Alle Jahre wieder verursacht das österreichische Schulsystem Notenstress für Kinder der vierten Volksschulklassen, für ihre Familien und die Volksschullehrpersonen. Denn im Februar müssen Mütter und Väter entscheiden, ob sie ihr Kind an einer Mittelschule oder einem Gymnasium anmelden. Eine folgenreiche Entscheidung, mit der in der Regel die Chancen für den weiteren Bildungs- und Lebensweg verteilt werden. Ausschlaggebend für die Aufnahme an einer AHS sind sehr gute Noten und dies, obwohl die Aussagekraft, Vergleichbarkeit und der prognostische Wert von Zeugnisnoten für die Entwicklung von Interessen und Leistungen wissenschaftlich mehr als fragwürdig sind, nicht nur, aber besonders bei neunjährigen Kindern.
Die negativen Folgen des Notenlernens für neugieriges Fragen, Freude am Lernen und das eigenständige Entwickeln von Interessen und Neigungen sind bekannt. Dass in Österreich Bildung vererbt wird und Kinder von Arbeiter:innen, unter ihnen viele Migrant:innen benachteiligt, belegen sozialwissenschaftliche Studien. Beim Auseinanderdividieren der sozial durchmischten Volksschulkinder in Mittelschüler:innen und „höhere“ AHS-Schüler:innen wird also nach Bildungserfahrungen und Bildungsabschluss der Eltern selektiert.
Das ist nicht nur ungerecht, sondern verhindert zudem das weitere miteinander und voneinander Lernen. Und leider auch jede Menge soziale Erfahrungen, die wir alle für das gemeinsame Lösen von akuten krisenhaften Problemen brauchen werden. Zusammenarbeit zur Auseinandersetzung mit Klimawandel, Umweltkrise, Energiekosten, Armut, Hunger und Krieg ist mehr denn je notwendig. Gute Bildung aller fördert Solidarität, Nächstenliebe, Respekt und Weltoffenheit, national und international – Werte, die wir mehr denn je benötigen.
Da machen es viele andere Länder besser, denn dort gehört das vom Schulsystem vorgeschriebene Auseinanderdividieren von Kindern schon längst der Vergangenheit an. Allgemeinbildung wird als Bildung von allen in allem verstanden, individuelle Förderung und soziale Integration, auch Inklusion sind möglich. Welche weiterführende Schule Jugendliche nach dem Pflichtschulabschluss besuchen, entscheiden nicht die Eltern von Neunjährigen, sondern die 15- bis 16-jährigen Jugendlichen selbst, Eltern und Lehrer*innen beraten sie dabei.
Markus Astner
AHS-Lehrer, Gemeinsame Bildung 2.0
7 Postings
Man sieht an der Volkschule, dass eine gemeinsame Schule nicht funktioniert. Da gibt es nicht wenige Kinder, die nach 4 Jahren weder Rechnen noch Deutsch können. Gemeinsame Schule funktioniert nur dann, wenn alle durch dasselbe Tor gehen, und dann nach Leistungsfähigkeit getrennt werden. So wie das ja heute in den Mittelschulen gemacht wird.
Ja, wie wahr.
Da bin ich noch Volksschule gegangen, da hat es die Diskussion "Gesamtschule" schon gegeben. Viele Jahre später ist Österreich noch keinen Schritt weiter, bei Schulreformen werden lieber Fächer und Schulen umbenannt als echte Reformen zu machen. Bei den Noten bin ich ganz bei Herrn Astner. Noten in der VS sind meist nur für die Eltern wichtig. Wichtiger wäre ein Feedback für Kinder (und Eltern) - das ist motivierender als ein "Genügend". Und wenn man Noten so vergeben würde, wie es in so manchem Lehrplan drinnen steht, dann gnade uns Gott. Ein "Sehr Gut" wäre "wenn die Leistung weit über das Erforderliche hinaus erbracht wird". Wie viel Druck will man den Kindern zumuten? Es gehört eine Schulreform her, aber eine echte, die über Fächer- und Schulumbenennungen hinausgeht.
Ihre Ansicht zum österr. Schulsystem unterstreiche ich zu 100%, Herr Astner!
Die engstirnigen Ideologien der Parteien (insb. der ÖVP!) ist hauptsächlich für das jahrzehntelange Versagen in der österr. Bildungspolitik verantwortlich! Dazu habe ich mich bereits hier im Forum, an anderen Stellen, kritisch geäußert.
Diese Probleme bleiben wohl den Landeshauptstädten vorbehalten.
Ein AHS-Lehrer sollte wissen, dass den Kindern auch nach der 4. Klasse Mittelschule alle Bildungswege offen stehen! Überhaupt ist es absolut falsch, zu behaupten, dass Kindern, die die Mittelschule besuchen, "weniger Chancen für ihren Bildungs- und Lebensweg" haben sollen (vielleicht die Präpotenz eines AHS-Lehrers :-))! Ein "Auseinanderdividieren der Volksschulkinder" erfolgt wohl höchstens durch einige Eltern (oder "Bildungsexperten"), nicht durch die Kinder! Und warum in der Mittelschule weniger soziale Erfahrungen, weniger Lösungen von Problemen, ja, wie der Autor anscheinend meint, "weniger Bildung", weniger Werte vermittelt werden - das muss mir auch einmal jemand erklären! Bei uns in Osttirol hängt die Entscheidung Gymnasium oder Mittelschule wohl hauptsächlich von der Entfernung zum Schulstandort, von Schwerpunkten und von FreundInnen ab! In Bezirken mit hohem Migrantenanteil mag es vielleicht anders sein. Nur zur Ergänzung: Ich bin weder Mittelschul- noch AHS-Lehrer! Für unsere Kinder haben wir schon allein wegen der Entferung zur Schule (5 Minuten Gehweg gegen 30 Minuten Busfahrt) die Mittelschule gewählt. Und sie haben dann alle weiterführende Schulen besucht, maturiert ....
bitte nochmal lesen.
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