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„Alle Beteiligten wollen, dass die Tiere am Ende des Sommers wieder von der Alm heimkommen", meint Simon Moser. Er begleitet für das Büro Alpe die Herdenschutzprojekte des Landes. Foto: Dolomitenstadt/Huber

„Alle Beteiligten wollen, dass die Tiere am Ende des Sommers wieder von der Alm heimkommen", meint Simon Moser. Er begleitet für das Büro Alpe die Herdenschutzprojekte des Landes. Foto: Dolomitenstadt/Huber

Sind alle Schafalmen Tirols nicht schützbar?

Das Büro Alpe begleitet Herdenschutz­projekte des Landes: Technisch sei vieles machbar, die Kostenfrage ein Problem. 

Mit dem Auftreiben der Schafe auf die Tiroler Almen steigt auch wieder die Zahl der Tiere, die vom Wolf gerissen werden. In Osttirol ist in dieser Woche der zweite Wolf zum Abschuss freigegeben worden. Die Entnahmeerlaubnis erfolgt seit 1. April dieses Jahres mittels Verordnung. 

Möglich ist diese Umgehung der FFH-Richtlinie der EU durch das Ausweisen von „Alp- und Weideschutzgebieten“: Entnommen werden darf ein großer Beutegreifer nämlich laut EU-Gesetz nur dann, wenn sämtliche „gelinderen Mittel“ – wie beispielsweise Herdenschutzmaßnahmen – eingesetzt wurden, sich aber als unwirksam erwiesen haben. Aus diesem Grund wurden alle im Jahr 2022 bewirtschafteten Almgebiete vom Land Tirol anhand eines bundesländerübergreifenden Kriterienkataloges geprüft, mit dem Ergebnis, dass auf keiner (!) der rund 2.100 Tiroler Almen Herdenschutzmaßnahmen umsetzbar seien. 

In die Bewertung flossen dabei unter anderem die Hangneigung, Wasserläufe, Straßen und Wege, die Feldstücksgeometrie (Shape Index), Wald- und Weideflächen, die Verhältnismäßigkeit der Behirtung sowie die Möglichkeit des Einsatzes von Herdenschutzhunden ein, um Machbarkeit, Zumutbarkeit sowie Wirtschaftlichkeit bzw. Verhältnismäßigkeit einzuschätzen. Es reicht, wenn eines der Kriterien zutrifft, um eine Alm als nicht schützbar einzustufen.

Gleichzeitig führt das Land seit dem Jahr 2021 auf drei Almen im Bezirk Landeck Herdenschutzprojekte durch, die auf fünf Jahre ausgelegt sind. Betrachte man die oben genannten Parameter, seien auch diese Almen nicht schützbar, heißt es von Seiten des Landes auf Anfrage von Dolomitenstadt.at. Auf den Projektalmen erprobe man keinen „klassischen technischen Herdenschutz“ mit Elektrozäunen, vielmehr erfolgt eine gelenkte Weideführung durch ständige Behirtung. Die Nacht verbringen die Schafe in umzäunten Pferchen. 

„Das ist sehr personal- und kostenintensiv und sozusagen der ‚Ferrari‘ unter den möglichen Maßnahmen“, kommentiert das Büro von LH-Stv. Josef Geisler die Pilotprojekte. Das Land trägt derzeit 100 Prozent der Kosten. Begleitet werden die Herdenschutzmaßnahmen vom Büro Alpe, das sich in Österreich, der Schweiz und in Südtirol auf die Beratung von Almenbewirtschaftern spezialisiert hat, der HBLFA Raumberg-Gumpenstein sowie weiteren Expert:innen. 

Gestartet wurde das Projekt im Jahr 2019 mit einer Machbarkeitsstudie zum Herdenschutz in Tirol auf ausgewählten Almen. Im Fazit wird festgehalten, dass „pauschale Aussagen zur Machbarkeit von Herdenschutz auf Tiroler Schafalmen nicht möglich sind“. 

Herdenschutzmaßnahmen als Prozess 

Die Umsetzung der Projekte erfolgte im Sommer 2021 auf der Spisser Schafberg-Alm, der Lader Heuberg-Am und der Tschey Valafur-Alm. Im darauffolgenden Jahr wurden die Maßnahmen auf den ersteren beiden fortgeführt und die Verwall-Alm in das Projekt aufgenommen.

