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Durch die Pampa bis ans Ende der Welt

Von Sitzfleisch und Gegrilltem, Messi und Messies, langen Tagen und vielen Umarmungen.

Es ist Sonntag. Auf den Straßen von Buenos Aires herrscht wenig Verkehr. Wir verlassen das Hafengelände und radeln durch das Zentrum. Natürlich warnen uns die Menschen am Hafen vor der gefährlichen Stadt, doch wir merken nichts davon. Es ist einiges los auf den gut ausgebauten Radwegen. Vorbeiradelnde rufen uns ein freundliches "Hola" zu und wünschen uns eine gute Reise. Schon nach ein paar Minuten haben wir mehrere neue Follower auf Instagram. So läuft das heutzutage. Noch vor Herkunft und Namen wird man nach dem Instagram Account gefragt. 

Unterwegs zum Abendessen mit Freunden in Buenos Aires.

Die vielen Altbauhäuser im Stadtviertel San Telmo erinnern mich an Wien und geben der argentinischen Hauptstadt ein europäisches Flair. Auch Matias, unser erster Warmshower Gastgeber, wohnt in einer Altbauwohnung mit hohen Räumen und Türen und einem alten Lift in dem wir unsere Räder stehend in den vierten Stock befördern können. Matias ist selbst schon viel geradelt, hat auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet und ist einer der wenigen Veganer in Argentinien. Wir verstehen uns gut, für Gesprächsstoff ist gesorgt. 

Was in Österreich das Bier, ist in Argentinien der Mate-Tee. Kaum treffen Menschen aufeinander, wird der "Mate", meist ein ausgehöhlter, eingefasster Kürbis, ausgepackt und mit "Yerba Mate", dem Teekraut, gefüllt. Aufgegossen wird heißes, aber niemals kochendes Wasser aus der Thermosflasche. Die Ausschenkende reicht den Mate nach jedem Aufguss der nächsten Person in der Runde. Diese trinkt in mehreren Zügen aus der Bombilla, dem metallenen Strohhalm mit einem Sieb am unteren Ende, und gibt den Becher zurück. Selbst Corona hält viele Argentinier:innen nicht von ihrer Tradition ab, mit fremden Menschen die selbe Bombilla zu teilen.

Matias Mate geht reihum und er beantwortet uns geduldig die vielen Fragen, die sich uns bei Ankunft in einem unbekannten Land jedes mal von neuem stellen. Wir müssen uns orientieren und organisieren und brauchen argentinische Pesos. Gut, dass wir nicht am erstbesten Automaten Geld abgehoben haben! Von Mati erfahren wir, dass es neben dem offiziellen Wechselkurs noch einen inoffiziellen Kurs für den sogenannten "Dollar Blue" gibt. Dieser ist in etwa doppelt so hoch und wird ganz offiziell in der Zeitung bekannt gegeben.

Die argentinische Wirtschaft befindet sich in einer Dauerkrise, der Peso fällt stetig, die Inflation galoppiert, US-Dollar sind heiß begehrt. An jeder Ecke der Haupteinkaufsstraßen ruft man uns "Cambio, Cambio" zu. Hier bekommt man für US-Dollar den guten, inoffiziellen Wechselkurs. Oder man schickt sich selber via Western Union Geld nach Argentinien und bekommt einen noch besseren Kurs. Das Geld ist in wenigen Minuten transferiert, die Auszahlung dauert aufgrund der langen Warteschlangen oft stundenlang. Wie der inoffizielle Dollar-Blue Kurs festgelegt wird und warum Western Union noch mehr für US-Dollar gibt, bleibt uns ein Rätsel. Inzwischen bekommt man als Tourist:in bei Kreditkartenzahlung sogar ganz offiziell den inoffiziellen Wechselkurs.

Geld ist organisiert, nun heißt es Pläne für die Weiterreise schmieden. Wir wollen den patagonischen Sommer nutzen und unsere Radreise im äußersten Süden des Landes starten. Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, soll unser Startpunkt sein. Von Buenos Aires bis ganz hinunter sind es stolze 3000 Kilometer. Die Ruta 3 ist bekannt als eintönige Küstenstraße durch die patagonische Pampa. Sie zu radeln wollen wir uns sparen und suchen nach einem geeigneten Transportmittel. Am einfachsten und schnellsten wäre es, in ein Flugzeug zu steigen. Doch irgendwie gefällt uns der Gedanke nicht so recht, schließlich sind wir ohne zu fliegen schon so weit gekommen. Züge gibt es kaum, vor allem nicht in den Süden. So bleibt uns nur der Bus.

