Kann man einen Burger in sechs Minuten verdrücken?

Es wird höchste Zeit, das Land zu verlassen. Erntedank ist vorbei, der Wolf hat sich schlafen gelegt, die Schafe sind abgetrieben, und weil, wie wir den Sommer über zu hören bekamen, Schafe zum Verzehr nicht gedacht sind, gibt es auch nichts mehr zu essen. Zumindest nichts Warmes. Lebensmittel sind teuer, und für viele Familien geht sich das offenbar nicht mehr aus.

Stimmt so nicht, sagt der Kanzler und rechnet vor: „Ein Hamburger bei McDonald's 1,40, ein Euro vierzig! Wenn ich jetzt auch noch Pommes dazu kaufe, drei Euro fuffzig.“ (Eigentlich drei Euro siebzig, laut aktueller Preisliste, aber da das Geld sowieso nichts mehr wert ist, fällt das nicht ins Gewicht.) Gesund sei das nicht, dafür aber warm und darüber hinaus auch noch leistbar. So viel zur angeblichen Kinderarmut. Das alles ließe sich auch mit Kalorientabellen belegen, aber schließlich leben wir nicht in der DDR. Nein, aber in Prägraten am Großvenediger zum Beispiel. Und dort gibt es halt keinen McDonald's.

Von Prägraten nach Lienz fährt man laut Michelin Routenplaner einundvierzig Minuten, also eine Minute pro Kilometer, stößt dabei knapp sieben Kilogramm CO2 aus und zahlt dafür fünf Euro und sechzehn Cent. Von Lienz nach Prägraten ist es genauso, aber für Dolomitenstädter und -innen eben keine Option. „Fahrgemeinschaften bilden!“ rät der Michelin, und so packen Herr und Frau Prägrater ihre drei Kinder ins Auto und fahren zum gemeinsamen Mittagessen auf Lienz. 27,82 Euro minus 2,11 Euro Klimabonus macht 25,71 Euro für den gesamten Auftritt, vorausgesetzt, beide Eltern arbeiten Teilzeit und haben ab ca. 13:00 Uhr frei.

Alternativ kann man auch ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen. Die VVT-Linie 951 fährt um 12:55 Uhr in Prägraten ab und ist um 13:55 Uhr in Lienz. Der McDonald's liegt schräg gegenüber dem Bahnhof, das müsste in zwei Minuten zu schaffen sein. Um 14:05 Uhr fährt der nächste Bus wieder nach Hause, bleiben also ganze sechs Minuten Nettozeit für das Essen. Schließlich heißt es ja „Fast Food“. So spart man Geld und obendrein auch noch Zeit! Und rein theoretisch könnte ab 15:11 Uhr zumindest ein Teilzeitelternteil wieder einer geregelten Arbeit nachgehen, um einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten.

In Prägraten lebten im Vorjahr 1.148 Menschen, 14 Prozent davon waren Kinder. Dreizehn Neugeborene kamen in diesem Jahr auf die Welt, und spätestens seit heuer brauchen auch sie eine warme Mahlzeit pro Tag. Vor ein, zwei Jahren hätte man mit 25,71 Euro eine fünfköpfige Familie zuhause nicht nur ernährt, sondern fürstlich bekocht. Getränk inklusive. Ähnliches gilt auch für Lienzerinnen und Lienzer, aber denen hätten, weil sie heute in einer weniger günstigen Klimakategorie leben und von dort zum McDonald's weit weniger Treibstoff verbrauchen als die Leute vom Land, damals nur sechzehn Euro und sechs Cent zur Verfügung gestanden.

Nach Kanzler Nehammers Rechnung sind die Städter eindeutig die Krisengewinner. Vielleicht, weil auf der Dolomitenstadt die Kanzlerpartei wenig zu melden hat. Man könnte es auch Verteilungsgerechtigkeit nennen. „Vergelt's Gott, vergelt's Gott!“, wie die Prägrater „Unkleckla“, Repräsentanten eines uralten Heischbrauchs und andernorts als „Krapfenschnapper“ bekannt, zu Allerheiligen rufen. Doch wird es für sie höchste Zeit, das Land zu verlassen.