Hand aufs Herz: Wer würde schon das Haus, in dem er lebt, als seine Schwester oder als seine Mutter bezeichnen? Wenn dieses Haus auch noch viele Parteien beherbergt, mit denen er wenig bis gar nichts zu tun hat, außer wenn es darum geht, die eigenen vier Wände, auf die er das Haus zusammenschrumpfen hat lassen, gegen die Nachbarschaft zu behaupten? Und wenn er regelmäßig für den Strom und das Gas, die andere verbrauchen, für den Müll und die Schäden, die andere verursachen, zur Kasse gebeten wird? Viel eher wird er seinen Vermieter als Halsabschneider und die anderen als existenzbedrohende Hölle, aber niemals so ein Haus als seine Schwester bezeichnen.
Der Papst hat es 2015 trotzdem getan und sich dabei auf den 800 Jahre alten Sonnengesang seines Namenspatrons, des hl. Franz von Assisi, berufen: „Laudato sì – Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält, …“. Er nennt unseren Planeten unser gemeinsames Haus. Haus heißt auf Altgriechisch Oikos, und das päpstliche Rundschreiben versteht sich als Ökologie, als Lehre vom Haus. Darin wird gefordert, „einen kleineren Gang einzulegen, um die Wirklichkeit auf andere Weise zu betrachten, die positiven und nachhaltigen Fortschritte zu sammeln und zugleich die Werte und die großen Ziele wiederzugewinnen, die durch einen hemmungslosen Größenwahn vernichtet wurden“.
Für den Papst „ist die Analyse der Umweltprobleme nicht zu trennen von einer Prüfung des menschlichen Umfelds, des familiären Kontextes, der Arbeitsbedingungen und der urbanen Verhältnisse sowie der Beziehung jedes Menschen zu sich selbst, welche die Weise bestimmt, wie er mit den anderen und mit der Umwelt in Beziehung tritt. Jede Verletzung der bürgerlichen Solidarität und Freundschaft ruft Umweltschäden hervor.“ Die Schuld am Klimawandel lässt sich nicht aus der Aufforderung in Genesis 1,28 ableiten. Die Enzyklika „Laudato sì“ versucht die Komplexität der ökologischen Krise vielmehr aus einer anthropozentrischen Maßlosigkeit zu erklären, die Mensch und Natur als getrennte Entitäten betrachtet.
Wenn das Haus dann aber doch zu komplex wird, hat sich unsere offene und inklusive Gesellschaft angewöhnt, einzelne Gruppen in eigene Habitate auszugliedern, in Kindergärten, Jugend- und Altersheime, wo speziell auf ihre genauestens definierten Bedürfnisse eingegangen werden kann. Bis ihnen der Mangel an Personal einen Strich durch die Rechnung macht. In dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, kannte man so etwas nicht. Unsere Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft war, vom Kapitalisten bis zum Sozialhilfeempfänger, vom Säugling bis zur Großmutter, gelebte Biodiversität. Nicht immer ganz reibungsfrei, aber Reibung erzeugt bekanntlich auch Wärme, und die hatten wir, vor allem im Winter, auch bitter nötig.
Das Haus hatte auch einen Garten, den nicht nur die Kinder bespielten. Hier wurden auch Obst, Gemüse und Hanf angebaut. Da unsere Mutter berufstätig war – sie war Hausfrau und Mutter – passte unsere Großmutter auf uns auf. Unsere Großmutter war eine sehr fortschrittlich denkende Frau, die uns von klein auf zur Eigenverantwortung erzog. Sie erzählte uns Geschichten vom Hatschi Bratschi, von Rotkäppchen und vom Wolf und den sieben Geißlein, um uns am unüberlegten Verlassen unseres Geheges zu hindern und um unsere Wachsamkeit gegenüber unerwünschten Eindringlingen zu schärfen. In den Sommerferien gruben wir im Garten regelmäßig ein Loch. Ein Sommerloch sozusagen. Nicht für den Wolf, sondern für unsere Großmutter.
Das natürliche Habitat des Wolfs ist das Sommerloch. Es ist nicht wie die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auch bei uns in Mode gekommenen Wolfsgruben als Falle gedacht. Ein paar Bauern tappen trotzdem regelmäßig hinein.
7 Postings
Für diese philosophische Randnotiz, die keine "Rand"notiz ist, sondern ein Sittenbild darstellt: Danke Rudolf Ingruber!
Warum müssen es eigentlich immer sieben Geisslein sein, ist nicht schon ein Geisler genug?
"widerwärtiges Luder" Sager - diesen Geisler meint Schwarzer Hannes!
Warum "Daumen nach unten" ? Dieser Herr ist bisher wie ein Geislein gegen den "bösen" Wolf aufgetreten. Was hat er in dieser Frage erreicht?
Zum Autor R.Ingruber und den Zeilen: innehalten, nachdenken, sickern lassen ... und unserer Schwester, Mutter Erde mehr Bedeutung für ihr Wohlergehen zukommen lassen, auch wenn es nur kleine Dinge sind. Die Masse hat eine Macht!
Sehr gut geschrieben. Der Garten ist heute wohl zubetoniert (das geld für den verkauf irgenwo in fonds angelegt), im berg dahinter wütet der borkenkäfer (weil der mensch ihm ideale bedingungen verschafft hat), die strasse vorm haus vollversiegelt, die gemeinde widmet weiter u weiter. Die Bauern fahren mit tonnenschwerem gerät in die felder, wo schon der kleinste anhänger zehntausende euro kostet. sie müssen fahren, weil die raten erbarmungslos laufen. Die wolfsdiskussion hat aber auch etwas reales - nämlich die tiefe verunsicherung, ob man bauern in zukunft überhaupt noch braucht. wenn die felder mit golfplätzen, siedlungen u beton überzogen sind, wenn die wälder nur mehr freizeitparks sind, auch so manches kind bei uns noch nie einen stall von innen gesehen hat - wer braucht sie da noch? die politik bedient hier das opfer bauer, aber wie wir alle sind auch die bauern immer beides. opfer u verursacher einer situation. wir leben extrem konsequent gegen unsere lebensgrundlagen. wir alle.
Was genau ist der Sinn Ihres Postings? Außerdem: Sie wissen hoffentlich schon, dass die Grundaufgabe der Bauern die Lebensmittelproduktion ist?
ja, diene frage ist schon berechtigt, allerdings würden lebensmittel in naturnaher erzeugung gesünder und verträglicher sein: für den boden und den menschen!
so verstehe ich das posting von dolo 1871. du doch auch?
Großartig!
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