„Mich hat es als Kind schon immer sehr fasziniert, wenn meine Eltern Gästen ‚vi fria‘ erzählt haben“, schildert der gebürtige Matreier Karl C. Berger, wie er seinen Weg zum Volkskundestudium und später in die Tiroler Landesmuseen gefunden hat. Gleichzeitig sei er als Kind der Siebziger mit den Serien „Es war einmal das Leben“ und „Raumschiff Enterprise“ aufgewachsen: „Bei ersterem geht es um die Vergangenheit, bei letzterem um die Zukunft, das hat mich wohl geprägt“, schmunzelt er.
Das komme heraus, wenn man ein Kind zu lange vor dem Fernseher sitzen lässt, meint er mit einem Augenzwinkern, als Dolomitenstadt.at den schon lange in Nordtirol lebenden Osttiroler in seinem Büro im fünften Stockwerk des Verwaltungsgebäudes der Tiroler Landesmuseen in Innsbruck für ein Interview trifft. Es ist nicht irgendein Büro, es ist das Büro des Geschäftsführers, seit November des vergangenen Jahres steht Berger den Landesmuseen als interimistischer Leiter vor.
Mit dem Begriff „intensiv“ fasst Karl C. Berger sein letztes halbes Jahr kurz und knapp zusammen. Nicht, weil ihm die Worte fehlen – das Erzähltalent hat er von seinen Eltern geerbt – und auch nicht, weil ihm seine derzeitige Arbeit nicht gefällt, aber: „Es gab einfach sehr viel Neues für mich zu lernen, obwohl ich schon lange für die Landesmuseen arbeite, habe ich ganz andere Einblicke in den Betrieb bekommen“. Und: „Eine 40-Stunden-Woche geht sich als Geschäftsführer nicht aus.“
Das war auch einer der Gründe, warum Berger sehr schnell artikuliert hat, sich nicht auf die Leitungsposition zu bewerben und sobald der oder die neue Geschäftsführer:in eingelernt ist, wieder an seinen ursprünglichen Arbeitsplatz als Leiter des Volkskunstmuseums zurückkehren wird: „Ich möchte einfach auch noch Zeit für meine Familie haben.“
Zudem gehe ihm auch das wissenschaftliche Arbeiten und der kreative Part des Entwickelns von Ausstellungen ab: „Das ist schon weniger geworden, seit ich vom wissenschaftlichen Mitarbeiter im Volkskunstmuseum zum Leiter bestellt worden bin und reduziert sich als Geschäftsführer natürlich noch mehr.“
Ich glaube, ich habe eine ziemlich gute Idee, was ein Museum sein soll.
Karl C. Berger, Interims-Geschäftsführer Tiroler Landesmuseen
Doch als gänzlich unkreativ gestaltet sich auch die Zeit als Geschäftsführer für Berger nicht. Bereits als er im Herbst die Interimsstelle antrat, kündigte er an, dass Übergangszeit nicht Stillstand bedeuten solle und er wichtige Weichen stellen wolle, die auch längerfristig Bestand haben: „Es ist schon auch schön, wenn man sieht, dass man den großen Tanker der Landesmuseen in eine Richtung bewegen kann“, meint er. „Ich glaube, ich habe eine ziemlich gute Idee, wohin die Reise gehen soll, was ein Museum sein soll: Kein Tempel für alte abgelegte Sachen, sondern ein offener Raum für Kultur, Diskussionen und Veranstaltungen.“
Dafür reiche es nicht, lediglich zu sagen, dass die Museen ohnehin offene Türen hätten, „man muss auch aktiv auf die Menschen zugehen und sie einladen“. Das Ferdinandeum sei ein „Universalmuseum“, früher habe man das auf die Inhalte der Ausstellungen bezogen, „ich versuche das anders zu denken. ‚Universalmuseum‘ muss heißen, dass sich möglichst viele Menschen darin wiederfinden“, erklärt Berger.
Wie das funktioniert, zeigt beispielhaft ein Projekt, das im vergangenen Herbst und Winter von den Landesmuseen umgesetzt wurde: „Da gab es die Aktionen von Klimaaktivist:innen in Museen und wir hatten ehrlich gesagt schon Angst, dass bei uns auch etwas passiert“, erklärt Berger. Doch anstatt Menschen auszusperren, entschied man sich, verschiedene Klimabewegungen einzuladen, einen Raum im Ferdinandeum zu gestalten. Parallel dazu wurde eine Podiumsdiskussion veranstaltet, um die Klebeaktionen auf den Straßen und in Museen gemeinsam mit den Aktivist:innen, aber auch Vertreter:innen aus der Medienwelt und Politik, zu reflektieren.
