Seit Anfang Oktober dieses Jahres bekannt wurde, dass Anton Zeilinger der Nobelpreis für Physik verliehen wird, ist sein Name in aller Munde. Aber nicht nur das, das öffentliche Interesse an Quantenphysik erhielt – auch abseits von Quantencomputern – einen Aufschwung und damit die Forschungsleistungen, die an den Universitäten in Wien und Innsbruck dazu betrieben werden und welche nicht erst seit der Verleihung des Nobelpreises zur Weltspitze zählen.
Mehr als 20 Forschungsgruppen beschäftigen sich in Innsbruck in verschiedenen Herangehensweisen mit dem Verhalten von Materie im atomaren und subatomaren Bereich. Das Spannende für die Wissenschafter:innen: Die experimentellen Messungen in der Quantenphysik widersprechen der klassischen Mechanik. So weist etwa ein und dasselbe Objekt je nach Art der Messung gleichzeitig Eigenschaften von Teilchen und Wellen auf. Ein anderes Phänomen: Teilchen, die ehemals als Paar auftraten, sind auch nach ihrer räumlichen Trennung selbst über Lichtjahre miteinander verbunden. Ändert man eines davon, ändert sich auch das andere. Was Albert Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete, könnte bald unsere Möglichkeiten der Kommunikation und Datenverschlüsselung revolutionieren.
Der Weg in die Quantenphysik scheint von Männern gepflastert zu sein: Angefangen von Max Planck Anfang des 20. Jahrhunderts, über Albert Einstein und Erwin Schrödinger bis in die Gegenwart durch den eingangs genannten Anton Zeilinger, aber auch Peter Zoller, Rainer Blatt oder Rudolf Grimm, die unter anderem an der Universität Innsbruck Forschungsarbeit leisteten bzw. leisten. In Tirols Landeshauptstadt macht sich auch eine Frau einen Namen als Quantenphysikerin: Die Italienerin Francesca Ferlaino.
„Als Jugendliche habe ich mich für alles Mögliche interessiert, ich hätte mir auch vorstellen können, Medizin oder Philosophie zu studieren“, meint sie. Ein Professor an der Universität in Neapel habe sie dann animiert, Physik anzufangen. „Ich war mir damals nicht sicher, weil wir in der Oberstufe in Physik fast nichts gelernt haben. Aber der Professor hat gemeint, es sei ohnehin besser, wenn man mit einem freien Kopf das Studium beginnt“, erzählt Ferlaino. „Das erste Studienjahr war ein Albtraum für mich, ich habe nichts verstanden. Aber als wir von der klassischen Physik zu Quantenphysik übergegangen sind, habe ich plötzlich alles logisch gefunden“, lacht sie.
Auf die Frage angesprochen, wie sie Quantenphysik einem Kind erklären würde, überlegt die Physikerin eine Weile. „Ich sage Kindern, dass ich versuche, zu verstehen, wie die Natur funktioniert: Vom Himmel bis in den Erdkern, von ganz klein bis ganz groß, von sehr wenig bis zu sehr viel Energie…“ Nur, dass sich Ferlaino nicht damit beschäftigt, was sich tagtäglich vor unseren Augen abspielt, sondern in die Welt der Atome eintaucht. Diese verhalten sich meist anders, als wir es erwarten würden, Ferlaino erklärt das so: „Wenn eine Person stehen bleibt, sagen wir in unserer klassischen Ansicht, dass sich die Person nicht mehr bewegt. In der Quantenmechanik ist das anders. Selbst bei geringster Energie ist es nicht möglich, ein Atom zum Stillstand zu bringen.“ In einem Umfeld geringster Energie verwandelt sich das Atom, das vorher ein Teilchen war, in eine Welle. Dann könne man nicht mehr genau sagen, wo sich das Atom befindet, nur mehr eine Wahrscheinlichkeit angeben, erklärt die Forscherin.
Selbst bei geringster Energie ist es nicht möglich, ein Atom zum Stillstand zu bringen.
Francesca Ferlaino, Quantenphysikerin
Für ihre Experimente arbeitet Ferlaino mit Metallen aus der Klasse der seltenen Erden, Erbium und Dysprosium, welche stark magnetische Eigenschaften haben. Das vereinfacht die Experimente, da ein Atom, wenn es magnetisch ist, eine viel stärkere Wechselwirkung mit benachbarten Atomen hat. Ferlaino vergleicht das mit dem Anbringen eines Magneten auf die Kühlschranktüre: Schon bevor der Magnet den Untergrund berührt, spürt man eine Kraft, Kühlschranktüre und Magnet wissen quasi voneinander, schon bevor sie sich berühren. Das ist dasselbe mit magnetischen Atomen: Sie senden Informationen stärker und über längere Distanzen aus. Das macht es für die Forscher:innen leichter, Informationen aus ihren Experimenten zu kodieren und auszulesen.
Informationen können allerdings nur dann ausgelesen werden, wenn sich die Atome in einem möglichst störungsfreien und energiearmen Umfeld befinden. Ein Störfaktor in der Welt der Atome sind warme Temperaturen. Die Atome werden im Labor durch Laserkühlung auf wenige milliardstel Grad (Nanokelvin) über dem absoluten Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius oder 0 Kelvin) abgekühlt. Dann weisen sie mitunter überraschende Eigenschaften auf: So realisierte Ferlaino im Jahr 2012 das weltweit erste Bose-Einstein-Kondensat aus Erbium. In diesem besonderen Aggregatzustand sind die Atome völlig delokalisiert, das bedeutet, dass das gleiche Atom zu jedem Zeitpunkt in jedem Punkt innerhalb des Kondensates vorhanden ist. Daraus resultierende Eigenschaften sind unter anderem Suprafluidität (Zustand einer Flüssigkeit, in der sie jede innere Reibung verliert) und Suprasolidität (Zustand einer Materie, die gleichzeitig Eigenschaften fester als auch suprafluider Körper aufweist).
