Bereits im September dieses Jahres wurde ein Podcast-Gespräch in unserem Studio in Lienz aufgezeichnet, bei dem sich die beiden Kunsthistorikerinnen Elisa De Gaetani und Desiree Gangl über ein Thema unterhielten, das sich durch Jahrtausende der Menschheitsgeschichte bis in unsere Tage zieht: Flucht und Vertreibung aus religiösen Gründen.
Dazu gibt es in Osttirol einen historischen Bezug, der weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Um ca. 1683 musste rund ein Drittel der Bevölkerung des Defereggentales die Heimat verlassen, weil sich diese Menschen zum protestantischen Glauben bekannten. Desiree Gangl studierte in Innsbruck Geschichte und Kunstgeschichte und hat über die „Deferegger Exulanten“ eine Bachelorarbeit verfasst.
„Mich faszinierte vor allem die Frage, wie der Protestantismus ins Defereggen kam und wie dieser Glaube sich in so einem kleinen Tal im ‚Heiligen Land Tirol‘ verbreiten konnte“, erzählt die Historikerin, die als Museumspädagogin arbeitet. Im Gespräch mit Elisa De Gaetani erläutert sie einige besonders tragische Aspekte dieses dunklen Kapitels der Osttiroler Geschichte. So mussten die Vertriebenen beispielsweise nicht nur ihr Hab und Gut zurücklassen, sondern auch ihre Kinder, die in katholischen Pflegefamilien umerzogen werden sollten.
Der Dolomitenstadt Podcast ist ein akustisches Magazin, das die Redaktion von dolomitenstadt.at in Lienz zusammenstellt. Das Themenspektrum ist breit und beschränkt sich nicht nur auf die Region. Wir stellen spannende Projekte vor, widmen uns den Künsten und der Kunst des Lebens, schauen in Kochtöpfe und über den Tellerrand, greifen heiße Eisen an und diskutieren die Themen unserer Zeit mit Menschen, die etwas zu sagen haben. Zu finden auch auf Spotify, bei Apple Podcasts und Google Podcasts.
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Auf der Homepage des Vereins "Bildung bringt Frieden" gibt es eine Liste mit den über 600 Namen der vertriebenen Deferegger. www.bildung-frieden.net Unter AKTUELL Sie stammen von einem Plakat, das Ottilie Stemberger aus St.Veit in Zusammenarbeit mit Dr. Beimrohr erstellen hat lassen. Zu einer Veranstaltung im Rahmen der "Woche des Interreligiösen Dialogs der UNO" am 28.2.2023 wurde es im Bildungshaus Osttirol aufgestellt. Weitere Aufstellungsorte dafür sind in Vorbereitung.
Danke für das Aufgreifen dieses Themas. Dass die Deferegger Protestanten als "nicht sehr gläubige Menschen" bezeichnet werden und Lutherische Bücher als "Sektenbücher", finde ich schade. Ich denke man kann sich an der Glaubenstreue dieser Menschen ein Beispiel nehmen. Beim Protestantismus kann man nicht von einer neuen "Religion" sprechen; es handelt sich um ein christliches Bekenntnis, bzw. um eine christliche Konfession. Evangelischer Glaube war seit dem 16. Jahrhundert nicht nur im Deferggental verbreitet, sondern auch in Lienz. In der Kirche St. Andrä wurde das Hl. Abendmahl "in beiderlei Gestalt" (d.h. mit Brot und Wein; Laienkelch!) gereicht. Die Grabdenkmäler von Mitgliedern der Familie von Graben in der Michaelskirche sind eindeutige Beispiele evangelischen Glaubens. Auch für die an Osttirol angrenzenden Gebiete (Mölltal und Drautal) ist evangelischer Glaube seit dem Zeitalter der Refomation klar nachweisbar.
Danke für diese Ergänzungen, nachzulesen auch in: M. Pizzinini, Die St. Michaelskirche in Lienz, Lienz 2021, wo Pf. Hecht auch ausführlich zitiert wird. Im Augsburger Religionsfrieden wurde die Bestimmung "cuius regio, eius religio" (der Landesfürst bestimmt die Religion) gleichberechtigt für Katholiken und Lutheraner festgelegt. Der Westfälische Friede erweiterte dieses Recht auf die Reformierten, nicht aber auf die Täufer. Kann es sein, dass die Defregger mit einer von deren Gruppierungen, z.B. den Huterern z.B. beeinflusst waren und der Salzburger Erzbischof die „neue zu dato ganz unerhörte Secte“ mit ihnen in Verbindung gebracht hatte?
@r.ingruber: Interessant, aber für mich unvorstellbar, dass die Defregger ev. von der Gruppierung der Hutterer beeinflusst waren, denn die Protestantenverfolgung geschah ja fast zeitgleich auch in Salzburger Gebieten, wie Dürnberg oder und in den nördlichen Tauerntälern, obwohl diese Andersgläubigen im Salzbergbau und Goldbergbau zur Finanzierung des Lebenswandels des Fürstbischofs recht nützlich waren und daher eine zeitlang geduldet waren, bis sie vertrieben wurden. Üble Zeitgenosssen waren dabei ja die Jesuiten, sie sollten das evangelische Glaubensbekenntnis auslöschen und ein ganz böser Kirchenvertreter war der Fürstbischof Farmian, der mit seinem "Emigrationspatent" die Westfälischen Friedensvereinbarung widersprüchlich umging und behauptete, dass die "Evangelischen nicht wegen ihrer Religion sondern wegen ihrer aufrührerischen Umtriebe des Landes verwiesen würden". Innerhalb 14 Tagen mussten 800 Protestanten ohne ihren unter 12jährigen Kindern das Land verlassen.
