Seit dem Relaunch von Dolomitenstadt habe ich mit dieser Website so meine Probleme. Da werde ich nämlich nach jedem Beitrag daran erinnert, was ich nicht alles zu tun hätte. Ich sollte Randnotizen verfassen, Meisterwerke vorstellen und zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler portraitieren. Außerdem kuratiere ich noch die Online-Kunstsammlung. Und manchmal schreibe ich Postings, dann aber unter einem Pseudonym oder Nickname, damit man die nicht auch noch mir in die Schuhe schieben kann.
Das Bild neben meiner Stellenbeschreibung ist auch nicht meins. Es gehört einem gewissen Dorian Gray. Leicht ist es nicht, für jede Aufgabe, die einem gestellt wird, die passende Identität auszuwählen. Umgekehrt auch nicht.
Neulich hätte ich auf eine Presseaussendung des Amtes der Tiroler Landesregierung, Abteilung Kultur, reagieren und die mit dem Preis für zeitgenössische Kunst Ausgezeichneten würdigen sollen. Immerhin wurde mit Alexandra Kontriner auch eine Osttirolerin für ihr Schaffen belohnt. Allerdings nicht mit dem Hauptpreis. Den bekam ein bei uns völlig unbeschriebener Bildhauer, ein gewisser Peter Sandbichler, überreicht. Dass wir für die Landeshauptstadt maximal zweite Wahl sind, gehört eben auch zu unserer und somit auch zu meiner Identität.
Ich hasse es, wenn man einen, ach so berühmten, Bildhauer erst googeln muss, wo es bei uns doch so viele gibt, deren Namen, Verdienste und Biografien dir jeder x-beliebige Mensch von der Straße im Schlaf herzählen kann! Das war jetzt eine Metapher. Bei uns schläft nämlich kein Mensch auf der Straße. Und ein Bildhauer schläft ohnehin nie. Meiner Verpflichtung als Kulturberichterstatter zum Trotz beschloss ich, das Stadtlabor aufzusuchen. Vielleicht gab es dort ja etwas Neues vom Hauptplatz?
Ich hatte keine Ahnung, wo das Stadtlabor ist, aber die Wegbeschreibung, die man mir gab, war so präzise wie einprägsam: „Immer der Nase nach!“ sagte man mir, und das war jetzt keine Metapher. Ich hatte ja schon in einem früheren Beitrag beiläufig erwähnt, dass jede Stadt ihren eigenen Geruch produziert. Autoabgase, Kosmetikartikel und Waschmittel tragen u. a. dazu bei. Das Lienzer Stadtlabor setzt auf Küchenabfälle: Die sind regional, rein biologisch und schonen das Klima.
Auch die übrigen Versatzstücke und Requisiten für die Hauptplatzgestaltung hatte man hier schon beisammen: ein Gestänge aus Formrohr, das sich zu einem kegelförmigen Zeltgerüst aufbauen, mit schwarzem Filz bespannen und als begehbares Fotomotiv disponieren ließ. Eine Camera obscura, wie das Stadtlabor selbst, in der man genau dasselbe, wie wenn man sie nicht betreten hätte, zu sehen bekommt. Aber das Stadtlabor hat längst schon bemerkt, dass die Kundschaft eine virtuelle Visualisierung für wirklicher hält als die Wirklichkeit.
Unweit davon hatte man eine Triumphtreppe für die erfolgreichen Teilnehmer am Architekturwettbewerb aufgestellt und mit einer Adresse an die Ziviltechnikerkammer beschriftet: „Jeder ein Sieger über sich selbst“. Ringsum lagen bunte Steine aus Porphyr, Granit, Beton usw., in eiserne Kisten verpackt und zur Abholung bereit. „Verschieden pflastern, so dass es nicht auffällt …“, schoss es mir durch den Kopf, „und am Abend die leichte Beleuchtung, indirekt, die Beleuchtung, ist schon herrlich“, so schoss es weiter.
Denn aus einem Erdhügel ragte ein stählerner Bogen, der war an seiner Innenseite mit einer Neonröhre versehen. Eigentlich war es ein Kreissektor, ein Viertel von einer Torte, deren Radien sich im Erdinneren trafen: „Wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.“ Mitten am Hauptplatz machte es diesen zum Zentrum der Stadt und die Stadt zum leuchtenden Zentrum des Erdkreises. „Urbi et orbi“ – welch sinnreiche Konstruktion!
So, nach der Kür nun die Pflicht: Peter Sandbichler, 1964 in Kufstein geboren, studierte bei Wander Bertoni an der Hochschule für angewandte Kunst und bei Bruno Gironcoli an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Danach leistete er seinen Zivildienst in der Kunstwerkstatt Lienz. 1995 war er einer der Vertreter Österreichs auf der Biennale von Venedig. Mit den Konstruktivisten teilt Sandbichler seine Liebe zur Geometrie, die er aber nicht nur als Substrat für Figuren, sondern wortwörtlich als Vermessung der Erde versteht.
In der 120 Meter langen Gertrud-Fröhlich-Sandner Passage unter dem Wiener Hauptbahnhof, „der zwei soziokulturell sehr unterschiedliche Bezirke miteinander verbindet, wird Sandbichlers Installation auch zu einem Plädoyer gegen starre Positionen zugunsten von Offenheit und Toleranz.“
2019 hat Sandbichler in Lienz ausgestellt. Auf dem Hauptplatz. Aus dem kann noch was werden!
3 Postings
Manchmal, lieber Rudi, habe ich das Gefühl, dass du just derjenige bist, den man über stählerne Bögen balancieren lässt, in der Hoffnung, dich entweder auf die Seite der Bourgeoisie oder auf die Seite der Bohème fallen zu sehen. Faktenbasierte Kunstrechtfertigung kann mitunter ganz schön anstrengend sein. Du meisterst diesen Balanceakt meisterhaft! Gratuliere!
hasta la victoria siempre! Sandbichler und Egger-Lienz im Ferdinandeum, eine unterhaltsame Gegenüberstellung. Zwei Objekte, ein abgedunkelter Raum:
https://frey-tag.at/kalender/albin-egger-lienz-and-peter-sandbichler?s=aNF77ifRX
https://www.tiroler-landesmuseen.at/ausstellung/albin-egger-lienz/
Wieder ein sehr humorvoll Artikel voll mit Spitzfindigkeiten!
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