Wuchtig-kratzig, gefühlsbetont und dann wieder melancholisch-sanft: Es ist eine Stimme die im Gedächtnis bleibt, so markant und wirkungsstark changiert sie zwischen unterschiedlichen Polen der Gefühlsskala. Die Klagenfurter Jazzsängerin und Musikpädagogin Alberta Gaggl legt ein neues Album vor: „A piece of art“ lädt zum Träumen ein, berührt mit Texten und Melodien, regt zum Nachdenken an und haut ab und zu auch auf den Putz.
Gesellschaftliche Missverhältnisse müssen schließlich gehört werden. „Ali“ Gaggl schafft es, ästhetisches Musikerleben mit inhaltlicher Tiefe gekonnt zu vermengen, ohne das eine durch das andere auszuspielen. Die Musikerin selbst zeigt sich dabei gesanglich als die Vielfalt in Person mit facettenreichem Gesicht, weil sie sich einfach in vielen Genres beheimatet fühlt und klare Grenzziehungen bewusst verwehrt. Alleine die Spannweite ihrer Engagements spricht Bände, reicht von Upper Austrian Orchestra bis hin zu Kooperationsprojekten mit Musikschaffenden wie Michael Gibbs, jedoch hauptsächlich mit Fokus ihrer Stimme auf den Einsatz als Färbung und Untermalung eines größeren Kontextes.
In diesem Album jedoch ist vieles anders: Es lässt sie aus dem Schatten springen und zwar in kooperativ mit vielen ihrer Weggefährt:innen entstandenen Songs, die bewusst Gaggl in die Hauptrolle schlüpfen lassen, von ihrer eigenen, einzigartigen Stimme zehren, dann aber wiederum deutlich über die Vorstellung eines Solo-Projektes hinausgehen, weil sie eine harmonische Einheit mit vielen Instrumentengruppen und ebenso vielen Akteur:innen schaffen.
So legt „A piece of art“ quasi die Rezeptur eines Solo-Albums mit facettenreichem Beigeschmack vor: „Seit längerem schwebte mir schon die Idee vor, Songs einzusingen, die wir selbst schreiben. Sie alle sind so unterschiedlich wie nur möglich und schwer auf einen Nenner zu bringen“, betont die Jazzvokalistin aus Klagenfurt, die diesbezüglich mit etlichen Ikonen der Jazzszene zusammengearbeitet hat: „Mit dabei sind unter anderem Musikgrößen wie Wolfgang Puschnig, Christian Maurer, Herbert Kohlich, Rudi Melcher und Primus Sitter.“
Einheitsbrei macht Platz für Vielfalt
Mit Blick auf die dreizehn auf die CD gepressten Lieder spiegelt sich in erster Linie das breite Schaffen der Sängerin wider. Kein Lied klingt wie das andere, alle sind auf ihre Weise einzigartig und dennoch wirkt alles wie aus einem Guss. Jazzstandards vermengen sich mit Eigenkompositionen, Sambagrooves und schnelle Rhythmen gehen wiederum eine Symbiose mit gefühlsbetonten Balladen ein. Wenn eingängige Grooves auf harmonisch erklingende Melodien mit Ohrwurmcharakter wie gleichermaßen auf zeitgenössische dissonante Klänge treffen, so verleiht „A piece of art“ den stillen Moment ebenso genügend Raum wie den Kräftigen, laut Erschallenden. Ihre musikalische Offenheit und der stetige Drang, in neue Klanggebiete vorzudringen, das macht Gaggl aus und kommt auf dem Album zur Geltung.
Gaggl ist keine Schwarzmalerin und das zeigt sie auch. Sie ergreift Position für Menschen, die am Rande stehen und wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ihnen verleiht sie eine Stimme, damit ihre Probleme, Ängste, Sorgen, aber auch Hoffnungen gehört werden. Hörbar sind durchgehend der Respekt und die Anerkennung anderen Menschen und Kulturen gegenüber.
Das Album erzählt Geschichten, jeder Song auf seine Weise und mit eigener Wendung, was den Spannungsbogen wie bei einem gut geschriebenen Roman durchgängig aufrecht hält. Sei es das Lied „African Child“, demonstrierend, dass wir mit Afrika enger verbunden sind als gedacht und endlich den ignoranten Dritte-Welt-Blick ablegen sollen oder „Ali´s Samba“, wie es Jugendliche in den Mittelpunkt schiebt, die es nicht immer so leicht hatten, die Füße auf den Boden zu bekommen, Gaggls Texte sind als Abbilder unserer Zeit vielsagend. Aber auch das mit Klischees gegenüber flüchtenden Menschen aufräumende „Migration“ ist auf individuelle Weise berührend: „Es sind zutiefst persönliche Dinge wie auch aktuelle Ereignisse, die mich ergriffen haben“, so Gaggl.
Hinzu kommen gefühlsbetonte Jazzklassiker wie „In a Sentimental Mood“ als Live-Performance oder „God Bless The Child“ von Billie Holiday und Arthur Herzog Jr., die in Erinnerungen schwelgen lassen, dann aber wieder abrupt den Schwenk in hochmoderne Klangexperimente vollziehen und aufhorchen lassen. Sie speisen sich in erster Linie aus ihren eigenen Lebenserfahrungen und lesen sich fast wie ein Buch, das Hoffnung auf bessere Zeiten gibt. Das Album überrascht die Zuhörer:innen stets von neuem, man nehme nur die sanften Streicher, die auch mal in ihren Songs den Ton vorgeben, wenn sie sich plötzlich mit krachenden Trompeten- und Posaunengesängen die Hand reichen.
Die Kunst dieses Albums ist es, jeder Instrumentengruppe den gebührenden Platz zu geben, um sie schließlich ineinander als Gesamterlebnis verschmelzen zu lassen. Dann und wann nimmt sich Gaggl stimmlich selbst zurück und reicht den Taktstock weiter, um kurze Zeit später das Kommando wieder zu übernehmen. Sie drängt sich in ihrem Soloalbum nicht in den Vordergrund und schafft es gerade dadurch, stimmlich noch intensiver zur Geltung zu kommen. Das Album ist ein harmonisches Zusammenspiel, dass die Lust und Freude der Musiker:innen paradigmatisch weitergibt. Man merkt geradezu, dass ihnen die Musik alles bedeutet. Niemand muss den anderen die Show stehlen, denn „A piece of art“ ist ein Klangerlebnis mit vielen Stimmen, Inhalten und Menschen wie ein Solo-Album ohne „One-(Wo)man-Show“, dafür mit Respekt und gegenseitigem Miteinander.
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