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Künstlerischer Brückenschlag zwischen Innen und Außen

In einem Bauwerk mit Geschichte ist eine Arbeit von Elfriede Skramovsky mehr als Blickfang. 

Wenn wir vor einer Lichtquelle versuchen, ein bestimmtes Material – etwa, um ein vertrautes Beispiel zu wählen, die Finger unserer Hände – so zu formen, dass das Profil eines Hasen oder eines Hundes an die Wand projiziert wird, sind vielleicht zahlreiche Versuche vonnöten, bis uns die Schattenfigur endlich befriedigt. Sofern man sie nicht bloß als Fehlschläge wertet, können diese Versuche gestalterisch durchaus anregend sein. Umgekehrt wird auch ein wirklicher Hase, wenn er sich nicht in einem besonderen Winkel zum Licht stellt, einen Schlagschatten werfen, der zu unterschiedlichster Deutung veranlasst: eine Silhouette, die sich dann in eben dem Maße, wie sie als die eines Tieres zu erkennen ist, als Sonderfall unzählig vieler möglicher Silhouetten erweist.

Elfriede Skramovsky, Hase, Filzstift auf Papier, 210x148 mm, 1989. Repro: Niederwieser

Dabei kann jedoch die bestimmte Erwartung, etwa die, einen Hasen zu sehen, die Phantasie erheblich beschränken. Ohne das Naheliegendste, nämlich kunstvoll gefaltete Finger zu vermuten, wird jedes Kind in der Lage sein, Augen, Schneidezähne und Nase an die einzig mögliche Stelle zu platzieren – nicht, weil es schön, sondern weil es so richtig und zweckmäßig scheint. Versucht wird dabei, das zu ergänzen, was als mögliche Struktur zwar vorhanden, aber nicht sichtbar ist. Gelingt es jedoch, von einer figurativen Bedeutung zu abstrahieren, lässt sich die Form auf immer wieder neue Weise interpretieren. Ein Umriss muss nicht von vornherein dem eines natürlichen Gegenstandes entsprechen, um ästhetisch wirksam zu sein. Statt als Hund oder Hase erscheint er weit öfter lediglich als gestaltloser Fleck.

Man kann diese Einsichten nun auch auf die Topologie einer Stadt oder eines Platzes anwenden, auf ein Beziehungsgeflecht aus Markierungen und Verkehrswegen, die weniger visuell als in der räumlichen Bewegung erfahrbar sind und der vielleicht auch nur willkürlichen Umgrenzung durch Häuserzeilen oder durch Mauern erst Sinn und Bedeutung verleihen. Sinn und Bedeutung ändern sich im Lauf der Geschichte, sie werden jedoch – gleichviel, ob demokratisch oder hierarchisch – immer von den Benutzern solcher Plätze bestimmt. Der Johannesplatz hat seinen Namen von der 1308 erstmals erwähnten Johanneskirche. Vor allem während der Gegenreformation im 17. und 18. Jahrhundert diente er der religiösen Unterweisung der Lienzer Bevölkerung, ehe ein Brand das Gotteshaus 1798 zerstörte.

An der Nordostseite des Platzes befand sich von 1476 bis 1954 das Rathaus der Stadt, das ab 1. Oktober 1878 auch der neu gegründeten Lienzer Sparkasse Unterkunft bot: „Zur Bequemlichkeit der Parteien, welche Einlagen zu machen haben“, hieß es in den Vereinssatzungen, „wird in Ansehung, dass wöchentlich nur ein Amtstag abzuhalten und dieser Umstand voraussichtlich zu mancherlei Unzukömmlichkeiten führen würde, beschlossen: Es sei Herr Franz Gitterle, Kommunalverwalter, hier zu ermächtigen, Einlagen von Parteien außer den Amtstagen entgegenzunehmen.“ Die Amtsgeschäfte leitete der Bürgermeister Carl Sartori persönlich, bis acht Jahre später das Geldinstitut in das Haus des Venerand Unterhueber auf der gegenüberliegenden Seite, Johannesplatz 5, übersiedelte.

