Rens Veltman macht seit fünfzig Jahren Kunst. Dabei unterwirft er sich keinem formalen Korsett, sondern folgt der Natur seines Forschungsgegenstandes. Wer mitgeht, erlebt Momente voller Erkenntnis und Witz. Betritt man Rens Veltmans Atelier in einem abbruchreifen Haus oberhalb der Schwazer Altstadt, wo der Künstler mietfrei arbeiten darf, weiß man gar nicht, wohin zuerst schauen: Auf der Terrasse ruhen Marmorskulpturen auf Arbeitstischen, drinnen warten abstrakte Ölbilder auf den nächsten Farbauftrag. Wo noch Fliesen eines Badezimmers zu sehen sind, hat Veltman die Zwischendecke abgerissen – der Raum bietet Platz für zehn Riesenformate, die er bald mit seinem Sohn Bob Veltman bearbeiten will: Zig Kilogramm Ölfarbe werden auf den Leinwänden von vier Mal zwei Metern landen.
Im hinteren Teil des Hauses, einem Büro mit selbstgebautem Tagesbett und einer Wand voller Kunstbücher, erkennt man Details aus Veltmans Instagram-Bildern wieder: Etwa die Charakterköpfe, die er aus krummen Besenstielen schnitzt. Er könne sie „wagonweise“ von einem lokalen Bürstenmacher bekommen. Die daumengroßen Lindenholzbüsten wachsen rund ums Fenster aus der Wand. Später will er einen ganzen Raum mit ihnen füllen. „Aber ich übe noch“, sagt der siebzig Jahre alte studierte Bildhauer. Meditativ sind für ihn auch die Zeichnungen mit schwarzem Gelstift: Die großen Flächen und komplexen Muster aus feinen Strichen hängen gerahmt hinter seinem Schreibtisch – ähnliche hat er vor zwei Jahren im Kunstraum Schwaz ausgestellt.
Verstreut dazwischen liegen selbstgebaute Apparaturen, Teile von Robotern oder kleine Lichtinstallationen mit skurrilen Funktionen – verwandt mit dem 20er-Kunstposter unter dem Titel „bag of obsolete name badges“. Dafür versammelt er eine wachsende Anzahl von Ex-Politik-Stars wie Kurz und Hofer als leuchtende LED-Schildchen in einem hauchdünnen Plastiksack. Eine seltene, aber umso bösere Anspielung auf aktuelle politische Verhältnisse. Andere Arbeiten sind schon mehr als dreißig Jahre alt: „Den hier habe ich mit 18 gemacht“, sagt er und holt eine Tonskulptur mit flauschig anmutenden Schlappohren aus dem Bücherregal, empfunden nach dem Hund seines Vaters. Chaotisch wirkt hier trotz der Fülle an Objekten nichts. Veltman ist zwar offenkundig ein begeisterter Archivar schöner Dinge und gibt an, dass er ein Faible für Maschinen und Werkzeuge hat, „aber man muss immer blind hingreifen können und sofort haben, was man sucht“.
So verhält es sich wohl auch mit seinem künstlerischen Repertoire: „Du entwickelst einen Kanon aus Medien und Materialien und daraus bedienst du dich“, sagt er. Sich aber zu wiederholen, wäre „das Schlimmste“ für ihn. Als er einmal das Gefühl hatte, er würde links und rechts von fremden Arbeiten beeinflusst, sei er kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen. „Das hat mich zwischenzeitlich gelähmt.“ Niemals hätte er Kunst als Geschäft verstanden. Lieber hat er bis weit in seine Fünfziger hinein nebenbei gearbeitet, war in jungen Jahren weltweit als Roadie von Jazz-Bands unterwegs oder ist nachts Taxi gefahren. Mit der Unsicherheit lerne man umzugehen, auch wenn es oft kritisch gewesen sei, mit drei Kindern zuhause. „Aber ich bin Optimist und denke immer: Da kommt schon wieder was.“ So wie aktuell die Auszeichnung mit dem Landespreis für Kunst, den er am 3. Oktober verliehen bekam.
Überraschen konnte diese Ehrung niemanden, denn Rens Veltman wird zurecht zu den bedeutendsten Künstlern Tirols gezählt. Bildhauerei, Malerei unterschiedlichster Genres und Grafik hat er jeweils auf hohem Niveau verfolgt. Vor allem aber gilt er als Pionier der elektronischen Kunst und nahm 2012 damit an der Architektur-Biennale teil. Seine viel gerühmte Folgearbeit im aut., die Lichtinstallation „Lyrical Lights“, wird er ab Mitte Oktober im Museum der Völker in Schwaz noch einmal adaptiert zeigen. Darin spazieren Irving und Violet, zwei aus wenigen Lichtpunkten erzeugte Figuren, durch den Raum und philosophieren über Gefühle und die menschliche Existenz. Die Musik dazu stammt vom befreundeten Komponisten Thomas Larcher, das Libretto seiner Roboter-Oper schrieb der New Yorker Jazz-Musiker Roy Nathanson.
