Das Wintersportgymnasium Stams gilt in Österreich als die Talentschmiede schlechthin. Die Tiroler Schule hat viele Weltmeisterinnen und Olympiasieger hervorgebracht. Allerdings ist der Weg der Nachwuchssportler an die Weltspitze ein harter, wie Regisseur Bernhard Braunstein in seinem Dokumentarfilm "Stams" nachzeichnet, der am 3. März in die Kinos kommt und in dem mit Sophia Waldauf wie berichtet auch eine Osttiroler Sportlerin mitspielt. Aus Anlass der Berlinale-Premiere sprach er mit APA-Redakteur Christoph Griessner über Vertrauensbasis, Verletzungsrisiko und Leistungsgesellschaft.
Was hat Ihr Interesse am Thema geweckt?
Es gibt einerseits das persönliche Interesse. Ich bin selber irrsinnig gerne Ski gefahren und war in einem Skiclub, bei dem ich Rennen gefahren bin - wenn auch auf unterstem Niveau. (lacht) Das hat mich schon geprägt. Daher war mir Stams auch ein Begriff, das war ein mythisch aufgeladener Ort. Andererseits gibt es natürlich österreichweit diesen identitätsstiftenden Aspekt, der mich auch gereizt hat. Außerdem die Tatsache, mit Jugendlichen arbeiten zu können. Diese Zeit der Selbstfindung und des Erwachsenwerdens ist sehr spannend. Das in so einem Setting zu versuchen, ist natürlich sehr speziell.
Sie haben beinahe zwei Jahre in Stams gedreht. Wie haben Sie sich denn das Vertrauen Ihrer Protagonistinnen und Protagonisten erarbeitet?
Die Idee war, ein Schuljahr von September bis Juli zu drehen. Es hat aber eine sehr lange Vorbereitungszeit gegeben. Im Dezember 2017 war ich erstmals in der Schule, habe dann ein Jahr lang recherchiert und viel Zeit vor Ort verbracht. Ich habe versucht, die Menschen besser kennenzulernen. Der Film lebt vom gegenseitigen Vertrauen und natürlich von Menschen, die sich uns gegenüber geöffnet haben. Das funktioniert natürlich nicht, wenn man einfach mit laufender Kamera hingeht. Wir haben uns sehr diskret verhalten und mit den Schülerinnen und Schülern alles sehr genau besprochen. In all meinen Filmen ist mir ein sensibler, wertschätzender und toleranter Blick auf die Menschen vor der Kamera sehr wichtig.
Dadurch erhält der Film neben den sportlichen Aspekten sowie dem Schulalltag beinahe einen Coming-of-Age-Charakter, weil Sie auch in privaten Situationen dabei sein durften...
Das Erwachsenwerden spielt da natürlich rein. Die erste Verliebtheit, das Leben als Einzelkämpferin in der Gemeinschaft. Ich war erstaunt, wie viel Solidarität es auch gibt und wie sich die Jugendlichen gegenseitig in schwierigen Phasen unterstützen. Mich haben auch die mentale und physische Stärke und das Können fasziniert. Der Leistungsgedanke war mir auch wichtig: Was macht diese Fokussierung mit uns, was sind die Schattenseiten? Im Hochleistungssport ist das natürlich auf die Spitze getrieben, allerdings zieht sich die Idee der Leistung eigentlich durch viele Gesellschaftsbereiche - das beginnt ja schon in der Volksschule, wenn die Kinder einen durchstrukturierten Tag haben. Außerdem geht das einher mit viel Leid, was man im Film auch sieht. Mir war schon klar, dass man sich beim Sport verletzen kann, aber die Dimension der Verletzungsproblematik hat mich schon sehr schockiert. Viele haben bereits im jungen Alter schwerste Verletzungen. Das ist einerseits eine Frage des Materials, das immer weiter gepusht und aggressiver wird, aber für mich auch eine Frage der Überbelastung.
Ein Bursche thematisiert das im Film auch, wenn er sagt: Nach dem sechsten Lauf fühlt er sich zwar körperlich noch fit, müsste seinem Trainer aber sagen, dass er es psychisch nicht mehr schafft...
Genau. Und es gibt Trainer, die dafür kein Verständnis haben. Die pushen weiter und weiter, was hochproblematisch ist. Einerseits aufgrund der Verletzungsgefahr, andererseits brennen manche jungen Sportler total aus. Sie haben das Gefühl, in einem Tunnel zu sein. Da geht dann auch die Freude am Sport und an dem, was sie eigentlich so lieben, verloren. Dann werden sie zu Maschinen, wie ein junger Athlet im Film auch sagt.
Stilistisch sind Sie immer sehr nahe an den Jugendlichen dran, setzen sie oft mit Großaufnahmen in Szene, während Trainer oder Lehrende eher aus dem Off zu vernehmen sind. Wieso haben Sie diesen Weg gewählt?
Unser Ansatz war, die Geschichte aus der Perspektive der Jugendlichen zu erzählen. Dafür mussten wir mit der Kamera sehr nah sein, auch mit der Idee, die Körperlichkeit, die Mimik, die Gestik, die Gesichter zu filmen. Darin erkennt man oft mehr, was in den Menschen vorgeht, als wenn etwas nur erzählt wird. Ich wollte den Jugendlichen auch durch den Film eine Stimme geben, meiner Meinung nach werden sie zu wenig gehört.
War es schwierig, die Schulleitung vom Projekt zu überzeugen?
Als wir das Projekt gestartet haben, wurde durch Nicola Werdenigg gerade der Missbrauch im Sport und an sportspezifischen Schulen thematisiert. Da dachte ich mir: Jetzt ist es vorbei, sie lassen uns nicht mehr rein. Das war aber nicht der Fall. Es gab mit der Direktion ein sehr gutes Verhältnis. Wir haben immer alles sehr klar besprochen. Und es war klar, dass es kein Werbefilm wird und sie kein Mitspracherecht haben. Wir haben uns sehr frei in der Schule bewegen können, was meiner Arbeitsweise entspricht. Ich gebe dem sehr viel Raum, mit dem Team durch die Schule zu streifen, um interessante Momente entdecken zu können.
Die Missbrauchsthematik wird im Film selbst aber ausgespart. Wieso haben Sie eine Kontextualisierung in dieser Hinsicht nicht vorgenommen?
Braunstein: Man kann nicht sagen, ich habe die Thematik ausgespart. Ich war sehr stark sensibilisiert und vorbereitet darauf. Ich bin aber nicht mit einer vorgefertigten Idee in die Schule gegangen, sondern habe so unvoreingenommen wie möglich den Alltag der Schülerinnen und Schüler über einen langen Zeitraum genau beobachtet. Ich habe dann Themen aufgegriffen, die von den Jugendlichen selbst gekommen sind. So wird der Film meiner Meinung nach den Jugendlichen eher gerecht und zeichnet ein komplexes Bild von Stams.
Stams-Regisseur Braunstein: „Der Film lebt von Vertrauen“
Der Dokumentarfilm über die Härten und Hindernisse auf dem Weg zur sportlichen Weltspitze kommt am 3. März ins Kino.
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