Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren, wuchs Oswald in einer kargen Zeit auf. Aber es gab immer zu essen, er hatte sein festes Gewand und ein gutes Dach über dem Kopf. Als er noch ein Knabe war, verkroch er sich unter dem Oberbett in der eisigen Dachkammer der Landschule, deren Direktor sein Vater war und dankte Gott allenthalben für dieses herrlich warme Oberbett.
In naiver Demut absolvierte er so seine ersten vier Volksschuljahre in der Kaiser-Franz-Josefs-Kaserne, aus der man nach dem Krieg wie aus dem Hut kurzerhand eine Bildungsstätte gezaubert hatte. Es folgten für alle Beteiligten vier mühevolle Jahre an der Hauptschule beim Franziskanerkloster in Lienz.
Danach reichte es seinem Vater: Er schickte Oswald mit dem Triebwagen und einem vollen Koffer mit der Wäschenummer drei nach Innsbruck in ein katholisches Internat in der Anichstraße. Oswald studierte sich bis hinauf zum Volksschullehrer, als der er schließlich im windigen Matrei in den Hohen Tauern seinen Dienst antrat. Dort gab es mitunter ein erstes lustvolles Erwachen in der Realität eines freiheitsliebenden Volkes.
Oswald wähnte sich jedoch als braver Mann. Er hatte sich im Laufe seines halben Lehrerlebens seine Familie, seinen Beruf, seine Eigenheiten, wie sie jeder Mensch so an sich hat, aufgebaut. Außerdem hatte er eine eigene Meinung, auf die man allenthalben sogar zurückgriff. Er hatte seine Grundsätze, seine Fehler, seine Schwächen, und er hatte seinen Erfolg. An irdischen Gütern nannte er zwei altehrwürdige Häuser in der Kleinstadt sein Eigentum, wenngleich er sich beim Kauf derselben ziemlich übernommen hatte. Aber er war ein geduldiger Mann, der warten konnte.
Und Oswald wartete. Mit Gleichmut ging er seinem Beruf nach, überanstrengte sich nicht gerade jeden Tag, legte sich weder mit jemandem an noch auf die faule Haut. Seiner Familie, die vier Kinder zählte, meinte er ein guter Vater zu sein. Seiner Frau ein mittelmäßig liebevoller Ehegatte. Im inzwischen erreichten Mittelalter gedachte er keine großen Sprünge mehr zu machen, denn Vieles hatte er hinter sich gebracht: Knecht beim Blasen-Bauer in Huben, Briefträger-Ferialvertreter im Bereich Stadt acht und Stadt neun, Zahlkellner und Hotelchauffeur im Hotel Krone in Sistrans, Taxifahrer in Innsbruck, Imst und am Arlberg, Tanzmusiker und Barpianist, Heereskraftfahr-Unteroffizier, Klavier- und Akkordeon-Lehrer, Reiseleiter etc. Wie man hört, kocht er sehr gern. Er wird doch nicht auf seine alten Tage noch die Kochlehre absolvieren?
Als Direktor der Michael-Gamper-Schule ging er schließlich in Pension und wenn er nicht gestorben ist, schreibt er sich noch heute so einiges von der Seele.
Die Lesereihe „Tiefe Gefühle“ wird vom Literaturkreis der Stadtbücherei Lienz realisiert, dessen Mitglieder die Texte ausgewählt und selbst eingelesen haben. Ursprünglich waren adventliche Lesungen in der Bücherei geplant, die aber der Pandemie zum Opfer fielen.
Herr, reich uns einen Strohhalm für den Winter!
Audio: Oswald Blassnig liest aus eigenen Texten und beschreibt sein Leben.
2 Postings
Ossi, ich staune einmal mehr über dein großartig literarisches Geschick und kann mich r.ingruber nur anschließen.
Bravo Ossi
(Sollten Literaturpreise sein, für alle Fälle!) Danke, Ossi!
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