Sie organisieren heuer zum zweiten Mal die in ganz Tirol stattfindenden „Tage der Offenen Ateliers“. Was bedeutet dies in Zeiten der Pandemie?
Der Rückzug ins Atelier hat bei mir die Serie "anti covid colours" ausgelöst, die sich über ein Jahr gezogen hat. Es entspricht meinem Wesen, die Dinge, die nicht ganz stimmig sind, so nicht hinzunehmen, sondern dagegen anzugehen. So entstand im März 2020 in mir der Impuls, den Ängsten und Sorgen der Corona Zeit etwas Aufhellendes entgegenzusetzen. Ich wollte in dieses depressive Loch keineswegs hineinfallen. So griff ich zu den grellsten und knalligsten Farben, die ich im Atelier hatte und experimentierte damit, um die Farbpalette auszureizen. Farben zueinander zu setzten, die nicht in glatter Harmonie zueinander stehen, sondern schon mal in Konfrontation miteinander gehen wollen. Etwas zuspitzen.
Kommunikation und Auseinandersetzung mit der Arbeit im Atelier ist stundenlang interessant. Die Tage der Offenen Ateliers sind eine Initiative von KünstlerInnen für KünstlerInnen und ihr Publikum. Ich habe bei der Kunststraße Imst im Dezember 2019 Unterschriften für Tage der Offenen Ateliers gesammelt, um zu sehen wie der Bedarf wäre. Es war ein Erfolg, der mich ermutigt hat, 2020 mit der Aktion zu beginnen. An die 40 Teilnehmer waren es 2020. Heuer verdoppelt sich das Angebot. Osttirol sollte noch stärker beworben werden. Das Format ist gut Pandemie tauglich, weil immer kleine Besuchergruppen die Ateliers betreten. Zwar eine große Veranstaltung, dennoch keine Massenveranstaltung.
Warum ist Vernetzung wichtig?
Ich stelle durch die Arbeit mit den Tagen der Offenen Ateliers fest, dass ich viele Leute kennenlerne. Es freut mich sehr, viele Kunstschaffende in Tirol kennen zu lernen. Bei den Regionaltreffen auch persönlich. Bin ganz überrascht wie viele Bildhauer es in Tirol gibt. Für dieses Segment scheint das Format besonders interessant zu sein, weil kein Transport anfällt. Ich möchte gerne eine digitale Plattform aufbauen, die das gesamte Kunst- und Kulturschaffen in Tirol abbildet. In Form einer map, in der die Standorte in Form von Symbolen gefunden werden, hinter denen sich ein Profil oder ein link befindet.
Es geht um Sichtbarmachung der Fülle, es geht auch um gegenseitige Bestärkung und es geht um Auftreten gegenüber der Politik, die in Tirol die Bildende Kunst marginalisiert. Helene Gschnitzer vom TKI hat kürzlich darauf hingewiesen, dass der Wirtschaftsfaktor des Sektors Kunst und Kultur größer ist als der der Bauern. Schaut man sich jedoch die politische Wahrnehmung an, so passt das ganz und gar nicht zusammen.
Durch die rasante Entwicklung der sozialen Medien war Vernetzung noch nie so groß angelegt und differenziert möglich wie heute. Ist unter diesen Vorzeichen von „Vernetzung“ zu sprechen nicht Etikettenschwindel?
Die Vernetzung in den Medien würde ich nicht als Etikettenschwindel bezeichnen, da ist viel an Austausch von Information möglich. Die Bewerbung einer Kulturveranstaltung bringt hier schon was weiter. Auf der menschlichen Ebene gibt das natürlich nicht viel her.
KünstlerInnen sind Auftraggeber und Produzenten, Manager und Vermarkter. Sie erfüllen im Regelfall mehrere Jobs, wofür es in anderen Branchen eigene Spezialisten gibt. Was würden Sie sich diesbezüglich wünschen?
Ja, davon kann ich ein Lied singen. Mir entspricht das aber ganz gut, ich mag die Abwechslung. In unserer Zeit, wo Mäzene kaum mehr Aufträge vergeben und Kunst kaufen, sollte die öffentliche Hand noch etwas aktiver sein. Ich weise gerne darauf hin, dass der Städtetourismus zum großen Teil von gebauter Kunst und den Galerien in Museen lebt. Und die Wirtschaft profitiert davon. Jedoch gibt es wenig Bewusstsein dazu, dass die Kunst, die man in 100 Jahren sehen möchte, aus unserer Zeit stammen wird. Man sollte daher auch etwas dafür tun.
