„Junge Erwachsene sind in der Krise nicht verloren“
Humangeographin Tabea Bork-Hüffer spricht über den Umgang junger Menschen mit der Pandemie.
Tabea Bork-Hüffer ist Humangeographin an der Universität Innsbruck und unter anderem Leiterin der Forschungsgruppe Transient Spaces and Societies. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie forscht sie daran, welche Strategien junge Erwachsene anwenden, um mit der Krise umzugehen. Besonderen Fokus legt sie dabei auf junge Menschen in der Ausbildungs- und Qualifizierungsphase. Wir haben uns ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie unterhalten.
Im April letzten Jahres wehrten Sie sich – gemeinsam mit einer Kollegin – in einem Artikel gegen den Begriff „lost generation“, um die junge Generation zu bezeichnen, da diese auf vielerlei Weisen vorbereitet sei, um mit einer Krise umzugehen. Nun ein Jahr später, welche Wege hat diese Generation gefunden, um die Herausforderungen der Corona-Krise zu überwinden?
Ja, auch fast ein Jahr später wehren sich meine Kollegin Katja Kaufmann und ich weiter klar gegen die Etikettierung der jungen Generation als „verloren“. Junge Menschen sind ein aktiver, engagierter, interessierter, visionärer, innovativer und im Schnitt anpassungsfähiger Teil unserer Gesellschaft – das ist auch in der Corona-Krise nicht anders. Die allermeisten SchülerInnen, Auszubildenden und Studierenden verfolgen ihre Qualifikationen weiter, finden ihren Weg auf den Arbeitsmarkt, machen Praktika, Weiterbildungen und engagieren sich zivilgesellschaftlich. Das heißt keinesfalls, dass die Krise den jungen Menschen leichtfällt. Im Gegenteil, sie empfinden die Pandemie als besonders belastend. Statistiken zeigen, dass jüngere Menschen häufig noch stärker durch die in der Pandemie gestiegene Arbeitslosigkeit betroffen sind als ältere. Hier besteht dringender Handlungsbedarf und die Nutzung weiterer Unterstützungs- und Überbrückungsmöglichkeiten des Staates, besonders auch für junge Erwachsene.
Trotzdem zeigen unsere Untersuchungen mit jungen Erwachsenen in der Ausbildungs- und Qualifizierungsphase in Tirol, dass die große Mehrheit vielfältige Wege gefunden hat, um mit der Krise umzugehen, um sie durchzustehen. Den meisten ist die Umstellung verschiedener Aktivitäten auf das Digitale, wie beim Lernen, Arbeiten, Kontakte halten und Hobbies verfolgen, leichtgefallen, auch wenn die meisten von ihnen Präsenz deutlich bevorzugen. Die heutigen jungen Menschen sind in der Lage, viele dieser Aktivitäten mit den digitalen Möglichkeiten verändert weiterzuführen. Noch vor 30 Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Da hätten junge Menschen mit erheblich mehr Einbußen umgehen müssen – aber auch dann wäre es nicht angemessen gewesen, von einer „verlorenen“ Generation zu sprechen.
Zeichnet sich bereits ab, ob und auf welche Weise die jungen ÖsterreicherInnen auch gestärkt aus der Krise hervorgehen werden? Beispielsweise durch neu erworbene Fähigkeiten oder gesammelte Erfahrungen.