Im Rahmen der Projekte wird der Herdenschutz aus mehreren Perspektiven betrachtet: So werden Gewichtsentwicklung der Schafe, Tiergesundheit, Abgänge und Bewegungsmuster aufgezeichnet, die Herausforderungen im Gelände und bei der Hirtenarbeit untersucht und es erfolgt eine Aufstellung der Kosten im Vergleich zur konventionellen Schafalpung. 

„Vor allem für das zweite Projektjahr lässt sich ein positives Fazit ziehen“, meint Simon Moser im Interview mit Dolomitenstadt.at. Er arbeitet für das Büro Alpe und begleitet die Projekte aus fachlicher Sicht. Der Nordtiroler hat zunächst Biologie in Innsbruck und später Ökologische Landwirtschaft an der BOKU in Wien studiert, war zwölf Sommer lang als Hirte tätig und hält seit gut zehn Jahren selbst Schafe im Nebenerwerb. 

Simon Moser begleitet die Herdenschutzprojekte auf den drei Almen in Landeck: Schreibtischtäter ist er dabei keiner, als Schafbauer und ehemaliger Hirte kennt er die Herausforderungen im Umgang mit großen Beutegreifern. Foto: Privat

„Im ersten Jahr hat es auf einer der drei Almen zu Beginn des Sommers Risse an frei weidenden und damit ungeschützten Tieren durch einen Bären gegeben, nach Umsetzung der Herdenschutzmaßnahmen war es ruhig“, schildert er. Im zweiten Projektjahr verzeichnete man keine Rissereignisse, obwohl es in der Region zu Rissen kam: „Es gab aber keinen gesicherten Beleg dafür, dass sich ein großer Beutegreifer auch direkt im Gebiet der Projektalmen aufgehalten hat – etwa keine DNA-Nachweise oder bestätigtes Bildmaterial.“ Unabhängig vom Schutz vor großen Beutegreifern würden sich aber auch andere Vorteile aus dem Herdenschutz ergeben, beispielsweise sind die Tiere besser versorgt und die Flächen auf den Almen werden gezielter beweidet.

Im ersten Projektjahr war es zu Beginn der Almsaison sehr kalt, dementsprechend gab es wenig Futter für die Tiere. Außerdem mussten sich die Schafe erst an die gelenkte Weideführung gewöhnen und ihre Fresszeiten anpassen. „Dies hat auf einer der Projektalmen zu geringen Tageszunahmen bei den Muttertieren geführt", erklärt Simon Moser. Daran merke man allerdings, wie wichtig es ist, die Anpassung der Bewirtschaftung und die Herdenschutzmaßnahmen konsequent durchzuführen. „Man kann das nicht bei Bedarf kurzfristig umsetzen, die Tiere müssen daran gewöhnt sein, untertags unter der Obhut des Hirten zu fressen. Die gute Gewichtsentwicklung der Schafe im zweiten Projektjahr zeigt das ganz klar“, so Moser. 

Auch beim Thema Tiergesundheit erreichte man im Vergleich vom ersten auf das zweite Jahr Verbesserungen. „Das liegt allerdings vor allem in der Hand der Heimbetriebe – im Idealfall werden nur gesunde Tiere aufgetrieben“, so Moser. 

Eine Frage der Fördergelder

Ob Herdenschutz auf Tiroler Almen umsetzbar ist oder nicht, ist für Simon Moser abhängig davon, welche Aspekte beleuchtet werden: „Aus technischer Sicht stimmt es sicher nicht, dass Herdenschutz nirgends möglich ist.“ Oft werde damit argumentiert, dass man ja nicht alle Almen einzäunen könne, „da muss ich vollumfänglich zustimmen, das geht nicht. Aber das ist auch nicht das Ziel, das beim Herdenschutz verfolgt wird. Zäune kommen nur begrenzt zum Einsatz, einerseits als Nachtpferche, um das Rissrisiko während der Nacht zu mindern, und andererseits mobil zur Unterstützung der Behirtung tagsüber."

Aus technischer Sicht stimmt es sicher nicht, dass Herdenschutz nirgends möglich ist.

Simon Moser, Büro Alpe

Auch werde oft ins Feld geführt, dass es nicht ausreichend Hirt:innen gebe: „Das stimmt bis zu einem gewissen Grad und es ist beispielsweise auch in der Schweiz nicht einfach, ausgebildetes Personal zu finden. Ein erster Schritt wäre es, in Österreich eine Ausbildungsmöglichkeit für Schafhirt:innen zu schaffen."

