An starken Regelschmerzen habe sie immer schon gelitten, erinnert sich Louisa*: "Ich hab gedacht, das ist normal“. Sie habe ganze Tage im Bett verbracht und versucht, die Schmerzen ‚wegzuatmen‘, „Schmerzmittel haben irgendwann auch nicht mehr geholfen“. Besonders schlimm wurde es im Studium, als die Schmerzen sie zum Teil an Prüfungstagen außer Gefecht setzten, für die sie monatelang gelernt hatte. „Es ist einfach eine enorme Einschränkung“, erzählt sie.
Durch Zufall sei sie schließlich auf ein Buch gestoßen, in dem eine Betroffene über Endometriose spricht: „Da hab ich mich sofort wiedergefunden.“
Als Louisa ihre Vermutung bei zwei verschiedenen Gynäkologen äußerte, hieß es allerdings lediglich, sie sei zu jung dafür. Als sie schließlich mit 23 Jahren in der Innsbrucker Klinik die Diagnose gestellt bekam, litt sie seit zehn Jahren an den starken Regelschmerzen, die nur zwischenzeitlich durch das Einnehmen der Pille gelindert wurden – „ich wollte allerdings auch nicht ständig Hormone einnehmen“. Fünf Jahre waren vergangen, seit Louisa zum ersten Mal ihren Verdacht bei einem Arzt geäußert hatte.
Im Schnitt dauert es immer noch zehn Jahre, bis Betroffene die Diagnose erhalten.
Peter Widschwendter, Gynäkologe LKH Hall
So wie Louisa geht es vielen Frauen: Schätzungen zufolge stehen Unterleibsschmerzen bei jeder achten Frau in Zusammenhang mit Endometriose. "Im Schnitt dauert es immer noch zehn Jahre, bis Betroffene die Diagnose erhalten“, weiß Peter Widschwendter, Primar der Gynäkologie und Geburtenhilfe am LKH Hall.
Bei Endometriose handelt es sich um Verwachsungen im Unterleib durch Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, sich allerdings außerhalb der Gebärmutter ansiedelt. Diese Verwachsungen werden auch als „Endometriose-Herde“ bezeichnet. Neben starken Regelschmerzen kann Endometriose auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sowie zyklusunabhängige Unterleibsbeschwerden verursachen.
In manchen Fällen erschweren die Verwachsungen die Erfüllung des Kinderwunsches. Bei extrem starker Ausprägung können auch weitere Organe in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.
Wie es zur Entstehung dieser Endometriose-Herde kommt, weiß man bisher noch nicht genau: „Am wahrscheinlichsten gilt die retrograde Menstruation, also die Einschwemmung von Menstruationsblut über die Eileiter in die Bauchhöhle“, erklärt Peter Widschwendter. Ein „zu jung“ für Endometriose gebe es daher nicht, die Diagnose kann ab Einsetzen der Periode gestellt werden. Am LKH Hall wird derzeit an einer weiteren Theorie geforscht, in der man von einer Entwicklungsstörung des sogenannten Müllerschen Organs (u.a. Gebärmutter) ausgeht.
Dass Diagnosen dennoch so selten gestellt werden und Endometriose oft erst festgestellt wird, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, hänge mit mehreren Faktoren zusammen, erklärt Widschwendter: „Einerseits gibt es zu wenig Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung, andererseits auch bei den Frauenärzt:innen, die wir durch regelmäßige Fortbildungen versuchen, auf die Erkrankung aufmerksam zu machen.“ Außerdem sei die Erkrankung komplex, äußere sich auf unterschiedliche Arten und chronische Schmerzpatientinnen seien in der Regel im Abrechnungssystem schlecht abgebildet: „Der Behandlungsaufwand ist groß, die Unterstützungsleistungen gering“. Auch gebe es wegen der fehlenden Medikamente keine Lobby.
Auf EU-Ebene wird bemängelt, dass die fehlende Anerkennung von Endometriose eines der „eklatantesten Beispiele“ dafür sei, dass man von der Gleichstellung von Männern und Frauen im Gesundheitsbereich noch weit entfernt sei. Die jährlichen Sozialausgaben für den krankheitsbedingten Ausfall infolge von Endometriose beziffert das Europäische Parlament auf 30 Milliarden Euro.
Auch Jungs sollten die Erkrankung kennen, um ein Verständnis zu entwickeln.