In jedem Fall konnten viele junge Erwachsene in der Ausbildungs- und Qualifizierungsphase ihre digitalen Fertigkeiten und Fähigkeiten deutlich ausweiten, die ohnehin dringend für die digitale Transformation benötigt werden. In unserer Studie haben viele TeilnehmerInnen berichtet, dass sie das Kennenlernen nützlicher Lern-, Arbeits-, und Kommunikationssoftware als wertvolle Erfahrungen für die Zukunft werten. Dieser Prozess verlief für viele im letzten Jahr aber leider nicht reibungslos, da aufgrund der bisher viel zu langsamen Digitalisierung im Bildungs- und Arbeitsbereich, Lehrende und Institutionen oftmals überfordert waren. Manche jungen Menschen hatten auch nicht die finanziellen Möglichkeiten, um auf eine ausreichende Technik zurückzugreifen. Im weiteren Verlauf der Pandemie aber auch danach, ist es daher zwingend nötig, dass kontinuierlich und schnellstens an der weiteren Digitalisierung von Prozessen, Lehre und der Verfügbarmachung adäquater Hard- und Software gearbeitet wird. Bedürftige Familien und junge Menschen müssen einen leichten Zugang zu finanzieller und technischer Unterstützung erhalten. Digitale Techniken müssen zukünftig unbedingt im Zentrum von Fortbildungen stehen.
Junge Menschen haben gelernt mit einer anhaltenden Krisensituation und Einschränkungen umzugehen, was sie für zukünftige Herausforderungen stärkt. Sie waren stark auf sich selber gestellt. Ein hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstverantwortung war gefordert. Die meisten TeilnehmerInnen unserer Studie haben das gut gemeistert. Für manche hat es bedeutet, eigene Grenzen besser kennen und damit umgehen zu lernen. Auch die im Home-Office gesammelten Erfahrungen werden nach der Pandemie für einige bedeutsam bleiben.
Obwohl die junge Generation gelernt hat (oder lernen musste) mit der Krise und den neuen Umständen umzugehen, was sind, aus Ihrer Sicht, die augenscheinlichsten Auswirkungen der Krise auf junge ÖsterreicherInnen in der Ausbildungs- und Qualifizierungsphase?
Man sollte hier auch nicht beschönigen: Auch wenn die aktuelle Generation junger Menschen im Vergleich zu früher beispielslose Möglichkeiten hat, das Lernen und Arbeiten fortzuführen, so können nicht alle Fähigkeiten und Fertigkeiten durch das Digitale ausreichend kompensiert werden. Idealerweise müssten sich Bildungsinstitutionen darauf einstellen, nach der Aufhebung von Kontaktbeschränkungen jene speziellen Fähigkeiten, die nur in Präsenz erlernt werden können, in Intensivkursen aufzuholen.
Gerade jungen Menschen ist die Bedeutung des Miteinanders, des Aufeinander Achtens und grundlegender Werte der Gesellschaft wieder gewahr geworden. In dieser Zeit konnten junge Menschen weniger Freundschaften pflegen. Aber diese wenigen Kontakte sind umso mehr gestärkt worden. Eltern-Kind- und Großeltern-Enkelkinder-Beziehungen haben oftmals eine neue Wertschätzung erfahren, auch wenn man sich nicht oft sehen konnte. Nicht auf alle trifft das zu. Von der Zunahme familiärer Gewalt und Konflikte während der Pandemie ist vielfältig berichtet worden. Gerade Kinder, Jugendliche und auch Eltern brauchen dringend Unterstützung. Auf der anderen Seite erhält das Zusammenwachsen und sich Aufeinander besinnen als positiver Effekt der Pandemie jedoch in der öffentlichen Meinung viel zu wenig Beachtung.
Welche Unterstützung brauchen junge Erwachsene und wer kann ihnen diese Unterstützung bieten?
Dringende und besondere Unterstützung benötigen junge Erwachsene, die bereits vor der Pandemie unter psychischen Beschwerden und Belastungen gelitten haben. Aktuelle Untersuchungen meiner Kolleginnen Barbara Juen, Hildegard Walter und Elisabeth Weiss vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck zeigen, dass die Belastungen dieser Gruppen zugenommen haben. Ansonsten fehlt den meisten jungen Erwachsenen momentan vor allem eins: soziale Kontakte, die zentral für ihr Wohlbefinden sind. Nicht unerheblich ist hier, dass viele junge Erwachsene alleine leben und – ebenso wie oft die ältere Generation – gerade während der Lockdowns stärker unter der Kontaktsperre gelitten haben.
