Schlechte Nachrichten? Erzählen wir das Gute weiter!
Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel hat ein Buch gegen „Schlagzeilen-Burnout“ geschrieben.
Immer mehr wird unser Alltag von negativen Schlagzeilen bestimmt. Berichterstattung rund um Pandemie und Krieg lösen bei vielen Menschen Gefühle von Panik und Angst aus. Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel schreibt in ihrem neu erschienenen Buch wie wir besser damit umgehen.
„Jede Geschichte beeinflusst, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen. Geschichten bestimmen unser Leben – viel mehr, als wir es ahnen. Sie beeinflussen, wie wir den Menschen begegnen, die wir auf der Straße, in der U-Bahn oder beim Einkaufen sehen; wem von ihnen wir vertrauen und wem nicht; vor wem wir Angst haben. Sie beeinflussen, an welche Dinge wir uns erinnern und welche wir wieder vergessen“, schreibt Ronja von Wurmb-Seibel.
Sie ist Buchautorin und Journalistin – eine Journalistin, die selber aufgehört hat, Nachrichten zu lesen, wie sie sagt. Nun hat sie ihr Buch „Wie wir die Welt sehen“ veröffentlicht, darüber, „was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien“. Es ist ein Buch, nicht nur über das Konsumieren von Nachrichten, sondern auch über das Erzählen von Geschichten.
Ronja von Wurmb-Seibel hat sich in ihrer jahrelangen Erfahrung als Journalistin viele Gedanken über die Art und Weise gemacht, wie Geschichten erzählt werden und welche Auswirkungen die Erzählweisen und -muster auf die Gesellschaft ausüben. Grund dafür ist ihre persönliche Geschichte: Als 27 Jahre junge Frau ist sie nach Afghanistan aufgebrochen, um von diesem Land und den Menschen dort zu berichten.
„Ich habe damals als Redakteurin für das Politik-Ressort der Wochenzeitung DIE ZEIT gearbeitet und viel über die Bundeswehr berichtet. Als die Bundeswehr im Oktober 2012 ihr erstes Feldlager in Afghanistan abbaute, in Faizabad im Norden Afghanistans, bin ich dort für eine Reportage hingefahren. Mich hat interessiert, wie es für die Soldat:innen ist, einen Krieg zu beenden, der ja de facto nicht vorbei ist und was der Abzug der Deutschen für die Menschen in Afghanistan bedeutet“.
Ein Jahr später ist Ronja von Wurmb-Seibel dann ganz nach Kabul gezogen: „Zu diesem Zeitpunkt hatte kein deutsches Medium eine Korrespondentin in Afghanistan. Ich wollte erzählen, was der Krieg mit den Menschen in Afghanistan gemacht hat. Zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25 – trotzdem hatte ich den Eindruck, in Deutschland ist nur von alten Männern mit Bart die Rede, wenn es um Afghanistan geht. Das wollte ich ändern“.
Erst überfordert von dem Elend, dem die junge Journalistin in Afghanistan begegnete, begriff sie, dass ihr Schreiben nur Sinn mache, wenn sie auch positive Geschichten erzähle – und auch wenn es nichts Positives gibt, käme es immer noch darauf an, wie Geschichten erzählt werden. „Ich sah einfach keinen Grund dafür, die Welt noch negativer darzustellen, als sie ohnehin schon war. Noch negativer, als wir sie ohnehin schon sehen“. Bis heute schreibt Ronja von Wurmb-Seibel ihre Texte in dieser Haltung und hat auch begonnen, dahingehend Seminare für Journalist:innen zu geben.
Warum sie sich so sehr für eine positive Berichterstattung engagiert? „Je drastischer und negativer ein Problem beschrieben wird, umso weniger setzen wir uns dafür ein, dass es gelöst wird – ganz einfach, weil wir nicht mehr daran glauben, dass Wandel überhaupt noch möglich ist. Und so glauben, Nachricht für Nachricht, immer weniger Menschen daran, dass sie einen Einfluss auf Politik und Gesellschaft haben“.
Natürlich müsse man auch über Gewalt und ihre Folgen berichten, man könne nicht ignorieren, dass sie existiert, aber: „Wenn wir nicht auch über Wege berichten, sie zu überwinden –, tragen wir ungewollt dazu bei, dass sich Angst und Schmerz weiter verbreiten. Wir verankern Glaubenssätze. Wir geben der Gewalt eine neue Bühne. Wir verhelfen ihr zu mehr Macht, selbst wenn wir eigentlich genau das Gegenteil erreichen wollen“. So gehe es beispielsweise nicht darum, die Geschichte der Frau, die angegriffen worden ist, nicht zu erzählen, sondern, sie anders zu erzählen: „Man könnte erzählen, wie es die Frau geschafft hat, ihr Trauma oder ihre Angst zu überwinden, anstatt sie nur als ohnmächtiges Opfer darzustellen“.
In ihrem Buch macht Ronja von Wurmb-Seibel genau das: Sie erzählt ihre persönliche Geschichten auf eine Art und Weise, die beim Lesen Mut macht. Eine derart subjektive Herangehensweise mag ungewohnt für eine Journalistin wirken, doch Wurmb-Seibel ist sich sicher: „Komplette Objektivität ist eine Illusion. Ich versuche meine eigene Prägung und Erfahrung soweit offenzulegen, dass verständlich wird, wie sie meinen Blick auf die Welt, meine Themenauswahl und meine Herangehensweise beeinflussen. Das transparent zu machen, erscheint mir realistischer und näher an der sogenannten Neutralität, als wenn ich behaupten würde, objektiv zu sein und zu berichten“.
Dieser Zugang betrifft aber nicht nur Journalist:innen. Wir alle erzählen uns im Alltag Geschichten – oft auf Basis negativer Ereignisse oder Nachrichten, von denen wir gerade gelesen haben, weil sich unser Gehirn nachweislich besser an die negativen Ereignisse erinnert als an die positiven.
Leider bekommen auch provokante Meinungen und hasserfüllte Statements meist mehr Aufmerksamkeit. „Der Fokus aufs Negative bestimmt eine ganze Kultur des Erzählens. Wir hangeln uns von Problem zu Problem, von Herausforderung zu Herausforderung, von einer Krise zur nächsten“, beobachtet die Autorin. Mit ihrem Buch leistet sie einen Beitrag, dem zu entkommen. Wurmb-Seibel gibt darin Anleitungen und stellt gezielte Übungen vor, wie wir besser auf die eigenen Erzählmuster achten und uns von dieser negativen Spirale befreien können. Langfristig sei es sogar möglich, Denkprozesse in unserem Gehirn ins Positive zu verändern.
„Wie wir die Welt sehen“ ist ein Buch, das motiviert, weniger Nachrichten zu lesen und das Gute an unseren Geschichten weiterzuerzählen.
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