Galeristen tun sich mit Konzeptkunst wie dieser schwer, bestätigt Veltman. Etwa, wenn seine selbstgebauten Roboter ihre Bilder mit Bohrköpfen direkt in die Wand löchern. Seine Anordnungen von Motoren und sichtbaren Verdrahtungen wirken oft zweckmäßig, sollen scheinbar gar nicht zu attraktiv sein. „Ich erlaube denen nur, Nullen und Einsen zu zeichnen“, betont er. Dass vor kurzem ein Software-Entwickler mit einem algorithmisch berechneten Bild einen Preis für digitale Kunst gewonnen hat, schockiert ihn nicht. „Das war ja abzusehen“, sagt er.
Und wirklich: Veltman hatte es schon Mitte der Siebzigerjahre abgesehen, war er doch gleichzeitig einer der ersten Kritiker und Nutznießer neuer Technologien. Das erste Plakat, das jemals in Tirol mit einer Maus hergestellt wurde, habe er auf einem Apple-II-Computer in den Schwazer Tyrolit-Werken gezeichnet. Oft wusste der experimentierfreudige Künstler gar nicht, was er da schon wieder gebaut hatte. Etwa, als er einen sogenannten Portal-Roboter aus der Idee entwickelte, eine mehrere Meter hohe Leinwand so an sich vorbeifahren zu lassen, dass er nur den Pinsel halten müsste, um einen perfekten Strich zu erzeugen. Geahnt habe er aber, was es bedeuten könnte, „wenn man aus einfachen Komponenten etwas bauen kann, das so mächtig ist“.
Man muss die Welt ja nur genau betrachten und wahrnehmen, wie verrückt das alles ist.
Rens Veltman
Veltmans kaum stillbare Neugier wurde schon als Kind gefördert, sein Vater habe ihm einen Kosmos-Baukasten nach dem anderen geschenkt und die Mutter geduldig seine Experimente ertragen. „Ich habe das ja nicht nach dem Buch gemacht, sondern gleich Säuren besorgt. Da ist schon mal was explodiert“, sagt er mit einem Lachen. Künstlerisch prägte ihn einerseits sein Vater, der in der Freizeit zeichnete (eine fein gearbeitete Kirchenansicht von 1937 zieht Veltman zum Beweis hervor). Besonders förderte ihn aber sein Lehrer am Paulinum, der Holzbildhauer und Maler Josef Opperer. Von ihm bekam er Bücher über zeitgenössische Kunst und Bildhauerei. Das nächste Erweckungserlebnis: Bruce Naumans Konzept-Kunst „Selbstporträt als Springbrunnen“, die er in der damaligen Taxisgalerie in Innsbruck sah.
„Von da an war ich kein Bildhauer mehr.“ Das geplante Studium in der Bildhauerei-Klasse der Angewandten geriet fast zur Pflichtübung, Wien war Anfang der Siebziger eine fade Stadt für ihn – im Gegensatz zu Schwaz, wo die Jazz-Szene blühte. „Wann immer ich heimkam, war der erste Weg in die Eremitage.“ Musik, auch elektronische, begleitete ihn sein Leben lang.
Neben einem späteren zweiten Studium an der Angewandten beeinflusste ihn auch sein kurzer Ausflug in die Psychologie und Zoophysiologie – letztlich die Lehre von den physiologischen Phänomenen des Körpers und die wissenschaftliche Erforschung der Frage: Wie funktioniert Leben? Er sei kein Anhänger des Spiritismus, sagt Veltman. „Aber man muss die Welt ja nur genau betrachten und wahrnehmen, wie verrückt das alles ist, dass es uns gibt, dass es diese Kugel gibt. Dafür brauche ich kein Christ zu sein.“
Er nimmt eine herumliegende Walnuss in die Hand und hält sie nah vors Gesicht. „Wenn man sich die nur anschaut, wie symmetrisch die angeordnet ist, diese Ästhetik, da stellt man sich doch unweigerlich Fragen“, sagt Veltman. Wer einmal anfange, die Dinge so zu sehen, könne gar nicht mehr damit aufhören, findet er. „Nein, das Wundern verliere ich nicht so schnell.
Dieser Kulturbeitrag von Rebecca Sandbichler stammt aus der aktuellen Ausgabe der Innsbrucker Straßenzeitung 20er.
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