Bei der 33. Ausgabe der Toblacher Gespräche am vergangenen Wochenende erörterten Tierschützerinnen, Jäger, Verhaltensforscher, Nutztierexpertinnen, Journalisten und Aktivistinnen ein in diesen Tagen unerwartet aktuelles Thema: Was wissen die Tiere? Wie verhalten sie sich? Was empfinden und wie leiden sie? Und was bedeutet das für uns Menschen?
Guido Bocher, ehemaliger Bürgermeister von Toblach und Stiftungsratmitglied des Euregio Kulturzentrums, blickte in seinem Eröffnungsstatement zurück. Die Toblacher Gespräche hätten sich dank des pionierhaften Wirkens von Hans Glauber auf internationaler Ebene etabliert, da sie von Anfang an richtungsweisend grundlegende Themen einer nachhaltigen Zukunft aufgegriffen hätten. So auch heuer.
„Auf tiefes Unverständnis traf bei mir die Frage, die ich im Vorfeld der Toblacher Gespräche 2022 mehr als einmal gestellt bekam,“ meinte Karl-Ludwig Schibel, der durch die Tagung leitete, „wie man denn diskutieren kann, was die Tiere wissen, während in der Ukraine ein Angriffskrieg Russlands tobt, in der Ostsee Gaspipelines gesprengt werden und der Hurrikan Ian den Südwesten Floridas überflutet. Mir ist nicht einsichtig, warum dieser abscheuliche Krieg, die zahlreichen Katastrophen und Krisen ein Anlass sein könnten, das Denken einzustellen; allemal darüber, welche Aussichten es gibt, zum Frieden mit der Natur zu kommen und den Krieg gegen die anderen Tiere einzustellen. Zuviel von dem, was wir über die Tiere zu wissen glauben, ist Projektion.“ Fabian Scheidler, Buchautor, Dramaturg und Filmemacher aus Berlin, stimmte Schibel grundsätzlich zu. In seinem Vortrag schilderte er die historischen Voraussetzungen, die zu dem heutigen mechanistischen Weltbild geführt haben.
Das mechanistische Weltbild macht Tiere zu Waren
Für Scheidler liegen „die Ursachen der globalen ökologischen Krise“ in der Renaissance. Vor 500 Jahren ist das kapitalistische Gesellschaftssystem entstanden und mit ihm Aktiengesellschaften, deren einziges Ziel es ist, das Geld der Anleger zu vermehren. Dazu müssen Waren in einem immer schnelleren Rhythmus produziert werden. Tiere werden so zur Ware. „Dieses mechanistische Weltbild bedroht nun die Existenz des Menschen auf diesem Planeten“, stellte Scheidler klar. „Der Versuch einer totalen Kontrolle anderer Wesen, der belebten und unbelebten Natur mündet am Ende in die Zerstörung dieser Wesen und bedroht die Grundlagen des Lebens auf unserem Planeten.“
Tiere sind intelligenter als der Mensch glaubt
Ludwig Huber, renommierter Verhaltensbiologe und Leiter des Forschungsinstituts für Mensch-Tier-Beziehungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, präsentierte in seinen Ausführungen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Forschungen haben gezeigt, dass bestimmte Tierarten Werkzeuge nicht nur nutzen, sondern auch erzeugen und für den eigenen Gebrauch modifizieren können. Keas, eine neuseeländische Papageienart konnten ein Fenster mit einem hakenförmigen Hebel öffnen. In einem anderen weltweit einzigen Versuch konnten die Forscher in Wien nachweisen, dass vier dieser Tiere bei einer Aufgabe kooperierten, die sie nur gemeinsam lösen konnten. „Tiere sind äußerst erfinderisch, es gelingt ihnen sogar zukünftige Vorstellungen zu entwickeln“, ergänzte Huber. „Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse verlangen eine entschiedene Revision der irrationalen und ethisch fragwürdigen Einstellungen von Menschen gegenüber Tieren“, meinte Huber.
