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Daumen hoch! Alexander Van der Bellen verrät, wem er folgt und wem nicht. Foto: Expa/Slovencik

Daumen hoch! Alexander Van der Bellen verrät, wem er folgt und wem nicht. Foto: Expa/Slovencik

Was hat meine unzuverlässige Blase …

… mit den Daumen des Bundespräsidenten und verwirrten Algorithmen zu tun?

Unser Bundespräsident Van der Bellen hat sich einmal überlegt, bei Amazon ein Buch zu bestellen. „Wenn Sie dieses Buch kaufen, dann könnte Sie auch das interessieren“, lautete die Empfehlung der Website. Seit damals bestellt Van der Bellen kein Buch mehr bei Amazon. Er mag so etwas nicht. In seiner Salzburger Festspielrede hat er geraten, den Algorithmus sozialer Medien dadurch zu verwirren, dass man Menschen folgt, deren Meinung man gerade nicht teilen will. Ich habe nun beschlossen, den Wink zu befolgen, und fange schon einmal im Forum von Dolomitenstadt damit an.

„Jeder Mensch kann – im Rahmen der Menschenrechte und Menschenpflichten – lieben, wen er will.“ All jene, denen ich aus lauter Liebe einen „Daumen nach oben“ gewähre, sollen jetzt merken, dass ich sie in Wahrheit nicht mag. Das ist, nach der Logik des Präsidenten, Balsam auf die Wunden der liberalen Demokratie, die ihr von denen zugefügt werden, die mir sympathisch sind. Sollte sich also seit vorgestern die Bewertungsskala einzelner Kommentare deutlich in Richtung Grün zu verschieben beginnen, liegt das wahrscheinlich nicht nur an mir. Vielleicht hatten andere schon dieselbe Idee? Es fällt nicht schwer, einen Daumen zu opfern, solange man noch über einen intakten und frei beweglichen Mittelfinger verfügt.

Der Präsident rief auch zu einer fast ausgestorbenen Tätigkeit auf: „Hören Sie einander zu!“ Und er trug sich coram publico und vor laufender Kamera in die Liste der Follower („Ich bin drahaan!“) von Norbert Hofers Instagram-Account ein – jenes Mannes, der Van der Bellens Zuhörerqualitäten vor einigen Jahren, ebenfalls vor laufender Kamera, mit folgenden Worten kommentiert hat: „Dann reden Sie mit einer Flasche, weil die redet nicht zurück!“

Ich kann denken, was ich will, aber nicht wollen, was ich will. Zum Beispiel meine Blase verlassen. Umgekehrt lässt mich meine Blase immer wieder im Stich. Aber ich lebe nicht in meiner Blase, das schiere Gegenteil trifft zu: wenn ich zu viel trinke oder laut lachen muss. Beim Schreiben dieses Artikels war das schon mehrmals der Fall. Meine Blase hat mittlerweile ein Eigenleben entwickelt, das den Apologeten der liberalen Demokratie nur von Herzen zu wünschen sein kann.

„Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist, und sollst in einem Rechtsverfahren nicht so aussagen, dass du dich der Mehrheit fügst und das Recht beugst“, hat Gott schon zu Moses gesagt und damit zum Ausdruck gebracht, dass „die Normalen“ sich nicht automatisch auf der Seite des Gesetzes bewegen, und er fügte hinzu: „Wenn du dem verirrten Rind oder dem Esel deines Feindes begegnest, sollst du ihm das Tier zurückbringen.“

Ein Wienerschnitzel ist aber gewöhnlich entweder vom Kalb oder vom Schwein, also darf ich es wohl behalten! Doch darum geht es überhaupt nicht. Vielmehr geht es um das, was die Bibel für den Umgang mit jenen, die unsere Meinung nicht teilen, empfiehlt: „Wenn du siehst, wie der Esel deines Gegners unter der Last zusammenbricht, dann lass ihn nicht im Stich, sondern leiste ihm Hilfe!“ Weit öfter jedoch kommt es vor, dass ein Gegner ganz ohne mein Zutun unter der Last seiner Esel zusammenbricht. Ich erinnere, um kein aktuelles Beispiel bemühen zu müssen, an die Ablöse von Reinhold Mitterlehner 2017. Fremde Hilfe war da nicht vonnöten.

Kaum hörbar war Van der Bellens Empfehlung, den Weg des „begründeten Optimismus“ zu wählen. Also doch den des Andreas Babler? Wenn ich den Präsidenten jedoch richtig interpretiere, so geht es ihm darum, die Blase des anderen platzen zu lassen. Das gelingt am besten mit einem spitzen Gegenstand, einer Feder zum Beispiel. Ich persönlich schreibe aber nur mit dem Laptop.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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Van der Bellen appelliert: „Eigene Blase verlassen!“

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4 Postings

Bahner Bernd
vor einem Jahr

Der Begriff "Echoblase" wird in der letzten Zeit überhaupt eher weitgefasst und etwas inflationär gebraucht, auch nicht immer teffsicher. Auch wenn jetzt VdB selbst damit etwas kokett umgeht und manchen seine Ansichten ständig widerstreben, in einer Blase ist er jedenfalls nicht zu verorten ( wie weiter unten ein Poster gemeint hat ). Eine Echoblase ist ein nur eingeschränkt durchlässiger Wahrnehmungsraum , meist mit wissenschaftsfeindlichen, rassistischen, antisemitischen, homophoben und Putin verstehenden,uä Informationsmaterial bedient. Ein Narrativ, unhinterfragt und sich ständig selbst perpetuierend, mit entsprechender emotionaler Aufladung. Eine gewinnbringende Konfrontation mit anderen Meinungen stößt da meist rasch an ihre Grenzen. Aber wie schon Zeilinger sagte : setzen wir uns an den Stammtisch und hören zu.

 
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    r.ingruber
    vor einem Jahr

    Sehr geehrter Herr Bahner, unter normalen Umständen hätte ich Ihnen jetzt vollinhaltlich zugestimmt. Nach dem, was ich oben angekündigt habe, muss ich das konsequenter Weise unterlassen. Nix für ungut.

     
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      isnitwahr
      vor einem Jahr

      sehr geehrter Herr Ingruber, Dr. Bahner als Arzt wird mir sicher zustimmen, dass ab einem gewissen Alter etwas "Blasentraining" durchaus wirksam sein kann....

       
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    Bahner Bernd
    vor einem Jahr

    @ r.ingruber. Ich weiß, ich poste manchmal etwas an Ihren Themen vorbei. Es ist auch nicht immer leicht auf Ihre anregenden, feingesponnenen Texte adäquat einzugehen. Politischer Großmut nach Gutsherrenart, oft nur eine Ausdruck von Selbstgerechtigkeit von Leuten , die meinen das Zeitalter der Aufklärung intus zu haben ; mit Recht ein Ärgernis, und doch müssen die Bastionen halten.

     
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