Pride-Anschlag: Wird mit Kanonen auf Spatzen gezielt?
Alle drei Beschuldigten sind enthaftet. Staatsschutz rechtfertigt sich und fordert mehr Befugnisse.
Nachdem im Zusammenhang mit dem angeblich geplanten Anschlag auf die Wiener Regenbogen-Parade bereits am vergangenen Sonntag ein 20-jähriger Tatverdächtiger auf freien Fuß gesetzt wurde, hat das Landesgericht St. Pölten am Freitag nun auch die beiden weiteren Beschuldigten - einen 14- sowie einen 17-Jährigen - enthaftet. Das bestätigte Gerichtssprecherin Birgit Eisenmagen der APA. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft meldete dagegen Beschwerde an.
Der Verteidiger des 14-Jährigen, Andreas Schweitzer, zeigte sich unmittelbar nach der Entscheidung des Gerichts erleichtert und zufrieden, dass seinem Enthaftungsantrag Folge gegeben wurde und sein Mandant auf freien Fuß kam. "Hier hat die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) mit Kanonen auf Spatzen gezielt. Und nicht getroffen. Wobei der 14-Jährige wirklich ein Spatz ist", sagte Schweitzer im Gespräch mit der APA.
Mit dem aktuellen Gerichtsbeschluss befinden sich jetzt alle drei Verdächtigen, gegen die wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt wird, vorerst wieder in Freiheit. Ob es dabei bleibt, muss das Oberlandesgericht (OLG) Wien entscheiden. Das ist für die Behandlung der Beschwerden der Staatsanwaltschaft St. Pölten zuständig.
Der Enthaftung des 14-Jährigen - ein Wiener Gymnasiast, der an eine HTL wechseln will - sowie des 17-Jährigen - der jüngere Bruder des 20-Jährigen, beide leben in St. Pölten - war eine Sozialnetzkonferenz mit dem Verein Neustart vorangegangen, wie Gerichtssprecherin Eisenmagen erläuterte. "Es wurde ein engmaschiges Programm erstellt mit Weisungen, etwa dass die Tatverdächtigen ein Deradikalisierungsprogramm besuchen müssen. Es wurde auch Bewährungshilfe beigegeben. "Der Haftrichter ist zur Ansicht gekommen, dass mit diesem Plan beide enthaftet werden können."
Der Verteidiger des 17-Jährigen, Markus Sommerauer (Kanzlei Urbanek & Rudolph), nahm nun auch erstmals öffentlich zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten Stellung - er habe sich bisher nicht geäußert, um dem Gericht eine unbeeinflusste, objektive Entscheidung in der Haftfrage ermöglichen zu können. Sein Mandant bestreite sämtliche gegen ihn gerichtete Anschuldigungen, sagte Sommerauer: "Hier wird etwas behauptet, das es nicht gibt. Es wurde nie ein Anschlag geplant."
Wie Sommerauer im Gespräch mit der APA schilderte, wurden der 17-jährige und sein um drei Jahre älterer Bruder am vergangenen Samstagmittag unsanft aus dem Schlaf geweckt, indem Spezialkräfte der Polizei die Wohnungstür aufbrachen und die beiden festnahmen. Bei der durchgeführten Hausdurchsuchung sei "kein belastendes Material, vor allem keine Schusswaffen" sichergestellt worden. Man habe nur zwei Softguns beschlagnahmt, "davon war eine kaputt."
Der 17-Jährige bestreitet laut seinem Rechtsvertreter, ein Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) zu sein. "Er war auch nie in einschlägigen Telegram-Chats", meinte Sommerauer, der damit einen DSN-Bericht zurückwies, demzufolge sich der 17-Jährige als "Abdullah" mit neun weiteren Islamisten u.a. aus der Ukraine, Belgien, der Türkei und England im Internet ausgetauscht und Anschlagspläne gewälzt haben soll. "Dazu gibt es nichts im Akt. Es gibt keine Chats, es gibt keine Screenshots. Es gibt einzig und allein eine Zusammenfassung der DSN, die sich auf angebliche Informationen eines ausländischen Nachrichtendienstes bezieht. Damit wird eine gewisse Beweislage aufgebaut, aber die Quelle wird nicht offen gelegt", hielt der Jurist fest.