Züge gibt es kaum, vor allem nicht in den Süden. So bleibt uns nur der Bus.

Gemeinsam mit Matias radeln wir zum riesigen Busterminal und fragen uns von einem Schalter zum nächsten durch. Unser Gastgeber hilft beim Übersetzen. Nach einigem Hin und Her und vielen Überlegungen, ob es nicht doch besser wäre, das Flugzeug zu nehmen, kaufen wir die Bustickets nach Rio Gallegos. Von dort fährt ein anderes Busunternehmen weiter nach Ushuaia. Da der komfortable Fernbus keinen Stauraum für unsere Räder hat, müssen wir sie als Gepäck verschicken. Erneut einiges Herumfragen an verschiedenen Ticketschaltern bis wir endlich im unteren Stockwerk in der hintersten Ecke das gesuchte Transportunternehmen finden. Man erklärt uns, dass der Frachttransport zwei Tage dauert. Perfekt, denken wir und verabschieden uns mit den Worten, am nächsten Tag wiederzukommen, um die Fahrräder abzugeben.

Von Buenos Aires sehen wir nicht allzu viel, aber genug, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Bei 35 Grad ist es sowieso zu heiß und die Nächte sind trotz Ventilator wenig erholsam. Gut, dass wir bald Richtung Süden weiterreisen und uns nicht an die Hitze gewöhnen müssen. Die Frühsommerabende genießen wir dafür umso mehr und schlendern durch das belebte Künstlerviertel San Telmo, um uns mit Freunden zum Abendessen zu treffen. Die Straßen sind voll junger Argentinier:innen, kaum jemand ohne Tatoo oder Piercings. Ferdi genießt im Restaurant sein erstes Asado, das traditionelle argentinische BBQ. Ein richtig dickes Rindersteak, das fast den kompletten Teller füllt, dazu ein paar Erdäpfel. Die Argentinier sind Weltmeister im Grillen gigantischer, saftig zarter Fleischstücke. 

Mit acht Metern Noppenfolie, Klebeband und Karton ausgerüstet, radeln wir am nächsten Tag erneut zum Busbahnhof. Nach einer guten Stunde wickeln und kleben ist alles Verpackungsmaterial verbraucht und unsere Räder gehen gut geschützt auf die Reise in den Süden. Wir geben ihnen einen Tag Vorsprung, um sicher zu gehen, dass sie abholbereit sind, wenn wir in Rio Gallegos ankommen.

Ein letzter warmer Sommerabend auf Matias' Dachterrasse mit gutem patagonischen Bier und leckerem veganen Essen. Am darauffolgenden Mittag sitzen wir im Bus Richtung Rio Gallegos. Die erste Etappe bis Comodoro Rivadavia dauert 28 Stunden. Bis auf ein paar sehr kurze Pausen fahren wir durch. Die Sitze lassen sich weit zurücklehnen, einen guten Schlaf finden wir trotzdem nicht. Die Klimaanlage ist voll aufgedreht und ich sitze mit Pullover, Haube, Wollsocken und Schlafsack im Bus, während es draußen 30 Grad hat. Immer wieder werfe ich einen Blick aus dem Fenster, um festzustellen, dass sich die Landschaft innerhalb der letzten Stunden nicht verändert hat. Flache Pampa, ein durchgehender Zaun links und rechts der Straße. Wir sind froh, hier inmitten von Nirgendwo nicht radeln zu müssen und den Weg im Bus absitzen zu können. Der Hintern tut trotzdem weh.

Im Bus lernen wir Facundo kennen, einen jungen Argentinier der uns die verbleibenden Stunden Gitarre spielend und singend begleitet. Der erste Nachmittag, eine Nacht und fast ein ganzer weiterer Tag sind geschafft. Wir auch. In Comodoro Rivadavia ist erst mal Pause. Wir spazieren an den Atlantikstrand und verbringen ein paar Stunden im Park. Zwei Obdachlose stimmen in Facundos Gesang ein, die Jugendlichen nebenan applaudieren. Der Anschlussbus hat Verspätung. Facundo beweist Ausdauer und spielt bis Mitternacht im Busterminal weiter. Eine weitere Nacht im Bus liegt vor uns. Es regnet und regnet. Die Außentemperatur ist bis auf 12 Grad gesunken. Die Straße bleibt schmal, ohne Seitenstreifen und es herrscht reger Verkehr. Weiterhin eintönige Graslandschaften, vereinzelt ein paar Schafe und Kühe.