Fassade der Lienzer Sparkasse am Johannesplatz, entworfen von Franz Baumann 1929. Foto: Lienzer Sparkasse

1929 wurde Franz Baumann (1892 – 1974) mit der Errichtung eines Neubaus beauftragt. Als Mitarbeiter Lois Welzenbachers gehörte Baumann zu den bedeutendsten Architekten der Tiroler Moderne. Er hatte in den Jahren vor dem Lienzer Projekt die Stationen der Nordkettenbahn (Hungerburg, Seegrube und Hafelekar) gebaut und 1939, als Leiter der Reichskammer für bildende Künste in Tirol, die Beseitigung der Triumphpforte und der Annasäule in der Innsbrucker Maria-Theresienstraße zugunsten eines von Hubert Lanzinger entworfenen Hitlerdenkmals verhindert. Trotzdem war seine problematische Beziehung zum Nationalsozialismus der Grund dafür, dass die Lienzer Sparkasse bis zum heutigen Tag als eines seiner bedeutendsten Werke, ja vielleicht sogar als sein Hauptwerk betrachtet wird.

Ein Torbogen verband die Sparkasse mit dem damaligen Rathaus der Stadt Lienz. Foto: Lienzer Sparkasse

Um die Nordflanke des Platzes zu schließen, verband Baumann den Neubau mit dem Rathaus durch einen breiten Torbogen, der den Blick des von der Muchargasse im Norden her kommenden Passanten auf die Mariensäule umrahmte, die seit 1861 anstelle der Johanneskirche das Ensemble auszeichnet. Süd- und Ostfassade sind durch eine Rundung ineinander geführt, und da Baumann die Last des Gebäudes nicht zur Gänze den Mauern, sondern vor allem den Stützen im Inneren aufbürdet, ermöglicht die großzügige Durchfensterung auch von dort einen sanften Rundumblick auf die Topografie. Durch spätere Zu- und Umbauten allerdings wurde der konvexe Schwung in die Zange genommen und Ende der 1960er Jahre durch eine geometrisierende Fassadengestaltung neutralisiert.

Im aktuellen Baukonzept des Sparkassengebäudes, realisiert 2003 von Peter Jungmann, verfließt die Grenze zwischen öffentlichem Raum und Schalterhalle. Foto: Wolfgang C. Retter

2003 gelang es dem Lienzer Architekten Peter Jungmann, aus dem Baubestand wieder den Ursprungsgedanken zu schälen und ihn im Sinne zeitgerechter Erfordernisse eines modernen Bankinstituts weiterzudenken. Die ehemalige Schalterhalle wurde im Sinne zunehmend digitalisierter Zahlungsmodalitäten, die weitgehend ohne menschliches Gegenüber, zumal eines Bürgermeisters oder Kommunalverwalters auskommen, zugunsten eines rund um die Uhr frei flottierenden Kundenverkehrs aufgelöst in einzelne Terminals und die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum durch die Verglasung entlang der Rundung im Erdgeschoß zumindest optisch zum Verschwinden gebracht. Der Johannesplatz setzt sich in das Gebäudeinnere fort und durch die Öffnung des Lichthofes strömt nun das Tageslicht in die Halle.

Der „Green Screen“ von Elfriede Skramovsky in der Schalterhalle der Lienzer Sparkasse. Foto: Wolfgang C. Retter
Diese kleine Tuschzeichnung von Elfriede Skramovsky, entstanden 2002, war die Vorlage für das wandfüllende Bild auf Glas in der Schalterhalle. Repro: Niederwieser

Dort befreit sich eine riesige Bildwand aus der Funktionalität des Raumes. Sie schafft auf ihre Weise den Brückenschlag zwischen Innen und Außen, Natur und Künstlichkeit, und fasst die vielgestaltigen Anliegen der Architektur symbolisch zusammen. In dem vom Architekten in Kooperation mit dem Grafiker Reinhard Gruber für die Schalterhalle der Lienzer Sparkasse konzipierten „Green Screen“ ist eine kleinformatige Zeichnung von Elfriede Skramovsky digital auf ein schier unglaubliches Maß aufgeblasen und als virtuelle Begrünung auf ein die gesamte Raumhöhe durchmessendes Glas aufgebracht. Was zunächst als ein unberechenbares Wagnis erschien, hat sich mittlerweile als das gesamte Raumerlebnis prägende Gestaltung bewährt.