Sommerauer räumte lediglich ein, sein Mandant habe mit einem vorgeblich 15-jährigen Ukrainer gechattet, allerdings in keiner Gruppe. Er sei von diesem angeschrieben worden, man habe sich zunächst über Belanglosigkeiten, dann über den Krieg in der Ukraine unterhalten. Als ihm sein Chat-Partner eines Tages einen Link zu einer Gruppe mit dem IS-Logo zugeschickt habe, sei er der Gruppe nicht beigetreten und habe den User blockiert.
Der 17-Jährige bestreitet explizit den ihm unterstellten beabsichtigten Ankauf eines Sturmgewehrs. Der Jugendliche habe sich - entgegen der Darstellung der DSN - nicht um eine AK-47 bemüht, versicherte sein Rechtsbeistand. "Die Familie ist gut integriert. Religion war in der Familie kein Thema. Der Vater ist nicht einmal Moslem", erwiderte Sommerauer auf die Frage nach der religiösen Gesinnung seines Mandanten. Was seine schulische Laufbahn betrifft, sei der 17-Jährige zuletzt in einem Ausbildungsprogramm gewesen und habe für September eine Lehrplatzzusage: "Wir hoffen, dass das hält." Der Jugendliche akzeptiere sämtliche mit seiner Enthaftung verknüpfte Weisungen: "Er kooperiert umfänglich mit den Behörden."
Indes bekräftigte Andreas Schweitzer, der Verteidiger des 14-Jährigen, seine Kritik an der DSN. Diese hätte die gegen seinen Mandanten sowie die beiden Brüder aus St. Pölten gerichtete Verdachtslage unter Zuhilfenahme eines ausländischen Nachrichtendienstes begründet, aber die von diesem zur Verfügung gestellten personenbezogenen Daten der Staatsanwaltschaft und in weiterer Folge dem Landesgericht St. Pölten ohne die dafür gesetzlich vorgesehene Bewilligung weitergegeben. Schweitzer verweist auf eine Bestimmung im Polizeikooperationsgesetz, wonach personenbezogene Daten, die von ausländischen Sicherheitsbehörden übermittelt worden sind, nur mit vorheriger Zustimmung der übermittelnden Stelle zu anderen als den der Übermittlung zugrunde liegenden Zwecken verarbeitet werden dürfen.
"Dies bedeutet, dass sich die DSN die Zustimmung zur Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft oder ans Gericht bzw. die Freigabe zur Weiterleitung von der ermittelnden Stelle einholen hätte müssen. Was jedoch nicht geschehen ist, wie die DSN selbst im Anlass-Bericht eingesteht", hat Schweitzer in einem Enthaftungsantrag festgehalten, dem am Freitag vom Landesgericht St. Pölten stattgegeben wurde. Schweitzer unterstellt der DSN einen "eklatanten Verstoß gegen gesetzliche Normierungen", der "einzig und allein" dazu gedient habe, "dass der Beschuldigte (gemeint: Schweitzers Mandant, der 14-Jährige, Anm.) aufgrund nicht näher verifizierter Behauptungen festgenommen und in weiterer Folge über ihn die U-Haft verhängt wurde."
Die DSN reagierte am Freitagnachmittag auf die Äußerungen Schweitzers und Sommerauers mit einer schriftlichen Stellungnahme: "Nach den Bestimmungen des Polizeikooperationsgesetzes dürfen wir sensible Informationen von ausländischen Nachrichtendiensten ohne deren Zustimmung nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeben. Gleichzeitig sind wir als Sicherheitsbehörde gemäß den Bestimmungen der Strafprozessordnung verpflichtet, von Amts wegen zu ermitteln und der Staatsanwaltschaft über einen Anfangsverdacht gegen eine Person zu berichten." Ein solcher Anfangsverdacht könne sich auch aufgrund einer Information eines Partnerdienstes ergeben: "Dies führt dazu, dass Details dieser partnerdienstlichen Informationen nicht weitergegeben werden können, nichtsdestotrotz jedoch eine Berichtspflicht an die Staatsanwaltschaft besteht."
Der gegenständliche Fall zeige "genau die in den letzten Tagen durch die DSN erneut aufgezeigte Problematik, dass uns als Behörde zentrale, eigene Befugnisse fehlen, um derartige Erkenntnisse selbst ermitteln zu können", wurde betont. Offenbar dürfte demnach bereits der allererste Hinweis auf den tatverdächtigen 17-Jährigen, gegen den die Staatsanwaltschaft St. Pölten bereits im Vorjahr wegen terroristischer Vereinigung ermittelt hatte, ehe dieses Verfahren am 17. Februar 2023 eingestellt wurde, von einem ausländischen Nachrichtendienst gekommen sein.
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