Julia Brennacher hatte Kunstgeschichte studiert, bevor sie 2008-2010 ein Gaststudium der Malerei bei Herbert Brandl in Düsseldorf absolvierte. Danach war sie sechs Jahre lang Kuratorin im Innsbrucker Taxispalais. Ihre Ausstellung im RLB-Atelier in Lienz, die unter dem Motto „A bigger Picture“ kleinformatige Bildtafeln an unterschiedlich gefärbelten Wänden zusammenstellt, zitiert den zweifachen Zugang des privaten Kunstkenners zu seinen Sammlungsobjekten: Er kann seine „Kabinettstücke“ als räumliche Abbilder der Welt anschauen und sie dann in die Hand nehmen, um den schönen Schein auf seine künstlerische Machart zu überprüfen.
Das autonome Tafelbild ist eine Erfindung der Renaissance. Auch wenn die Museen Europas den Anschein erwecken, als seien ihre Wände auch mit deutlich früher datierenden Exemplaren bestückt, so gelingt ihnen das eben nur durch die Unterschlagung des genuinen Kontextes der Bilder. Die wenigsten nämlich wurden für das Museum gemalt. Sie waren etwa Bestandteil eines Altars oder standen einzeln und im Ensemble zur Verehrung bereit. Reines Schauen war selten das angemessene Rezeptionsverhalten, und wenn das Berühren im Museum strengstens verboten ist, in der Liturgie der Ostkirchen beispielsweise ist es erwünscht: Dort werden Ikonen geküsst.
Die Bemalung der Vorderseite der Tafeln war in diesem Zusammenhang mehr als nur Schmuck und mehr als ein Zeichen, das für etwas steht. Sie war der, die oder das Heilige selbst und damit Kultgegenstand. Das autonome Tafelgemälde aber hebt das Gleichheitszeichen zwischen Bild und Bildgegenstand auf. So wie zwischen einem Körper und der Projektionsfläche seines Schattens eine Distanz liegen muss, tritt jetzt der Betrachter des Gemäldes zurück, um in reiner Anschauung zu verharren. Und er stellt fest, dass ohne sein Auge das Bild ganz einfach verschwindet. Die Malerei ist vom betrachtenden Subjekt abhängig geworden und der Künstler als Schöpfer inauguriert.
Der rechte Winkel, der die vier Seiten eines Tafelbildes verbindet, ist keineswegs zwingend, doch folgt er einer rein praktischen Abwägungen erwachsenen Tradition. Senkrechte und waagerechte Kanten sind Abbilder der Schwerkraft, die in Gestalt von Wasserwaage und Senkblei jedem Bauhandwerker vertraut sind. In dieser Hinsicht sind Bildtafeln auch Ausdruck eines Teilungsverhältnisses der Wände, an denen sie hängen. Auch innerhalb der Bildgrenzen lassen sich solche Teilungsverhältnisse realisieren: vom „Goldenen Schnitt“ über die Bildfelder eines Piet Mondrian zur einfachen Rasterung und dem Schachbrett für Minimalisten, Kasimir Malewitschs „Schwarzem Quadrat auf weißem Grund“.
Es war das herausragende Projekt der Moderne, das neuzeitliche Tafelbild, das ein halbes Jahrtausend lang ein „Als ob“ auf dem Bildträger realisierte, bis auf seine Grundbedingungen zu dekonstruieren. Dass jedoch deren ständige Reproduktion mit der Zeit fahl wird und höchstens noch zum Ornament oder zum Industriedesign taugt, ist Julia Brennacher, die den zeitgenössischen Kunstbetrieb aus mehreren Blickwinkeln kennengelernt hat, nur allzu bewusst. „A bigger picture“ steht auch für das Vorhaben, das „Abbruchmaterial der Moderne“ aus der Perspektive der Kunstschaffenden, der Ausstellungsmacherin und ihres Publikums, unter Bezugnahme auf deren historisch gewachsenes Selbstverständnis, zu einem größeren Ganzen zu fügen.
Malerei ist, in einer ersten Annäherung, Farbe und Form. Sie ist oder ergibt sich aus dem Auftragen von Farbe auf einen Träger. Dass für diese Handlung die Farbe mehr als eine bestimmte Wellenlänge im elektromagnetischen Spektrum bedeutet, ist nicht nur für die Malerin von Belang. Farbwahrnehmung ist im Tafelbild an ein Medium gebunden, an den mit dem Malmittel verrührten Farbkörper, von dessen Konsistenz seine Streichfähigkeit, zwischen flüssig und zäh, lasierend und deckend, abhängt. Das ist für jeden, der sich darin schon versucht hat, zwar eine Banalität, aber unter Brennachers Händen gerinnt selbst der einfache Pinselstrich zur aussagefähigen Form, ohne etwas außerhalb seiner selbst zu repräsentieren.
Brennachers Kompositionen sind manchmal streng geometrisch, dann wieder ungebunden und intuitiv, in jedem Fall aber bleibende Spuren eines lustvollen Handelns, das liebgewonnenen Konventionen nur wenige Zugeständnisse macht. Die leisen Töne werden vielfach durch schreiende Signalfarben kontrapunktiert, die aufwecken, Distanz gebieten und zugleich einladen, näher zu treten. Das ihnen angemessene Betrachterverhalten ist die Bewegung im Raum, doch bilden die Tafeln diesen und seine Gegenstände nicht ab: Sie sind selbst Gegenstände im Raum. Man bekommt Lust, sie in die Hand zu nehmen, um zu be-greifen, wie sie gemalt sind.
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