Nach insgesamt 48 Stunden erreichen wir endlich Rio Gallegos. Facundo hilft Ferdi beim Ausfindigmachen unserer Räder. Als sie kurz darauf ohne diese zurückkommen, ahne ich nichts Gutes. So wie es aussieht, müssen wir noch eine Woche warten, ehe wir die Fahrräder abholen können. Es stimmt zwar, dass der Lkw zwei Tage von Buenos Aires nach Rio Gallegos braucht, aber leider fährt er nur einmal pro Woche. Diese Information hat man uns in Buenos Aires vorenthalten. Rio Gallegos ist nicht unbedingt der Ort, an dem man gerne eine Woche verbringt. Kurzerhand beschließen wir, gleich am folgenden Tag den Bus nach Ushuaia zu nehmen und die Stadt am Ende der Welt ohne Fahrrad zu erkunden.

Facundo wird von seiner Familie abgeholt. Seine Mutter sieht auf den ersten Blick, was wir nach dieser langen Busfahrt brauchen: Eine Dusche. Ab zu ihnen nach Hause. Beim Mittagessen kommen wir auf traditionelle Tänze zu sprechen und schwingen zu Cumbia und Walzer das Tanzbein. Facundo wird langsam nervös. Das WM-Viertelfinale beginnt. Nach nervenaufreibenden Minuten gewinnt Argentinien das Elfmeterschießen und unser Freund stürzt Freude schreiend nach draußen. Auch wir haben Glück und finden auf Warmshower einen Gastgeber, der uns spontan für eine Nacht aufnimmt. 

An dieser Stelle möchte ich gerne erwähnen, wie wohl wir uns bereits im Land fühlen. Die Argentinier:innen sind überaus nett und hilfsbereit. Der Umgang miteinander ist herzlich, die Begrüßung eine dicke Umarmung. Für den Anfang ist so viel Nähe etwas ungewohnt. Tief sitzen bei mir noch die Erinnerungen an den Iran, unserem letzten Reiseland. Auch wenn wir den Iran zu einem unserer Lieblingsländer zählen, so war ich doch oft verunsichert darüber, wie ich mich verhalten soll, wann es in Ordnung ist, das Kopftuch abzunehmen, wem ich die Hand geben darf und wem nicht. Für uns ist es wichtig, die Sitten eines Landes zu kennen und zu respektieren. Gerade wenn man neu in einem Land ist, gelingt das nicht immer auf Anhieb. Nicht so in Argentinien. Hier fühle ich mich frei und ungezwungen, kann anziehen was ich will und werde von Frauen sowie von Männern umarmt und abgebusselt.

Grenzübertritt nach Chile: Erbarmungslos ist der patagonische Wind und streng sind die Einfuhrkontrollen.

Tags darauf geht es weiter nach Ushuaia. Die Inselgruppe Tierra del Fuego, wie Feuerland auf Spanisch heißt, ist zwischen Argentinien und Chile aufgeteilt. Ushuaia, die südlichste Stadt der Welt, gehört zu Argentinien, ist allerdings nur über Chile erreichbar. So überqueren wir zum ersten Mal die Grenze nach Chile. Die strengen Einfuhrbestimmungen verbieten die Mitnahme von frischem Obst und Gemüse, Fleisch, Nüssen und Samen und einigen weiteren Lebensmitteln. Die Taschen werden gescannt und so manche Tomate beschlagnahmt. Beim Ei einer Mitreisenden gibt es Verständigungsprobleme darüber, ob das Ei gekocht oder roh ist. Ein Klopfer auf den Tisch bringt Klarheit. Das gekochte Ei darf einreisen.

An der Grenzstation machen wir erstmals Bekanntschaft mit dem erbarmungslosen patagonischen Wind und sind froh, dass wir schnell wieder im Bus Platz nehmen dürfen. Nach wenigen Metern auf chilenischem Boden tuscht es. Die vielen Zäune halten die Guanakos nicht davon ab, überraschend die Straße zu queren und dabei von Autos oder unserem Reisebus angefahren zu werden. Für die wild lebenden Tiere ist nicht nur der Zusammenstoß mit den Fahrzeugen lebensgefährlich, manchmal missglückt der Sprung über den Zaun und sie verheddern sich hilflos im Stacheldraht. An Zäunen hängende Guanakogerippe gehören zum Straßenbild.

Wir überqueren die Magellanstraße mit einer Fähre.

Die Magellanstraße trennt Tierra del Fuego vom Festland und wird per Fähre überquert. Zwei Stunden vor Ende der Busfahrt kommt endlich Abwechslung in die Landschaft. Nach tausenden Kilometern Pampa die ersten Bäume. Es wird hügeliger, wir fahren an Wäldern, Wiesen, Seen und Flüssen entlang. Der Wald mit seinen flechtenbehangenen bärtigen Bäumen erscheint märchenhaft mystisch. Leider ist nicht alles so traumhaft. Ein Waldbrand wütet in der Gegend und so erblicken wir aus unserem Busfenster viele verkohlte Bäume. Der heftige Wind sorgt für eine rasche Ausbreitung, die roten Wolken am Horizont zeugen von der Dimension des Feuers. Unser Bus schlängelt sich eine kurvige Passstraße die Berge empor, dann hinab nach Ushuaia, wo wir nach 12 Stunden Fahrt ankommen.

Samanta ist unsere dritte Warmshower Gastgeberin in Argentinien. Sie lebt in einem der vielen kleinen bunten Häuschen, die sich zwischen der Gebirgskette im Norden und dem Beagle Kanal im Süden aneinander reihen. Als wir kurz vor elf Uhr nachts Samantas Haus betreten, ist es draußen immer noch hell. Sonnenuntergang ist momentan zwischen 22 und 23 Uhr, auch danach wird es nicht richtig dunkel. Die Tage sind unglaublich lang. Sonntags begleitet uns Samanta auf eine kleine Wanderung zur Laguna Esmeralda, die unter Tourist:innen sehr beliebt ist.

Es herrscht reges Treiben auf den Pfaden. Wie gut es tut, nach so langer Anreise und dem vielen Sitzen wieder aktiv zu sein und die frische Luft der Wälder einzuatmen! Beim Jausnen am türkisblauen Bergsee frischt der Wind auf. Während ich eingehüllt in Daunenjacke und Wollhaube Mate-Tee schlürfe, sitzt Samanta im T-Shirt neben mir. Sommer auf Feuerland heißt Temperaturen um die 15 Grad. Für die Einheimischen eine warme Freude. Doch auch hier wandelt sich das Klima und so gibt es inzwischen Tage, an denen das Thermometer auf bis zu 25 Grad klettert.

Da wir sowieso auf die Ankunft unserer Räder in Rio Gallegos warten müssen, bleiben wir ein paar Tage in der gemütlichen Unterkunft. Natürlich wird auch bei Samanta Fußball geschaut. Wieder bleibt es spannend bis zum Schluss. Erst im Elfmeterschießen gewinnt Argentinien das Halbfinale. Die Hörner der im Hafen liegenden Kreuzfahrtschiffe schallen bei jedem Tor über die Bucht. Die ganze Stadt ist auf den Beinen und feiert in blau-weiß gestreiften Trikots, als hätten sie heute schon das Finale gewonnen.

Trampen in Argentinien funktioniert super! Die Hilfsbereitschaft begeistert uns.

Den Rückweg nach Rio Gallegos wollen wir per Autostopp bewältigen. Das soll in Argentinien recht gut funktionieren. Ein Autofahrer winkt uns zu sich: Hier sei kein guter Platz zum Trampen. Er fährt uns gerne zum Stadtausgang, wo es einfacher ist, eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Dort hält auch gleich ein Lkw. Der brasilianische Fahrer ist lustig, hört gute Musik und unterhält sich gern - ob mit uns oder mit sich selbst sei dahingestellt. Beim Ortseingang der nächsten größeren Stadt steigen wir aus und strecken erneut den Daumen raus. Anscheinend wieder kein guter Ort. Auf den Beifahrersitz des ersten Autos gequetscht, das vorbeifährt, werden wir erneut ans andere Ende der Stadt gefahren.

Die Hilfsbereitschaft begeistert uns! Weiter geht es in einem Pickup bis zur chilenischen Grenze. Dort steigen wir erneut in einen Lkw. Ich finde meinen Platz mehr schlecht als recht zwischen den beiden Sitzen. Trotzdem ist die Fahrt ein schönes Erlebnis. Matteo ist hauptberuflich Polizist, betreibt nebenbei einen kleinen Mini-Markt und fährt in seiner Freizeit Lkw. Heute ist er am Weg nach Rio Gallegos, um eine Ladung Fleisch abzuholen. Wir plaudern und schlürfen Mate. Das Trampen hat super funktioniert, wir waren schneller als mit dem Bus. In Rio Gallegos können wir erneut bei Nicolas und Caro übernachten. Matteo fährt uns mit seinem Lkw bis vor die Haustüre. Was für ein Auftritt!