Elfriede Skramovsky (geb. 1958 in Wien) hatte sich nicht erst durch ihre Teilnahme an der Documenta X, 1996, als teamfähige Künstlerin einen Namen gemacht. Sie zeichnete damals abstrakt oder auch gegenständlich umrissene Formen, die sie mittels Feder und Tusche, manchmal auch mit Pinsel und Farbe, mit dekorativen Mustern befüllte. Viele Betrachter konstatierten den hohen Arbeitsaufwand, den Skramovsky in ihre Bilder investierte, und schlossen daraus auf den Fleiß, die Geduld, ja sogar Leidensfähigkeit, die sie auszeichneten. Als Resultat höchster Konzentration und technischen Geschicks wurde die Präzision in der Zeichnung der kleinteiligen Muster interpretiert, die sich in jeglichem Format zu bewähren schien.

Kontur und „Füllung“ sind bei Elfriede Skramovskys Arbeiten gleichermaßen relevant. Foto: Miriam Raneburger

Arbeitsaufwand, Fleiß, Geduld, Konzentration usw. sind keine ästhetischen Kategorien. Sie vermitteln sich allerdings auf ästhetischem Wege, über Ausdrucksqualitäten. Die Präzision in der Zeichnung der kleinteiligen Muster und deren endlose Variationen sind solche Ausdrucksqualitäten. Wir werden ihnen aber nur dann gerecht, wenn wir sie mit dem vollständigen Kunstwerk in Zusammenhang bringen und sie von ihrer Funktion in diesem Zusammenhang aus bewerten, ja vielleicht sogar erst dann, wenn wir Skramovskys gesamtes Oeuvre ins Auge zu fassen bereit sind.

Um den scheinbaren Widerspruch zwischen großzügig und routiniert gezogenem Umriss, der der Künstlerin alles andere als Fleiß und Geduld abverlangt, und seiner minutiösen Binnenstruktur zu enträtseln, müssen wir uns um die adäquate Einstellung unseres Blickes bemühen, die Kontur und Füllung gleichermaßen erfasst. Aus der richtigen Einstellung aber erkennen wir, dass Umriss und Binnenstruktur einander wechselseitig bedingen, dass der Umriss zunächst eine leere Fläche begrenzt, die es nicht bloß zu füllen, sondern im wahrsten Sinne zu deuten gilt. Da dieser Umriss spontan gezogen wurde, erscheinen der Fleiß, die Geduld und der Arbeitsaufwand, mit denen die Fläche gestaltet wurde, plötzlich als Konsequenzen der Spontaneität, und da, ebenfalls aufgrund dieser Spontaneität, kein Umriss im Oeuvre Skramovskys dem anderen gleicht, ist das Verhältnis jedes Mal aufs neue und vor allem auf kreative Weise zu lösen.


In unserer Serie künstlerischer Meisterwerke schärft der Kunsthistoriker Rudolf Ingruber – Dolomitenstadt-Leser und -Leserinnen kennen ihn auch als launigen Randnotizen-Schreiber – den Blick auf insgesamt 20 bedeutende Kunstwerke im öffentlichen Raum Osttirols. Denn schließlich gilt: Man sieht nur, was man weiß. Als Fotograf begleitet Helmut Niederwieser diese Kunstdokumentation von dolomitenstadt.at.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

2 Postings

Herr_Ethiker
vor 3 Jahren

Mea culpa, Herr Ingruber. Eins für die Statistik!

Wie immer ein sehr gelungener Artikel, das muss ich Ihnen aber grundsätzlich eigentlich nicht sagen. Mehr fällt mir allerdings nicht ein, weil selbst ich als Laie erkennen kann, dass zwischen Elfriede Skramovsky Tiepolo (dem einzigen mir bekannten Maler überhaupt) wohl kaum eine Verbindung besteht.

 
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Bahner Bernd
vor 3 Jahren

Immer wieder erstaunt die Subtilität und die behutsame ,tiefgründige Analyse,mit der es R.Ingruber gelingt, uns die Zeugnisse der lokalen gestaltenden Kunst näherzubringen. Und immer ein Anreiz,dem sebst dann nachzuspüren.

 
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