Nach den Ergebnissen unserer Studien sind die meisten jungen Erwachsenen nicht passiv. Sie möchten aktiv sein und mitgestalten. Im letzten Jahr haben sie verschiedenste Funktionen übernommen, ob als Assistenz an Bildungsinstitutionen oder an Teststationen. Damit haben sie uns Alle unterstützt. So können wir besser mit der Pandemie umgehen und sie schließlich überwinden. Begleitet wird diese Zeit für viele junge Erwachsene in der Ausbildungs- und Qualifizierungsphase von teilweise großen Sorgen und Zukunftsängsten. Wir müssen diese Sorgen ernst nehmen und sie nicht nur anhören, sondern Lösungen gemeinsam mit den jungen Menschen angehen. Dafür ist es ganz entscheidend, Interessensvertretungen junger Erwachsener und ebenso von Kindern und Jugendlichen intensiv in die aktuellen Maßnahmenplanungen und in die Zukunftsgestaltung einzubeziehen.
Neben jungen Erwachsenen muss hier unser besonderes Augenmerk auch den Kindern und Jugendlichen gelten, die in Familien aufwachsen, die ihnen nicht die benötigte, soziale, finanzielle und psychische Unterstützung bieten können. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind und die für diese Gruppen auch vor der Pandemie zentrale Ansprechpartner waren, müssen dringend ihre Arbeit weiterführen und sollten größtmögliche staatliche finanzielle und organisatorische Unterstützung dafür erhalten.
Was wäre ein Worst-Case-Szenario für junge Erwachsene in der nächsten Zeit bis zum Ende der Krise?
Auf Basis der Stimmen jener jungen Menschen, die an unserer Studie teilgenommen haben, würde ich sagen, dass ein Worst-Case-Szenario für junge Menschen (und die weitere Gesellschaft) wäre, dass die Impfangst anhält und sich ein bedeutender Teil der Gesellschaft nicht impfen lässt. Dann müssten die vorbeugenden Maßnahmen und Einschränkungen über einen viel längeren Zeitraum aufrechterhalten werden. Junge Menschen leiden besonders stark unter den Einschränkungen, zeigen jedoch im Schnitt der Gesellschaft eine höhere Impfbereitschaft – dies wohlbemerkt vor allem für andere Menschen, da sie selber einem erheblich geringeren Risiko einer schweren Erkrankung ausgesetzt sind.
Und ein Best-Case-Szenario?
Das Best-Case-Szenario für junge Menschen wäre, dass wir bei der Entwicklung von Strategien im Umgang mit den aktuellen Einschränkungen nachhaltige Ansätze im Umgang mit unseren größten Herausforderungen einbeziehen: dem Klimawandel, dem Lebensraumverlust und der digitalen Transformation. Junge Menschen sind diejenigen, die am meisten von den Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, profitieren oder darunter leiden werden. Im letzten Jahr haben wir alle gelernt, dass wir mit erheblichen Veränderungen und Einschränkungen unseres Lebensstils, wie weniger Autofahrten und Flugreisen sowie dem Angebot regionaler Produkte vom Supermarkt um die Ecke, gut umgehen können und anpassungsfähig sind. Es sind die jungen Menschen, die uns bereits vor der Pandemie darauf hingewiesen haben, dass diese Verhaltensänderungen dringend nötig sind und die sie vorgelebt haben.
In der Pandemie werden junge Menschen auch als Gefahr oder Problem dargestellt. Ihre unterstützende Leistung in der Gesellschaft kommt viel zu wenig zur Sprache. Junge Menschen müssen mehr als Mitte unserer Gesellschaft wahrgenommen und gefördert werden. Sie sind nicht „verloren“; sie sind vielmehr unsere Zukunft: Viele junge Menschen wollen diese aktiv, gemeinsam und engagiert mitgestalten. Das müssen wir nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern. Das wird auch allen anderen Menschen helfen.
Ein Posting
Ein hoffnungsspendender Artikel. Schön, dass all die negativen, schwarzsehenden, von einer "Lost generation" sprechenden Menschen anscheinend nicht recht behalten werden.
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