Peter Widschwendter, Gynäkologe
Bewusstseinsbildung stellt laut Peter Widschwendter die Basis für schnellere Diagnosen dar. Neben Fortbildungen für Gynäkolog:innen startete das LKH Hall vor kurzem eine Plakatkampagne zu Beschwerden während der Menstruation in fast allen Tiroler Schulen: „Auch Jungs sollten die Erkrankung kennen, um ein Verständnis zu entwickeln“, erklärt Widschwendter.
In einem ersten Schritt wird mittels eines Online-Fragebogens der Wissensstand zum Thema Endometriose von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 30 Jahren erhoben, darauf aufbauend sollen in weiterer Folge Aufklärungsvideos erarbeitet werden.
Die medizinische Feststellung der Erkrankung ist nicht ganz einfach: Die aktuelle Studienlage zeigt, dass vor allem bei minderjährigen Patientinnen durch MRT-Untersuchungen gut sichtbare Endometriose diagnostiziert werden kann. Auch durch Ultraschalluntersuchungen und Abtasten können die Herde bei einigen Frauen lokalisiert werden. Ziel der in Hall durchgeführten Forschung ist es, eine Diagnose-Methode zu entwickeln, mit welcher Endometriose mit Hilfe eines Abstriches (ähnlich dem PAP-Abstrich) frühzeitig erkannt werden kann. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto erfolgsversprechender sind die Behandlungsmethoden.
Ist Endometriose erst einmal diagnostiziert, gibt es zwei Hauptsäulen für die Therapie: „Im Wesentlichen sind das die konventionelle Pille und eine Operation“, erklärt Widschwendter. In weiterer Folge bietet das LKH Hall seinen Patientinnen zusätzlich individuelle Therapiestrategien an: Endo8 heißt das Programm, der Name setzt sich aus der Abkürzung für Endometriose und der Zahl Acht für „Achtsamkeit“ zusammen. Die Acht steht aber auch für die acht Disziplinen, die in Hall an der Diagnose und Therapie beteiligt sind.
Chronische Schmerzen und eingeschränkte Fertilität ragen in viele Lebensbereiche einer Frau hinein, die zu sekundären Problemen führen können.
Peter Widschwendter, Gynäkologe
Ein Team von Expert:innen aus der Gynäkologie, dem operativen Bereich, der Radiologie, der Schmerztherapie und Ernährungsberatung sowie klinischen Psycholog:innen kümmert sich um die Bedürfnisse der Patientinnen: „Unsere Hypothese ist, dass verschiedene Therapien jenseits von Operation und Hormonen sich gegenseitig positiv beeinflussen. Chronische Schmerzen und eingeschränkte Fertilität ragen in viele Lebensbereiche einer Frau hinein, die zu sekundären Problemen, etwa auf der psychischen Ebene, führen können“, erklärt Widschwendter, der federführend am Projekt beteiligt ist.
In Louisas Fall war eine Operation notwendig, die Schmerzen werden – ebenso wie die Entstehung neuer Herde - von der Einnahme der Pille im Langzeitzyklus in Schach gehalten. Ganz glücklich ist sie mit dieser Lösung nicht: „Ich kann die Pille ja nicht ewig einnehmen. Was passiert, wenn ich die Pille absetze und wie es in einigen Jahren mit der Erfüllung des Kinderwunsches ausschaut, weiß ich nicht“, meint die 24-Jährige. Positiv sehe sie jedoch, dass das Bewusstsein für Endometriose in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat und immer mehr Forschung in diese Richtung betrieben wird.
*Name von der Redaktion geändert
3 Postings
Bei mir hat die Diagnosestellung ca. 10 Jahre gedauerd. Meine Frauenärztin nahm meine Beschwerden nicht ernst. Auf meiner Arbeitsstelle haben sie mich für psychisch Krank abgestempelt. Nach Diagnosestellung verstand auf einmal jeder warum es mir jahrelang so schlecht ging. Und keiner erwähnte mehr das Wort psychisch Krank, weil jeder auf einmal wusste, warum es mir jahrelang so schlecht ging.
es gibt auch in Lienz Frauenärzte-/tinnen, die Endometriose gar nicht wahr nehmen und das Thema kleinreden bzw. sogar was absolut falsches sagen! Es wirkt zwar beruhigend, schadet aber im Endeffekt.
Wie toll, dass ihr das Thema aufgreift!
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