Dasselbe gilt für Berger auch beim Thema Migration. Beginnend mit dem Jahr 2015 hat er an einer Ausstellungstrilogie mitgearbeitet, die sich unter anderem mit der Arbeitsmigration in Tirol in den Sechziger- und Siebziger-Jahren beschäftigte: „Ziel ist aber, dass man keine eigene Ausstellung dafür braucht, sondern dass solche Themen selbstverständlich in die Erzählung des Museums integriert werden“, meint Berger. Jedoch habe man als Museum vor 50 Jahren recht wenig gesammelt, was beispielsweise Migration und Industrie betraf.
„Auch jetzt müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, was gesammelt wird und warum. Ich halte wenig von groß angelegten Sammelaktionen, wie sie Museen im Jahr 2015 zum Thema Flucht oder während der Pandemie betrieben haben“, erklärt Berger: „Eine Decke, die verwendet wurde, um Menschen zu wärmen, erzählt noch keine Geschichte, ebenso wenig wie 200 gesammelte FFP2-Masken.“
Wenn Desinfektionsmittelspender neben Weihwasserkrügen stehen, rüttelt das an den Fundamenten des Glaubens.
Karl C. Berger
Viel spannender sei, zu schauen, wie sich solche Ereignisse auf die Gesellschaft auswirken. Vieles falle auch erst in der zeitlichen Distanz auf: „Mich fasziniert, wie etwa die Pandemie im katholischen Tirol Niederschlag gefunden hat: Wenn vor Kircheneingängen Desinfektionsmittelspender neben Weihwasserkrügen stehen, ist das eigentlich Religionskritik und rüttelt an den Fundamenten des Glaubens, schließlich sollte Weihwasser vor jeglichen Gefahren schützen.“
Für Berger sind es die Zusammenhänge, Hintergründe und Erzählungen, die ein Objekt, und damit ein Museum, spannend machen: Er sei kürzlich mit seinem Sohn in einem Museum mit sensationellen Ausstellungsstücken gewesen, sein Sohn habe es schlichtweg mit „langweilig“ kommentiert: „Und ehrlich gesagt habe ich ihn verstanden. Nur, weil etwas 500 Jahre alt ist und ein super Kunstwerk, ist das noch lange kein Ausstellungsgrund.“ Es gelte, an alte Sammelstücke neue Fragen zu stellen und Verbindungen zur Gegenwart herzustellen: „Ein Museum sollte auch immer gesellschaftspolitisch relevant sein“, so Berger.
Dass Menschen wirklich aus der Vergangenheit lernen, ist leider eine Utopie.
Karl C. Berger
Ein Museum sei immer auch ein Versuch, mit historischen Argumenten gegenwärtige Sachverhalte zu erklären. „Dass Menschen wirklich aus der Vergangenheit lernen, ist aber leider eine Utopie“, meint Berger, gerade auch dann, wenn man an die Migrationsthematik denke.
So sei die Ausgangslage für die Arbeitsmigration zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Trentiner nach Tirol kamen, eine grundsätzlich andere gewesen als die Migration in den Sechziger- und Siebziger-Jahren, der Umgang damit aber derselbe: „Man brauchte Arbeitskräfte, holte sie und gab ihnen im Anschluss aber keine adäquate Unterkunft, zum Teil kein Heimatrecht, bezeichnete sie als dreckig und faul. Es ist erschreckend, wie immer wieder Parallelen auftauchen.“ Ähnlich verhält es sich mit einer Völkertafel aus dem 18. Jahrhundert: Die Vorurteile und Stereotype, die dort aufgelistet sind, halten sich zum Teil bis heute.
„Allein über diese Tafel könnte ich stundenlang reden“, schmunzelt Berger, Zeit dafür ist an diesem Tag leider keine, sein Terminplan ist gut gefüllt, der nächste Gesprächspartner klopft schon an die Türe des Geschäftsführer-Büros. Eine Zeit lang wird Karl C. Berger noch in diesen vier Wänden verbleiben. Noch im Mai wird die Entscheidung über die neue Geschäftsführung fallen und nach einer Einarbeitungszeit kehrt Berger wieder in das Volkskunstmuseum zurück, um dort seine schier endlosen Ideen und Konzepte weiter zu verfolgen und das Museum als einen offenen Ort für alle zu gestalten.
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