Beides wiesen die Innsbrucker Forscher:innen rund um Francesca Ferlaino in weiterführenden Experimenten nach: Suprasolidität realisierten die Quantenphysiker:innen in diesem Jahr erstmals entlang zweier Dimensionen eines ultrakalten Quantengases. Bisher wurden suprasolide Zustände in Quantengasen immer nur als Aneinanderreihung von Tröpfchen (entlang einer Dimension) beobachtet. Ebenfalls in diesem Jahr entwickelten die Wissenschafter:innen eine Methode, mit der „ultrakalte Mini-Tornados“ – Quantenwirbel – erzeugt werden, welche als eindeutiger Hinweis auf Suprafluidität gelten.
Zurück aus der Welt der Atome stellt sich die Frage, wo dieses Wissen in der Praxis angewendet werden kann. Darauf angesprochen, lächelt Ferlaino und antwortet, dass es darauf ankomme, was man unter 'praktischer Anwendung' versteht. "Ein sehr faszinierender Aspekt der Grundlagenforschung ist, dass man nie ganz weiß, wohin sie uns führen kann. Vielleicht entdecken wir Dinge, die nie eine Anwendung finden werden, oder wir entdecken neue technologische Revolutionen, wie zum Beispiel die des Lasers, der auf eine mathematische Gleichung von Einstein zurückgeht, die erst Jahrzehnte später anwendbar wurde."
Die Forschungsergebnisse bilden die Grundlage für weitere Forschungsprojekte im Bereich der Quantensimulation, könnten aber auch bei der quantenmechanischen Übertragung von Informationen hilfreich sein. Erbium und Dysprosium sind noch wenig erforschte Stoffe, obwohl sie heutzutage in jedem Smartphone verbaut sind, erklärt Ferlaino: Außer dem Magnetismus weiß man noch wenig über ihre weiteren Eigenschaften. Für ihre Pionierarbeit auf diesem Gebiet erhielt die Physikerin bereits drei ERC-Grants, die höchste europäische Förderung für etablierte Wissenschafter:innen in der Grundlagenforschung.
Es ist immer eine Reise ins Ungewisse, es gibt kein Buch, das dir erklärt, wie die Dinge funktionieren.
Francesca Ferlaino, Quantenphysikerin
Was Ferlaino so an ihrer Arbeit fasziniert? „Alles!“, meint sie. „Ich bin jeden Tag begeistert, ich liebe einfach Physik. Ich kann immer ins Labor gehen, etwas ausprobieren, habe eine Idee, was passieren könnte und dann entdecke ich ganz was Neues und Unverständliches… Es ist immer eine Reise ins Ungewisse, es gibt kein Buch, das dir erklärt, wie die Dinge funktionieren.“ Ihre Tätigkeit ist für Ferlaino weitaus mehr als ein bezahlter Job, sie verbringt viele Stunden im Labor und an ihrem Schreibtisch, trotzdem verfüge sie über die nötige Flexibilität, den Beruf mit der Familie zu verbinden, sagt die zweifache Mutter. Ihre Wochenenden widmet sie ausschließlich ihrem Mann und den beiden Kindern.
Familie und Beruf zu vereinen, ist Francesca Ferlaino ein wichtiges Anliegen. Als Italienerin, die in Österreich lebt, kennt sie die Familienstrukturen beider Länder: In Italien ist es nicht üblich, für längere Zeit bei den Kindern zu Hause zu bleiben, das gehe sich finanziell bei den meisten Familien nicht aus. In Österreich erlebe sie nun das umgekehrte Phänomen, vielfach wird es hierzulande kulturell mit Kopfschütteln betrachtet, wenn eine Frau „zu früh“ wieder arbeiten geht. Als „gut“ befindet Ferlaino keine der beiden Situationen: „Frauen sollten ohne finanziellen oder sozialen Druck selbst entscheiden können, wie sie Familie und Berufsleben verbinden“, sagt Ferlaino.
Neben ihrer Tätigkeit als Professorin an der Universität Innsbruck und als Wissenschaftliche Direktorin am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI), baut sie ein weltweites Netzwerk für Frauen in der Quantenphysik auf. „Vom ersten Studienjahr bis zum Erlangen eines Doktortitels macht der Anteil an Physikstudentinnen etwa 20 Prozent aus, am Übergang zum Post-Doc scheidet dann der Großteil der Frauen aus.“ Deshalb hat es sich Ferlaino zum einen zum Ziel gesetzt, mehr junge Frauen für ein Physikstudium zu begeistern, zum anderen, sie beim Übergang zwischen Doktorat und Post-Doktorat zu unterstützen. Neben Initiativen wie dem „Tag der Physik“ an der Universität Innsbruck und ihrem Netzwerk für Quantenphysikerinnen, das noch in den Startlöchern steht, gelingt ihr das wohl am besten, indem sie weiterhin tut, was sie ohnehin macht: Als Frau in der Quantenphysik beachtenswerte Forschung zu betreiben und so als Vorbild zu dienen.
2 Postings
Da ist/war nicht nur eine Pysikerin mit "vollem Einsatz" dabei, ich möchte mich jedenfalls für meine wenig konstruktive Wortmeldung (schlecht/falsch) bei D.at entschuldigen.
Starke Persönlichkeit , als Italienerin nach Tirol zu gehen , wo doch in 100 km Luftlinie München liegt , wo Italiener mehr als willkommen sind und ein sehr beliebter Teil der Bevölkerung und als Einheimische gesehen werden . Eine echte Professorin die ihre Arbeit liebt.
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