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Wie ist es um die Tiroler Pflanzenwelt bestellt?

Botaniker:innen legen neue Rote Liste vor und bemängeln unzureichenden Schutz von Gefäßpflanzen.

Ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen der ersten Tirol-spezifischen Roten Liste für Gefäßpflanzen, welche letztmalig 2013 geringfügig adaptiert wurde, liegt nun eine völlig neu konzipierte Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen Nord- und Osttirols vor. Anders als ihre Vorgängerin ist die Neubearbeitung ein Katalog aller in Tirol heimischen, etablierten und unbeständig vorkommenden Arten und Unterarten.

An der Gemeinschaftsarbeit mehrerer Feldbotaniker:innen hat auch Oliver Stöhr mitgewirkt. Der Osttiroler Biologe zeichnete für die Auflistung und Einstufung der Arten im Bezirk Lienz verantwortlich. Im Zusammenhang mit der Klimakrise ist der weltweite Rückgang der Biodiversität wieder stärker in den Fokus gerückt – auch deshalb, weil manche Klimaschutzmaßnahmen gegenläufig zu Maßnahmen für den Schutz der Biodiversität wirken.

Laut den Autor:innen sei es daher besonders wichtig zu verstehen, „wie die bisherige Praxis im Umgang mit Naturgütern auch uns Menschen gefährdet und wie wir unsere Lebensgrundlagen erhalten können, ohne dabei soziale Fortschritte mit Naturzerstörung zu bezahlen.“ Die vorgelegte Liste umfasst 3098 Taxa, davon entfallen 2.817 auf Nordtirol und 2.278 auf Osttirol.

Rote Liste als „Fieberthermometer“

Von den 3.098 Taxa kommen 2.039, also knapp zwei Drittel, sowohl in Nord-, als auch in Osttirol vor. 64 Taxa gelten in beiden Landesteilen als ausgestorben oder verschollen, 17 davon kamen ehemals sowohl in Nord-, als auch in Osttirol vor. Im Vergleich der Landesteile werden deutliche Unterschiede sichtbar. Das zeigt sich auch in der unterschiedlichen Gefährdung. Die Expert:innen nennen beispielhaft den Doldenblütler Steppen-Bergfenchel und das Preußische Laserkraut. Beide Arten sind in Nordtirol hochgradig gefährdet, während sie in Osttirol noch regelmäßiger auftreten.

Die Feuer-Lilie (Lilium bulbiferum) gilt laut der neuen Roten Liste in Osttirol als gefährdet. Foto: Oliver Stöhr

Umgekehrt sind die beiden Heidekrautgewächse Rosmarinheide und Kleine Torfbeere in Nordtirol an Hochmoorstandorten noch regelmäßig vorhanden, während sie in Osttirol ausgestorben oder sehr selten sind. Weitere Unterschiede ergeben sich aus unterschiedlichen Statuseinstufungen in den beiden Landesteilen.

In Nordtirol finden sich 22,4 Prozent der als heimisch oder archäophytisch geltenden Taxa in einer der Gefährdungskategorien, davon 274 in den beiden höchsten Gefährdungskategorien. Hinzu kommen 64 ausgestorbene oder verschollene Arten. Die Situation ist vergleichbar mit jener in Osttirol.

Verlorene Schönheit: Der Venusspiegel (Legousiaspeculum-veneris) ist in Osttirol bereits ausgestorben. Foto: Oliver Stöhr

Besonders trist ist es laut Autorenteam um die Segetalarten bestellt, da beikrautreiche Getreideäcker mit der typischen Segetalflora mittlerweile fast vollständig fehlen: „Etliche Arten wie Acker-Trespe, Roggen-Trespe, Gezähnter Leindotter, Flachs-Teufelszwirn, Lein-Lolch, Taumel-Lolch und Sand-Mohn sind inzwischen landesweit ausgestorben.“ In Osttirol ausgestorben sind beispielsweise das gewöhnliche Ohmkraut, der gewöhnliche Feldrittersporn, der schlitzblättrige Storchschnabel, der große Venusspiegel, Finkensame, der frühe rote Zahntrost und der Zähnchen-Feldsalat.

Eine Vielzahl an Taxa der Roten Liste ist nutzungsbedingt in den Tieflagen zu finden, aber auch in den Hochlagen der Alpen Tirols gibt es hochgradig gefährdete Taxa. Frühere Vorkommen des Drüsen-Mauerpfeffers (Sedum villosum) auf der Schleinitz bei Lienz sind erloschen, diese Art ist landesweit ausgestorben.

Biologe Oliver Stöhr zeichnete für die Auflistung und Einstufung der Arten im Bezirk Lienz verantwortlich. Foto: Revital/Lugger

„Etliche prominente, naturschutzfachlich höchst relevante Taxa sind ebenfalls gefährdet, wie etwa die deutsche Ufertamariske. Der erst vor Kurzem für ganz Österreich neu entdeckte Hain-Glanzständel ist an seinem Fundort in Lavant vom Aussterben bedroht. Und auch der Lienzer Tragant muss in seinem Heimatgebiet Osttirol so eingestuft werden“, erklärt der Biologe Oliver Stöhr.

Durchgehende Unterschiede zwischen Nord- und Osttirol würden sich bei Taxa von Mooren und Magergrünland ergeben. „Da klimatisch bedingt Moore in Osttirol von Natur aus seltener sind als in Nordtirol, wirken sich negative Einflüsse wie Lebensraumverlust oder -degradierung hier deutlich stärker aus“, so Stöhr.

Eine Gegenüberstellung der Ergebnisse mit dem tatsächlichen Schutzstatus gemäß Tiroler Naturschutzverordnung von 2006 zeigt laut den Expert:innen Handlungsbedarf auf: „Der gesetzliche Schutz der bedrohten Farn- und Blütenpflanzen Tirols ist nach aktualisierter Datenlage unzureichend und sollte für die Zukunft dem jetzigen Kenntnisstand angepasst werden.“

„Wir haben in Osttirol noch eine 'heile Welt'. Die gilt es aber umso mehr zu schützen, bevor es zu spät ist.“

Oliver Stöhr, Biologe

Von den 438 in Nordtirol gefährdeten Gefäßpflanzentaxa sind nur 20 Prozent geschützt, von den 300 in Osttirol gefährdeten Arten sind lediglich 18 Prozent geschützt. Damit sind derzeit in beiden Landesteilen rund vier Fünftel der gefährdeten Farn- und Blütenpflanzen nicht gesetzlich geschützt. In Osttirol ist weniger als ein Fünftel der geschützten Taxa auch gefährdet. „Zusammenfassend ist die Situation durchaus besorgniserregend, im Vergleich mit anderen Regionen haben wir in Osttirol aber immer noch eine 'heile Welt'. Die gilt es aber umso mehr zu schützen, bevor es wirklich zu spät ist“, warnt Stöhr.

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