Etwas widersprüchlich wirkt im Interview von Frau Gangl die Verbreitung des Protestantismus im Defereggen durch Wanderhändler, wenn man auszugsweise die Abhandlung "Die Zillertaler Protestanten oder Inklinanten und ihre Austreibung 1837" von Dr. W. Beimrohr (Tir. Landesarchiv) liest, der folgendes festhält:
" ... Durch den überregionalen Hausierer- und Wanderhandel, ein wirtschaftliches Phänomen, das dem Zillertal wie dem Defereggental eigen war, ist der Protestantismus sicher nicht eingesickert, denn entstanden ist dieser Wanderhandel frühestens im späten 17. Jahrhundert, als die Deferegger Protestanten bereits vertrieben waren und im Zillertal längst der Protestantismus grassierte. Das Aufkommen dieses Wanderhandels sowie der landwirtschaftlichen Saisonarbeit der Zillertaler im Inntal und bis weit nach Bayern hinaus, ist ein deutlicher Hinweis, dass das Tal in Anbetracht sich erschöpfender landwirtschaftlicher Ressourcen und Kapazitäten überbevölkert gewesen ist."
Wenn nun Herr Pfarrer Hans Hecht über das Zusammenleben beider Konfessionen in Lienz positiv berichten kann, dann dürfte das unter den Habsburger Monarchen möglich gewesen sein. Der Bischöfliche Einfluss über den Tauern bis ins Defereggental war ein anderer, obwohl Pfarrer Hecht den evangelischen Glauben als christliches Bekenntnis sieht und damit die Hand reicht.
Umso wertvoller war auch das Versöhnungsfest mit dem bleibenden Denkmal an der Kapelle in Bruggen.
Die Zeit der Prostestantenverfolgung im Defereggental war eine menschliche Tragödie, die wohl der damalige Salzburger Erzbischof zu verantworten hatte. Danke für den Beitrag, höchst interessant!
Dieses "Dunkle Kapitel der Osttiroler Geschichte" endete mit einem Versöhnungsfest zwischen der evangelischen und katholischen Kirche am 21. Oktober 2002 in St. Veit in Defereggen. Der evangelische Superintendent für Kärnten und Osttirol, Manfred Sauer, und der Innsbrucker Diözesanbischof Alois Kothgasser erinnerten im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes an die Ereignisse vor etwa 337 Jahren.
In einer Ausstellung und im Theaterstück der HS St. Jakob wurde über diese leidvolle Geschichte erzählt und an der Kapellenaussenwand in Bruggen hat der heimische Bildhauer G. Planer im Relief aus Gussbeton das Ereignis der Bleibenden mit den entrissenen Kinder und die Vertriebenen dramatisch und treffend dargestellt. Das Kreuz mit Inschrift teilt das Bild und symbolisiert den tiefen Riss im Glaubenskrieg. Einen Abstecher zur Kapelle in Bruggen ist empfehlenswert.
Dass die Verbreitung der Protestanten im Defereggental auf die Wanderhändler zurückzuführen sei, ist mir im Interview nicht schlüssig begründet worden, vielleicht ist es auch nicht nicht ausreichend dokumentiert.
Auszug aus dem Beitrag von Dr. W. Beimrohr vom Tiroler Landesarchiv:
" ... Vom März bis Mai 1685mussten 51 Menschen, die 18 Kinder zurückzulassen hatten, das heimatliche Tal verlassen. Dass die Deferegger Protestanten ihre Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren zurücklassen mussten, weil diese ihres Seelenheils willen bei katholischen Pflegefamilien aufwachsen und katholisch erzogen werden sollten, löste eine menschliche Tragödie aus. Diese brutale Zwangsmaßnahme bremste nur unmerklich den Bekenntnismut und die Entschlossenheit zur auferlegten Emigration unter den evangelisch Gesinnten. Verzweifelte Väter, denen, wenn sie erwischt wurden, die Galeerenstrafe drohte, versuchten ihre zurückgebliebenen Söhne und Töchter aus der Obhut ihrer Pflegeeltern zu entführen und bei Nacht und Nebel aus dem Tal zu schmuggeln. Auf Grund eines kaiserlichen Mandats 1690 und eines erzbischöflichen Mandats 1691 konnten die Deferegger Exulanten tirolischer und salzburgischer Herkunft ihre im Tal verbliebenen Kinder dann aber legal zu sich nehmen. Wie viele dieser über 300 Kinder von ihren exilierten Eltern ab 1690/91 zu sich in die Fremde geholt wurden, wissen wir nicht. Im Ganzen dürfte das Defereggental durch die Glaubensflucht in den 1680er und 1690er Jahren zwischen 800 und 900 Menschen verloren haben.
Der Salzburger Erzbischof verantwortete sein brachiales Vorgehen damit, etwa im April 1685gegenüber dem Kurfürsten von Brandenburg, dass es sich bei den Defereggern nicht um Lutheraner,vielmehr um Anhänger einer neuen Sekte handle („eine neue zu dato ganz unerhörte Secte“), diegewisse Glaubensinhalte geschmäht, Katholiken bedroht, sich zusammengerottet hätte, so dass einAufstand zu erwarten gewesen wäre".
https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/landesarchiv/downloads/Deferegger_Protestantenvertreibung_1684-85.pdf
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