Die Kunst als Brandbeschleuniger der Digitalisierung? Die Digitalisierung als Brandbeschleuniger der Kunst? Wie ist Ihr Eindruck?
Die Digitalisierung ist ein Werkzeug, mit dem man umgehen kann. Ich tu es jedenfalls in Sachen Marketing. Digitale Tools zur Gestaltung finde ich interessant, ich bevorzuge aber den Pinsel.
Umbrüche gab es in der Geschichte der Kunst bereits viele. Dabei hat sich nicht nur das Stilempfinden des Künstlers und der Geschmack seines Publikums verändert, Kunst war auch ein Seismograf gesellschaftlicher Veränderungen und Ausdruck neuer Erwartungen. Sehen Sie derzeit solche Veränderungen?
Seit den 60er Jahren – Pop Art und Robert Venturis "Mainstreet is almost all right" (Die Hauptstraße ist fast immer in Ordnung) sehe ich eine Verbreiterung des Kunstbegriffs. „Anything goes“ halte ich für einen guten Slogan. Mir gefällt, dass neue Musik am Computer im Wohnzimmer hergestellt werden kann und dass die Gestaltungsfreiheit das Geschmacksdiktat vertrieben hat. Elitäre Abgrenzung gefällt mir weniger als gelungene Inklusion. Deshalb sind die Tage der Offenen Ateliers auch breit aufgestellt, niemand wird ausgegrenzt. Ich könnte mir nicht vorstellen, als Zensur aufzutreten. Ich finde es entspannend, dass "große Künstler" neben den Hobbymalern existieren dürfen. Denn es handelt sich nicht um eine Gruppenausstellung mit unmittelbarem Vergleich und Nebeneinander, sondern jeder Aussteller hat seinen Auftritt selber zu verantworten in den eigenen Räumen.
„Der räumliche Gehalt wird durch Überlagerungen spürbar, es entstehen unerwartete Details, das Auge kann in der Räumlichkeit auf Entdeckungsreise gehen.“ Dieser Satz Ihrer Selbstbeschreibung charakterisiert nicht nur Ihren Zugang zu Malerei und Graphik, er läuft zugleich auf ein ganz bestimmtes Rezeptionsverhalten hinaus. Ist es nicht so, dass diese Entdeckungsreise nur in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Original stattfinden kann? (Walter Benjamin sprach von der „Aura“ des Kunstwerks).
Oh ja, da bin ich ganz dabei. Ich bin eine Ausstellungsbesucherin, die es genießt, wenn sich die Gänsehaut am Körper bemerkbar macht, weil das Kunstwerk mich anspricht. Ich halte das auch für ein großes Geschenk, diese Empfindungen haben zu dürfen. Daher bin ich auch der Meinung, dass ein Rezipient keine Kunstgeschichte gelernt haben muss, um in die Kunst einzutauchen.
Digitale Kunst ist im Vormarsch. Was bedeutet das für das Erleben von Kunst?
Die digitale Kunst nimmt ihren Platz ein, dass die analoge dadurch geschwächt wäre, sehe ich nicht. Der digitale Raum ist durch Corona noch stärker geworden, das finde ich nicht schlecht und es ist interessant, dass Homeoffice plötzlich selbstverständlich ist und akzeptiert wird. Das hat große Auswirkung auf das Leben, Arbeiten und Pendeln in Stadt und Land. Das Erleben von Kunst im digitalen Raum hat für mich wenig Bedeutung. Für eine gelungene Gänsehaut brauche ich noch immer eine unmittelbare Konfrontation. Wissensvermittlung jedoch, Bildbesprechungen wie sie das Belvedere anbietet, finde ich sehr gut.
Kunstschaffende aus ganz Tirol sind eingeladen, sich an den Tiroler Tagen der Offenen Ateliers zu beteiligen, die am 26. und 27. Juni 2021 stattfinden werden. Interessierte Künstlerinnen und Künstler können sich bis 31. März bei Helga Madera unter der E-Mail-Adresse kulturvernetzung.tirol@gmail.com anmelden. Die Teilnahmegebühr beträgt 35 Euro.
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