Weihnachtsgrüße aus Afrika würden uns wohl einige Zugvögel schicken, wenn sie denn schreiben könnten und wollten: So auch der vom Österreichischen Naturschutzbund zum Vogel des Jahres 2022 ernannte Wiesenbrüter, das Braunkehlchen.
Die meisten von uns haben dieses zarte Vögelchen mit seinem braunen Brustgefieder wohl noch nie zu Gesicht bekommen oder kennen es vielleicht nur aus ihrer Kindheit. Die Anzahl der stark bedrohten Wiesenvögel ist nämlich seit Ende der neunziger Jahre bei uns um fast 70(!) Prozent zurückgegangen. Kein Wunder also, wenn man gar nicht weiß, wovon ich da schreibe, wenn die Vogelart schon so selten geworden ist.
Umso beeindruckender ist der Gedanke, dass ein so kleiner Vogel, der weniger wiegt als eine Packung Papiertaschentücher, es schafft, jeden Herbst diese lange Reise von Mitteleuropa bis nach Zentralafrika auf sich zu nehmen. Man kann sich kaum vorstellen, welche Strapazen das sein müssen.
Es hat sich vielleicht schon der/die eine oder andere gefragt, warum einige Vögel während des Winters bei uns bleiben, andere aber nicht - Federn haben ja bekanntermaßen alle. Die eisigen Temperaturen sind es also wohl nicht, die so manchen Piepmatz von hier vertreiben.
Schuld daran ist vielmehr der Speisezettel der einzelnen Tierarten: Vögeln, die fast ausschließlich Insekten, Würmer, Schnecken und Spinnen fressen und nicht gänzlich auf andere Nahrung wie Körner, Früchte, Samen etc. ausweichen können, bleibt praktisch nichts anderes übrig, als im Winter in Gegenden zu fliegen, wo sie genau das finden können.
Und so kommt es, dass während unsere pflanzenfressenden Hühnervögel wie Schneehuhn, Auerhuhn und Co. sogar den extremen Bedingungen im Hochgebirgswinter trotzen und hier ausharren, andere Arten wie das Rotkehlchen, der Star oder die Mönchsgrasmücke höchstens in den Mittelmeerraum ausweichen, der Neuntöter aber, der Wiedehopf (Vogel des Jahres 2022 in Deutschland) und eben unser Braunkehlchen bis nach Zentral-, Ost- oder sogar Südafrika fliegen müssen, um überleben zu können.
Und wer sich in den Süden begibt, hat auch meistens wieder einen Rückfahrschein. So nehmen die besagten Langstreckenzieher jedes Frühjahr den weiten Flug über die Sahara erneut auf sich und kommen wieder zu uns, um sich fortzupflanzen. Wie traurig, wenn sie dann völlig erschöpft von der langen Reise hier landen und keinen geeigneten Lebensraum für ihre Brut mehr vorfinden.
Denn wenn das Braunkehlchen, das ein Bodenbrüter ist, Ende April bei uns wieder auftaucht, sind die ersten landwirtschaftlichen Wiesen in den Tallagen entweder schon das erste Mal gemäht und es findet keinen passenden Platz mehr um sein Nest zu platzieren oder die bereits angelegten Nester werden bald von den Mähmaschinen zerquetscht und die gerade erst gelegten Eier vernichtet.
Aus dieser Misere gibt es zwei relativ simple Auswege. Eine spätere erste Mahd oder das Anlegen von sogenannten Brachestreifen: Bei beiden Maßnahmen werden unsere Landwirt:innen mittels großzügiger ÖPUL-Naturschutzförderungen durch das Land Tirol unterstützt.
Außerdem müssen wir wieder mehr Flächen schaffen, die reich an Struktur und Artenvielvalt sind, wodurch das Insektensterben gebremst werden kann. So können unsere Wiesenvögel wenigstens im Sommer noch genügend zwischen die Schnäbel bekommen. Und vielleicht wären dann das Braunkehlchen und andere Zugvögel auch wirklich bereit uns Weihnachtsgrüße aus Afrika zu schicken, denn Vogel des Jahres 2022 zu sein klingt zwar toll, ein Titel allein nützt dem kleinen Vogel aber leider gar nichts.
Keine Postings
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren