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Konrad Paul Liessmann räumt ein, nur wenig zu wissen. Wenig ist immerhin mehr als Sokrates wusste. Foto: Expa/JFK

Konrad Paul Liessmann räumt ein, nur wenig zu wissen. Wenig ist immerhin mehr als Sokrates wusste. Foto: Expa/JFK

Wo ist die Hölle? Und zeigt Corona, wie wir wirklich sind?

Die erste Frage ist leicht! Die zweite kann wohl nur der Fernseh-Philosoph beantworten.

Vorigen Sonntag habe ich meinen Leserinnen und Lesern ein Rätsel gestellt, dass ich heute aufzulösen vorhatte. Allerdings ist mir dolomitenstadt.at schon zuvorgekommen, mit einer Meldung, dass das Rätsel keines mehr sei. Wie Lucky Luke: schneller als der eigene Schatten. Dabei hatte ich immer den Eindruck, dass sich dolomitenstadt.at in meinem Schatten sehr wohlfühlt. „Wenn Matrei die Vorhölle ist“, so hätte das Rätsel gelautet, „wo, bitteschön, ist dann die Hölle?“ Seit Freitag kennt man die Antwort: In Matrei. Matrei am Brenner. In Matrei am Brenner wurden die Teufel, die sich gegen Gottes Regeln auflehnten, von St. Michael hinab in den Orkus gestoßen. St. Michael arbeitet, wie man in der Heiligen Offenbarung nachlesen kann, eng mit der Exekutive zusammen.

Sie könne das Wort „Corona“ schon nicht mehr hören, hat mir eine sehr liebe Freundin im Februar gestanden, genauer gesagt, am 26. Februar 2020. Am Tag zuvor hatte man im Hotel Europa in Innsbruck unter großem Aufsehen die ersten Fälle in Österreich entdeckt. Das Hotel ist in der Zwischenzeit insolvent, sein Prunksaal verwüstet, noch bevor man ihn unter Denkmalschutz stellen konnte, und auch sonst hat sich seit damals so mancher Abgrund geöffnet. Zeit für eine erste Bilanz! Allerdings kam mir auch hier schon ein Medium zuvor.

Das „Philosophische Forum“, moderiert von Barbara Stöckl, warf die Frage: „Zeigt Corona, wie wir wirklich sind?“ schon vor mehr als einer Woche in den akademischen Halbkreis. Eine Politikwissenschaftlerin, eine Soziologin, eine Rechtsphilosophin, ein Historiker und ein Verhaltensforscher saßen da beieinander. Wobei „beieinander“ allenfalls metaphorisch zu verstehen war, denn die Abstände waren so groß, dass ein Konsens unter den Diskutanten telefonisch leichter hätte erzielt werden können als durch das direkte Gespräch. Mit der Zusammensetzung der Teilnehmer sollte wohl a priori eine Auseinandersetzung beabsichtigt sein. Mitten drin aber saß einer, der die Intervalle sowohl in die eine wie in die andere Richtung provokant zu verringern versuchte: Konrad Paul Liessmann, der das ganze abgelaufene Jahr bequem in einen Flachbildschirm gepasst hatte, saß da, analog, dreidimensional und nahm mächtig Raum ein. Und er räumte ein, nur wenig zu wissen.

Wenig ist immerhin mehr als Sokrates wusste, aber für einen, der vor dem Ausbruch der Pandemie jede Frage, die nicht in das Fachgebiet Peter Filzmaiers fiel, zu beantworten wusste, ist das wiederum gar nichts. Vergangenes Frühjahr hatte sich Liessmann in einer Videokonferenz zur Zukunft des nationalen Kulturbetriebes aus der Realität mit folgenden Worten vertschüsst: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben.“ Obwohl er den Rest unterschlug, hat sich – zumindest, was seine Person anlangt – das Orakel restlos erfüllt: „Wird für keinen Dienst mehr taugen, und doch wird er vor dem Tode beben.“ Bis zur Sendung am 16. März hätte man ihm jedenfalls keinerlei Perspektive mehr zugetraut.

Jetzt aber plauderte er aus der Schule, sein Steckenpferd übrigens, und versuchte sogar, sich mit Kurt Kotrschal, dem Verhaltensbiologen, zu arrangieren. Den hatte man ursprünglich wohl eingeladen, um von ihm etwas über die Übertragung vom Tier auf den Menschen in Erfahrung zu bringen. Vor einem Jahr war man ja vorübergehend der Meinung, dass das Virus durch transsilvanische Pflegerinnen eingeschleppt werden könnte. Dabei werden in Transsilvanien Menschen von Fledermäusen und nicht Fledermäuse von Menschen gebissen. Aber wie ist das nun mit dem Wolf, der ja auch aus dieser Gegend zugewandert sein soll? Jedoch hatte Kotrschal offenbar wenig Lust, sich zum Thema zu äußern und womöglich erneut einen Disput mit der Iseltaler Lawinenhundeführerfraktion zu riskieren. Zur Übertragung vom Tier auf den Menschen braucht es im Iseltal keinen Wolf. Ein Hirsch tut es auch!

Es sage auch kein Wolf, er sei Teil der Natur, und der Mensch sei das einzige Tier, welches weiß, dass es ein Tier ist, hielt ihm Liessmann entgegen. Was hatte den ängstlichen Herrn Professor emeritus so geläutert, was aus dem Fegefeuer befreit? Woher kam seine stoische Ruhe, woher diese plötzliche Transformation? Moment einmal, dämmerte es mir: Seneca war ja ebenfalls Stoiker, da genügt eine Transfusion. Natürlich, in Wien wurde Flachbildschirm hin, Ruhestand her, das Hochschulpersonal durchgeimpft. Beim ersten Mal von der Regierung, beim zweiten Mal dann vom Arzt.


Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und Autor. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr hielt uns sein Corona-Tagebuch bei Laune, doch mittlerweile kritzelt Rudi seine Notizen einfach an den Rand der Ereignisse, also dorthin, wo die offizielle Berichterstattung ein Ende hat. Wir präsentieren in unregelmäßigen Abständen „Rudis Randnotiz“.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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