Schon ein erster Blick auf die große Schauwand des RLB-Ateliers genügt, um zu erkennen, dass wir es in der Ausstellung „Nachbilder“ von Ilona Rainer-Pranter mit einer Malerin zu tun haben, die an eine spätestens in den 1950er Jahren initiierte Tradition anschließt und dabei nicht einmal versucht, so zu tun, als wäre ihr das nicht bewusst. Was aus diesem Blickwinkel überrascht, ist nicht so sehr die Bildsprache, als die Entscheidung einer noch jungen Kunstschaffenden, das heute fast unüberschaubare Angebot neuer Medien beiseite zu schieben, um sich dem altbewährten Handwerkszeug Bleistift, Pinsel und Farbe anzuvertrauen. Rainer-Pranter weiß auch, dass sie mit diesen Ausdrucksmitteln nicht nur zur eigenen Identität, sondern zunächst einmal zur Malerei selbst Stellung beziehen muss.
So, als hätte sie die Frage nach ihren Anknüpfungspunkten schon dutzende Male beantworten müssen, verweist sie bereitwillig auf die kanadisch-amerikanische Minimalistin Agnes Martin und den einstigen „Neuen Wilden“ Erwin Bohatsch aus Österreich, zwischen denen sie die eigene Bildgrammatik verortet: einerseits die Erkenntnis, dass eine Leinwand oder ein Blatt Papier nicht bloße Formgelegenheit, die im Ergebnis des Malaktes nicht mehr aufscheint, sondern ein durch die Bildgrenzen definiertes Spannungsfeld ist, das auch durch sparsamste Interventionen in Schwingung versetzt und zum Klingen gebracht werden kann; zum anderen eine Handreichung, wie durch subtile Modulationen von Farbe und Form malerische Äquivalente für Empfindungen zu gestalten sind.
Nicht von ungefähr gebrauchen wir für akustische und visuelle Phänomene dieselben Metaphern des „Tons“ und der „Stimmung“. Rainer-Pranter bevorzugt die leisen Töne, die sie oft zwischen dem Gegensatzpaar im Farbenspektrum, Gelb und Violett, komponiert. Andere Komplementärkontraste sind durch Pastellfarben gemildert und in mehreren Lasuren übereinandergelegt, in denen das freie Fließen der Farbe seine zufälligen Spuren ebenso hinterlässt wie die entscheidenden Definitionen der Form. Sind damit die Strukturelemente einer individuellen Sprechweise umrissen, stellt sich nun aber die Frage nach deren Vokabular, und ob dieses sich in den Gemälden zu spezifischen Aussagen fügt. Aussagen über die Künstlerin und wie sie die Welt, ihre Welt, sieht?
Eine große Zeichnung, eigens für die Ausstellung mit Buntstiften über die Geometrie zweier Wände des RLB-Ateliers ausgebreitet, blendet einfache Silhouetten übereinander: eine Wolke, einen Baum, zwei menschliche Gestalten und eine scharfkantig umrissene Form im rechten oberen Bildeck, deren Bedeutung sich durch ein in unmittelbarer Nachbarschaft aufgehängtes Objekt mühelos erschließt. In der Art eines Holzpuzzles für Kleinkinder sind dort die Silhouetten aus der ordnenden Folie einer blumengeschmückten Bergwiese gesägt, über deren scharfer, steil ansteigender Kontur, dort wo sich Himmel und Erde begegnen, ein Bauernhaus aufragt: Motive, die in vielfältiger Abwandlung auch in den Ölbildern wiederkehren, weniger offensichtlich allerdings und meist nur zart angedeutet.
Ilona Rainer-Pranter ist auf einem Bauernhof am Sillianberg aufgewachsen. 2002 – 2006 besuchte sie in Innsbruck die Fachschule für angewandte Malerei und machte 2016 ihr Diplom für Bildende Kunst, Malerei und Grafik an der Kunstuniversität Linz. Seither lebt und arbeitet sie in Wien. Aus der Perspektive der Großstadt, die sich in den letzten Jahrzehnten wieder zur Kunstmetropole entwickelt hat, blickt sie zurück auf die heimatliche Umgebung, ihre Natur, ihre Menschen und auf das Scharnier zwischen beiden – deren schlichte, funktionale Architektur. Die Verwandtschaft mit der Einschätzung des Bauens durch Raimund Abraham, der – möglicherweise – aus Respekt vor der Landschaft, die seiner Ansicht nach durch die Architektur verdrängt und entweiht wird, so wenig gebaut hat, ist dabei unübersehbar: Sogar die Stiege, eines der konstitutiven Elemente in Abrahams Denken, wird in einem der Bilder zitiert.
Trotz der kritischen Distanz der Künstlerin aber macht Rainer-Pranter aus der emotionalen Bindung an den Ort ihrer Kindheit kein Geheimnis: „Ich habe eine Sehnsucht nach der landschaftlichen Umgebung rund um das Haus meiner Eltern und nach dem Haus selbst, wie die alten Häuser und Weiler aus der Welt kommen oder in sie hineingebettet sind.“
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