An diesem Wochenende feiert die Stadt ein Jubiläumsfest mit Musik auf mehreren großen Bühnen und unzähligen Getränke- und Essensständen. Ganz Rio Gallegos ist auf den Beinen, die Menschenmasse ist riesig. Ferdi probiert zum ersten Mal Choripan, eine Art Hotdog, für mich gibt's Papas Fritas und einen mexikanischen Wrap. Eine große Auswahl an Craft Beer ist in Argentinien selbstverständlich, die bitteren IPAs (Indian Pale Ales) schmecken uns besonders gut.

Nicolas fährt nicht nur gerne Kajak, sondern auch Geländewägen. Nachdem wir ausgeschlafen haben, bekommen wir eine Werkstattführung. Ferdi beginnt gleich zu schrauben und repariert die Schaltung an Nicolas' Fahrrad. Die Freude ist groß, als wir tags darauf endlich unsere Fahrräder in Empfang nehmen. Um einen weiteren Teil der patagonischen Pampa zu überspringen, nehmen wir noch einmal einen Bus und fahren ein paar Stunden gen Westen nach Rio Turbio. Die Räder sind noch in Plastikfolie verpackt und mit etwas Stapelfertigkeit gelingt es Ferdi, sie im Gepäckraum zwischen Taschen, Koffern, Paketen und neuen Autoreifen unterzubringen. In Rio Turbio schlafen wir bei Guerro und seiner Frau.

Auch ihn haben wir über Warmshowers kontaktiert. Schon während der Busfahrt schickt er mir Fotos von Fleischbergen. Patagonisches Lamm steht heute am Speiseplan. Zu einem guten Sonntag gehört ein gutes Asado. Für ein Cordero al Palo wird das ganze Lamm auf ein Kreuz aus Baustahl gespießt und leicht geneigt stundenlang über dem Feuer gegrillt. Guerro schickt mir noch ein Foto von seinem kleinen Gemüsegarten hinterher, damit auch ich nicht leer ausgehe. Als wir etwas verspätet ankommen, ist der Tisch im Innenhof voll mit Knochen, leeren Weinflaschen, Zigarettenstummeln, ein paar Brotresten und jeder Menge anderem Kram. Ein paar Freunde sind eingeladen, später wird uns einer von ihnen einige seiner Lieder zum besten geben. Er scheint ein recht bekannter Musiker zu sein. Soweit wir verstanden haben, war er für den Latin Grammy nominiert! 

Die Nächte bei Guerro sind speziell. Wir schlafen in einem Nebengebäude. Ein paar Räume sind voller Müll, überall liegt Baumaterial herum. Es gibt (noch?) keine Innentüren, keine Vorhänge. Jeder der draußen vorbeigeht, kann uns am Klo sitzen sehen. Die Außentüre ist kaputt, wir müssen durchs Fenster steigen und sie von innen öffnen. Nicht die gemütlichste Unterkunft, aber zur Abwechslung mal etwas Abenteuerlicheres. Guerro und seine Frau sind sehr nett und gastfreundlich, leben allerdings in einem klassischen Messie-Haushalt. Ein anderer Messi hat am nächsten Tag seinen großen Auftritt im Finale der Fußballweltmeisterschaft. Ein Spiel voller Spannung und Leidenschaft. Normalerweise interessiert uns Fußball nicht wirklich, aber es ist schon etwas Besonderes, während dieses Großevents in einem so fußballbegeisterten Land unterwegs zu sein und mit den Argentinier:innen mitzufiebern. Wir werden Weltmeister!

Es ist soweit. Nach über einem Monat Anreise packen wir die Räder aus. Ab jetzt wird gestrampelt. Foto: Marlen Schieder

Für uns kommt ein anderer großer Moment. Nach über einem Monat Anreise steigen wir tatsächlich aufs Fahrrad und starten unsere Radreise. Nach langem Hin und Her haben wir uns dazu entschlossen, drüben in Chile durch den Torres del Paine Nationalpark zu radeln und sind gespannt, ob Natur und Landschaft den Massentourismus und die Überteuerung ausstechen können.


Marlen aus Lienz und Ferdi aus Salzburg sind wieder mit ihren Rädern unterwegs. 2019 radelten die beiden in neun Monaten von Lienz aus mehr als 11.000 Kilometer durch 14 Länder bis in den Iran, bevor sie von Covid gestoppt wurden. Die aktuelle Reise führt unser Paar von Patagonien nordwärts quer durch Südamerika. Alle Etappen – auch der bisherigen Reisen – haben wir in einer eigenen Serie „Marlen & Ferdi“ zusammengefasst.

Copyright für alle Reportagen und Bilder: Marlen Schieder.

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