 35 Prozent aus. Das Ziel 40 Prozent auszugeben, wäre derzeit unrealistisch, so der SVP-Frontmann: "Ich bin aber Realist." Gleichzeitig verwies der Landeschef auf seine sehr guten, persönlichen Sympathiewerte.
Eine persönliche Schmerzgrenze, unter der er für sich persönliche Konsequenzen definieren würde, wollte Kompatscher nicht nennen. Diese hänge nicht nur vom Wahlergebnis ab, sondern vor allem auch von der Frage, ob die Voraussetzungen gegeben sein würden, eine "vernünftige Regierung auf die Beine zu stellen." Eine solche "vernünftige Regierung" wäre für Kompatscher angesichts der fehlenden Aussicht auf eine absolute SVP-Mehrheit wie früher jedenfalls eine Zweierkoalition wie derzeit. Momentan regiert man mit der italienischsprachigen Lega. Ab einem SVP-Mandatsergebnis von 14 Mandaten wäre dieses Ziel leichter zu realisieren (derzeit 15 Mandate).
"Es wäre ein großer Fehler, wenn es keine klaren Mehrheiten gibt. Insbesondere wegen des für Südtirol so wichtigen Vertretungsanspruches nach außen.“
Arno Kompatscher, Landeshauptmann in Südtirol
Eine italienische Partei muss laut Rechtslage ohnehin in der Regierung vertreten sein. Es gelte aber alles daran zu setzen, zu verhindern, dass die SVP darauf angewiesen sein wird, eine Dreierkoalition - mit einem weiteren deutschsprachigen Partner - einzugehen, betonte der Landeshauptmann. Wie seine Partei im laufenden Wahlkampf, warnte er einmal mehr vor "Instabilität."
"Es wäre ein großer Fehler, wenn es keine klaren Mehrheiten gibt. Insbesondere wegen des für Südtirol so wichtigen Vertretungsanspruches nach außen. Wenn Rom in die Lage versetzt wird, dass es auch andere Vertreter der Minderheit gibt, käme das alte römische Motto zur Geltung: "Divide et impera - Teile und herrsche.' Deshalb der dringende Aufruf an die Wähler zur Geschlossenheit", warb Kompatscher eindringlich für ein "Kreuz" bei der Südtiroler Volkspartei. Auf bevorzugte Koalitionsvarianten für den Fall der Fälle wollte sich der SVP-Spitzenkandidat indes nicht einlassen.
Man habe es angesichts von 16 antretenden Listen mit einer "Zersplitterung der Parteienlandschaft" zu tun, wie es sie in der autonomen Provinz noch nie gegeben habe. Hinzu komme, trotz hervorragender Werte in Sachen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum, eine "allgemeine Stimmung der Unzufriedenheit." Und dies obwohl "Südtirol besser aus der Corona-Krise und ihren Folgen gekommen ist wie die allermeisten Regionen in Europa, sowohl im Süden als auch im Norden", meinte Kompatscher. Profitieren würden die politischen Gegner mit ihren "scheinbar einfachen Lösungen für komplizierte Fragen." Aber auch die klassischen Medien würden ihren Teil dazu beitragen, indem sie - "um Klicks und Quoten zu generieren" - einen "Krisenmodus verstärken, der möglicherweise auch zu mehr Radikalisierung führt."
Und generell gelte laut Kompatscher europaweit: Die Regierenden würden abgestraft. Andererseits habe etwa die Tiroler ÖVP bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr einen "Verlust von fast zehn Prozent als Sieg bewertet", erinnerte Kompatscher. Dass er sich im Falle einer schweren Niederlage parteiintern nicht mehr halten könnte, darauf wollte Kompatscher nicht eingehen: "Das müssen andere bewerten." Vielsagender Zusatz: "Es gibt von Einzelinteressen getriebene Kreise, die an einem solchen Szenario interessiert wären."
Ob einer jener Ex-SVP-Landesrat Thomas Widmann ist, der sich mit Partei und Kompatscher überworfen hatte und nun mit einer eigenen Liste antritt? Der Landeshauptmann misst dem Ex-Partei-Urgestein offenbar geringeres Gewicht bei. "Er wurde von niemandem mehr nominiert, ist ein konkurrierender politischer Mitbewerber wie andere auch. Eine Spaltung der Partei würde anders aussehen. Die SVP-Stammwähler goutieren sein Verhalten nicht." Auch die Umfragen würden Widmann derzeit ein nicht besonders großes Gewicht beimessen. Ob es nach der Wahl zu einer "Wiedervereinigung" mit Widmann kommen könnte? "Ich bin der Meinung unseres Parteiobmannes Philipp Achammer: Es kann nicht im Sinne der Partei sein, dass jemand bei der Tür hinaus geht und dann beim Fenster wieder hinein."
Das Land sah der Landeshauptmann jedenfalls gut aufgestellt: "Innovation" und "Nachhaltigkeit" seien zentrale Felder der Zukunft. Da und dort gebe es Nachholbedarf, etwa beim leistbaren Wohnen. Südtirol, der "begehrteste Lebensraum Europas", sei auch "zum Spekulationsobjekt" geworden. Hier müsse angesetzt werden: "Wir müssen etwa den Wohnungsvorbehalt für dauerhaft hier Ansässige noch deutlich stärker durchsetzen."
Angesichts der stark zugenommenen Anlandungen in Lampedusa zeigte Kompatscher Verständnis für den Aufschrei Italiens. Es brauche EU-weite Abkommen mit den Herkunftsländern, zudem das Abstellen von Binnenmigration bei einem abgelehnten Antrag in einem EU-Land. Die von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angekündigten stärkeren Kontrollen an den Grenzen, und damit auch am Brenner, bewertete Kompatscher realpolitisch: "Das war erwartbar." Wichtig sei, die "Zusammenarbeit mit Italien zu verbessern." Er sei in Kontakt mit dem Kanzler, dieser habe ihm versichert, dass keine Grenzkontrollen in klassischen Sinn geplant seien. Letztere würden auch, das lehre die Geschichte, nichts bringen: "Einseitige Blockade-Maßnahmen wären nicht gut. Ein besseres gemeinsames Grenzraummanagement ist zielführend."
Mit der Außenpolitik der Rechts-Regierung von Premierministerin Giorgia Meloni zeigte sich der Landeshauptmann weiter zufrieden, auch und vor allem, was die Autonomie-Politik betrifft. Meloni habe ihr Versprechen im Hinblick auf die Wiederherstellung der Autonomiestandards gemäß der Streitbeilegungserklärung von 1992 unter Hinweis auf die Verpflichtung gegenüber der Schutzmacht Österreich bisher eingehalten. Die eingemahnte "Road map" stehe, nun liege einmal der Verfassungsgesetzesentwurf am Tisch, als nächsten konkreten Schritt brauche es einen entsprechenden Beschluss der römischen Regierung.
(Das Gespräch führte Wolfgang Eder/APA)
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