"Wenn man sich Herdenschutz allerdings aus wirtschaftlicher Sicht anschaut, dann ist Herdenschutz so gut wie auf keiner Alm möglich“, führt Moser weiter aus. Bei der Aufstellung der Kosten stellte sich heraus, dass die drei Projektalmen bei der Schafalpung sowohl in den Referenzjahren 2019 und 2020 ohne Herdenschutzmaßnahmen als auch 2022 mit Herdenschutzmaßnahmen aus wirtschaftlicher Sicht einen Verlust erzielten.

Vor allem der Einsatz von qualifiziertem Personal sei kostenintensiv, die Förderungen, die für die Bewirtschaftung von Schafalmen zur Verfügung stehen, reichen dafür nicht aus. Bei dem derzeitigen Fördersystem müssten die Almbewirtschafter ohne die finanzielle Unterstützung des Landes im Rahmen der Herdenschutzprojekte rund 95 Prozent der anfallenden Herdenschutzkosten selbst tragen.

Das stellt auch die Bewirtschafter der drei Projektalmen, sowie die Auftreiber:innen vor Herausforderungen: „Die Mehrheit steht dem Projekt positiv gegenüber und hat schon nach dem ersten Jahr für eine Weiterführung gestimmt, allerdings herrscht viel Unsicherheit darüber, wie es weitergeht, wenn das Projekt des Landes nach fünf Jahren ausläuft“, so Moser.

Er empfiehlt Almbewirtschafter:innen und Landwirt:innen Herdenschutzmaßnahmen anzudenken bzw. vorhandene Möglichkeiten zu nutzen: "Alle Beteiligten wollen, dass die Tiere am Ende des Sommers von der Alm heimkommen", meint Moser. Auch er wird seine Schafe heuer erneut auf eine der Projektalmen auftreiben. "Das Risiko von Rissen wird es immer geben", so Moser. Er schätze die gute Betreuung der Schafe durch qualifiziertes Personal und kenne den Mehrwert guter Almbewirtschaftung, nicht zuletzt durch seine Tätigkeit als Hirte.

Herdenschutz geht uns alle etwas an. Wie sind alle Nutznießer von diesem Kulturraum.

Simon Moser, Büro Alpe

Die Finanzierung des Herdenschutzes dürfe allerdings auch nicht allein an der Landwirtschaft hängen bleiben, betont Moser: „Das geht uns alle etwas an. Wir sind alle Nutznießer von diesem Kulturraum, deshalb sollte auch jeder seinen Beitrag leisten und die Kosten gemeinsam getragen werden."

Es werde in Zukunft sowohl Herdenschutzmaßnahmen als auch ein sinnvolles Wolfsmanagement brauchen: "Ich denke, dass man einerseits versuchen sollte, das Risiko von Rissen durch vorbeugende Herdenschutzmaßnahmen möglichst gering zu halten und andererseits auch ein angepasstes Management aller großen Beutegreifer zu etablieren", schließt Moser.


Weiterführende Informationen:

Allgemeines zu den Herdenschutzprojekten auf der Webseite des Landes
Zwischenbericht Herdenschutzprojekte 2022

Anna Maria Huber unterrichtet an der International School in Innsbruck und schreibt nicht nur für dolomitenstadt.at sondern auch für die Straßenzeitung 20er. Annas Stärken sind penible Recherchen und die Fähigkeit, komplexe Inhalte in klare und verständliche Artikel zu verwandeln.

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2 Postings

miraculix
vor einem Jahr

Geisler und Dornauer wissen das einfach. Schließlich züchten sie schon seit Jahrzehnten Schafe. - Sorry, sollte natürlich heißen, dass die beiden schon lange Schwarz-weiß-Malerei tranieren und es inzwischen schon ganz gut können ...

Sachlichkeit schaut natürlich anders aus, aber die gegenwärtige Politik lebt nicht von Sachlichkeit (siehe die "aktuellen Maßnahmen" zum Klimaschutz!), sondern von Narrativen und von Framing. Das kommt auch gut an bei vielen Wähler*innen, weil man es ohne gedankliche Beteiligung übernehmen kann. Im Falle von Sachlichkeit wäre das weit schwieriger möglich!

 
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BerglerAT
vor einem Jahr

Bei der aktuell noch geringen Anzahl von Großraubtieren in unserer Region, werden die Herdenschutzmaßnahmen auf einigen Pilotalmen NOCH wirken. Langfristig wird weder der enorme Arbeitsaufwand noch die flächendeckende Finanzierung für den Herdenschutz möglich sein. Deshalb sollte sich auch die Umweltministerin für eine Senkung des Schutzstatus für den Wolf in der FFH Richtlinie einsetzen, damit eine Bestandsregulierung ermöglicht werden kann.

 
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