Oswald Kollreider: Ausbruch aus der Erzählgemeinschaft
Eleonora Bliem-Scolari will den Osttiroler Maler in der Kunstlandschaft neu verorten.
"Expressiv, impulsiv, spirituell", so charakterisiert ein neues Buch den Osttiroler Maler Oswald Kollreider (1922–2017) bereits im Untertitel. Entstanden ist diese mittlerweile dritte Monografie auf Initiative des Neffen des Künstlers, der seinen Nachlass nicht nur verwaltet, sondern auch wissenschaftlich aufbereitet wissen wollte. Triebfeder der Autorin Eleonora Bliem-Scolari war die Absicht, aus der Perspektive einer weiblichen Kunstgeschichtlerin, die den Maler persönlich nicht gekannt hat, ein festgesetztes Narrativ zurechtzurücken.
Natürlich sind im engeren Milieu, im ländlich-katholischen Bürgertum von Osttirol, Erzählungen und Klischees, die oft die Sicht auf das rein Künstlerische trüben, für ein konsistentes Andenken an den 2017 Verstorbenen nicht zu unterschätzen, und die Frage drängt sich auf, wie weit der Künstler selbst daran beteiligt war. Kunstferne Räume, die er als Resonanzgebiete eingerichtet und in der Folge dauerhaft bespielt hat, scheinen jene "internationale Anerkennung" zu behindern, von der während der Buchvorstellung fast schon inflationär die Rede war.
Als "Bruchlandung in einer Erzählgemeinschaft, die in den letzten Jahren nur noch in Erinnerungen schwelgte", schildert Koautor Leo Andergassen seine Besuche bei Oswald Kollreider. Andergassen hat als damaliger Direktor des Brixner Diözesanmuseums 2006 eine Schenkung von rund 80 Werken des Osttiroler Malers abgewickelt, dessen Angebot bei der Stadtgemeinde Lienz offenbar zuvor auf wenig Widerhall gestoßen war. Gleichwohl soll Kollreider im nächsten Jahr zum 100. Geburtstag eine Gedächtnisausstellung auf Schloss Bruck gewidmet werden.
In einer ausgewogenen Bilanz versucht nun Bliem-Scolari, Kollreiders individuellem Antrieb und einer Leistung auf die Spur zu kommen, die zwischen regionaler Rezeption und objektiver Kunstkritik polarisiert. Wie konnte einem Künstler, dessen ungeschminkte Obsession die von Strassen und Kartitsch umgrenzte Heimat war, auf seinen ausgedehnten Reisen in alle Kontinente die Flucht nach seinem Selbst gelingen, und in welcher Kunstlandschaft soll er zuletzt verortet werden? In der spezifisch österreichischen Moderne war bis jetzt kein Platz für ihn.
Das Studium an der Akademie der bildenden Künste bot offenbar noch keine Waffengleichheit, und ein Künstlerleben fernab jeder Metropole sowie der Gemeinschaft Gleichgesinnter – und aufgrund der kriegsbedingten Verzögerung auch Gleichaltriger – zugunsten bedingungsloser Individualität waren keine günstigen Prämissen für einen fairen Wettstreit. Trotzdem hat Kollreider, der sich selbst, so Leo Andergassen, in dieser Welt als "Durchlaufposten" sah, mit der sakralen Kunst sich ein Gebiet erobert, die seinem Naturell entsprach, und auf dem er keine Konkurrenz zu fürchten brauchte – auch nicht, "dass ihm vom lieben Gott die Ohren langgezogen würden, wenn einmal dem Gekreuzigten ein Bein zu kurz geraten war".
"Es gibt keinen Zweifel. Kollreider malt in der Affirmität der Glaubenssicherheit, so als würde er sich immer wieder mit einem inventarmäßig erfassten Himmelspersonal beschäftigen", resümiert Andergassen, der Kollreiders Individualität in dessen erbeteten Sakralikonografien erkennt, stärker als in seinem subjektiven Pinselstrich, der, in etlichen Detailaufnahmen im Buch aus dem Zusammenhang gehoben, leicht auf die falsche Fährte führen könnte. Die impulsive Geste ist jedesmal an der gesamten Szenerie zu messen, als Mittel zum Erfassen der Flüchtigkeit des Augenblicks, wobei sie oft genug bloßer Routine unterliegt.
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