„Es gibt glückliche Kühe“
Anet Spengler Neff arbeitet seit 20 Jahren am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick im Kanton Schwyz. Sie ist überzeugt, dass Tiere glücklich sein und trotzdem als Nutztiere gehalten werden können. Tiere sollten ein Leben führen können, das ihrer Art entspricht. Die Landwirte sollten deshalb die Anatomie der Tiere, der wiederum bestimmte Lebensformen entsprechen, gut kennen. Ein Beispiel ist der Verdauungsapparat von Wiederkäuern, der auf die Verarbeitung von Zellulose ausgerichtet ist und damit auf die kontinuierliche Aufnahme von Rohfasern wie Gras, Heu oder Stroh angewiesen ist. „Es ist nicht ganz unmöglich, sich in ein Tier hineinzuversetzen, weil wir zusammen dieselbe seelische Welt bewohnen“, meinte sie. Neff sprach sich für eine Tierhaltung aus, die den jeweiligen artspezifischen Bedürfnissen der Tiere gerecht wird. „Ich übernehme Verantwortung für das Leben aber auch für den Tod von meinen Tieren. Der Tod gehört zum Leben dazu.“
Die EU finanziert die Massentierhaltung
Giulia Innocenzi, Aktivistin und Fernsehjournalistin, prangerte die Massentierhaltung als einen der größten Verursacher der Klimaerwärmung an, mit einem Beitrag von fast 15 Prozent der globalen Emissionen. In Italien werden 5 Mio. Rinder, 8 Mio. Schweine, 500 Mio. Hühner gehalten. „Die EU fördert die Massentierhaltung mit unseren Steuergeldern.“ Bei der Produktion von hochwertigem Schinken, der als made in Italy weltweit verkauft wird, herrschen unhaltbare Zustände, meinte die Investigativ-Journalistin. „Schweine sind intelligente Tiere, innerhalb der Schweineställe werden sie aber zu Kannibalen.“ Innocenzi präsentierte in ihrem Vortrag bedrückende Aufnahmen, die sie illegal in Tierhaltungen gedreht hatte. „Man muss diese Bilder zeigen, nur dadurch können wir diese skandalösen Bedingungen ändern.“ Innocenzi sprach sich für eine Reduktion der Anzahl der Betriebe aus, wie es die holländische Regierung vormacht.
Das Ökosystem ist bedroht
„Die Fleischproduktion hat nichts mehr zu tun mit der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft“, erklärte Tanja Busse, deutsche Autorin und Journalistin, in ihren Ausführungen. Busse schilderte das Massensterben der Vögel und Insekten in Europa. „Der Verlust der biologischen Vielfalt ist an seine Grenzen gekommen. Damit ist das Überleben der Menschen auf einem gesunden Planeten gefährdet.“ Für Busse liegt die Lösung in der Veränderung des Essverhaltens: weniger Fleisch und Milchprodukte. Die Mehrheit der Menschen sollte sich in Zukunft vegan ernähren, auf diese Weise würden auch viel weniger Weideland für Rinder gebraucht werden.
Macht über Leben und Tod
„Macht euch die Erde untertan!“ Dieser Satz aus dem ersten Kapitel aus dem Buche Genesis wurde erst im 17. Jahrhundert so übersetzt und interpretiert, erklärte Martin Lintner, Moraltheologe und Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen. „Setz dein Fuß auf die Erde und setz den Fuß auf die Tiere.“ So lautet die korrekte Interpretation. Den Fuß auf den Gegner zu setzen bedeutete, Macht über Leben und Tod zu haben. „Das Bewusstsein, Leben zerstören zu können, erweckt auch die Verantwortung Leben zu schützen.“ Das Christentum mit Kirchenvater Augustinus hat die Vorstellung der griechischen Antike übernommen. Tiere seien dort recht- und mitleidlos, meinte Lintner in seinen Ausführungen. Papst Franziskus kritisiert in seiner Enzyklika Laudato Sì den despotischen, fehlgeleiteten Anthropozentrismus, wo Tiere nur auf ihren Nutzen reduziert werden. „Wir können Tiere nutzen, wenn wir bereit sind, ihnen etwas zurückzugeben.“ Lintner sprach sich entschieden gegen die Massentötung von Nutztieren aus und schloss mit den Worten: „Ich halte es für sündhaft, mit dem Wissen, was mit den Tieren passiert, das eigene Konsumverhalten nicht zu verändern.“
4 Postings
Tiere sind uns Menschen in (fast) allen Belangen überlegen!
Wer mit Tieren zusammen lebt weiß, dass sie viel mehr wissen, als wir auch nur ahnen.
Vielen Dank für diesen Beitrag über eine Veranstaltung, die so manchen Tirolerinnen und Tirolern einige Grobheiten an den Sturschädel wirft. Das mechanistische Weltbild hätte schon vor hundert Jahren abdanken können. Seit in den 1990ern ein amerikanischer Präsident die Archäologie mit der Grabung nach seinem Gehirn befasst hatte, ist es allerdings in den Neurowissenschaften erneut aufgetaucht. Ein Hoch auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit!!
... ahgeh, unsere Agrarier zsammt den Tierärzten finden es doch gut, den Kühen die Hörner ...
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren