Verbraucherschützer starten Prozesse in der Causa Ischgl
Passierten schwere Fehler beim Pandemie-Management in den Skigebieten?
Mit vier Amtshaftungsklagen gegen Österreich startet der Verbraucherschutzverein (VSV) die Aufarbeitung tausender Infektionen mit SARS-CoV-2 in TiroIer Skiorten und besonders im Hot-Spot Ischgl, zu denen es wegen Behördenversagen gekommen sei. 2021 sollen erste Sammelklagen mit bis zu 6.000 potenziellen Klägern folgen, kündigte VSV-Obmann Peter Kolba am Mittwoch in Wien an. Von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forderte Kolba eine außergerichtliche Lösung.
Denn bis zu einem Urteil aufgrund der Sammelklage könnten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen, daher solle Kurz einen Runden Tisch mit den zuständigen Ministern, der Tiroler Landesregierung und den Gemeinden einberufen. Man erwarte sowohl eine Entschuldigung wie auch Schadenersatz. Von 6.000 Personen, die sich beim VSV gemeldet hätten, seien 80 Prozent positiv auf das Coronavirus getestet worden, hieß es. Zwei Prozent mussten wegen Covid-19 ins Krankenhaus, 1,2 Prozent kamen auf eine Intensivstation. 32 Personen sind laut Kolba mit Covid-19 verstorben, davon 22 in Deutschland.
Der VSV unterstellt den lokalen Behörden in Tirol und den verantwortlichen Politikern auf Bundesebene über Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bis hin zum Bundeskanzler schwere Fehler beim Pandemie-Management in den Skigebieten in den Monaten Februar und März 2020. Kurz habe das "Abreisemanagement" am 13. März ins Chaos gestürzt, indem er die Maßnahmen einer Verordnung vor Inkrafttreten bei einer Pressekonferenz verlautbart habe, warf Kolba dem Kanzler vor.
Die Causa Ischgl fand infolge auch internationale Beachtung und rief vor einem halben Jahr den Verbraucherschützer Kolba erstmals auf den Plan, indem er am 24. März eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck einbrachte. Die Sperren von Hotels und Pisten seien hinausgezögert worden, lautete der Vorwurf.
Hunderte Tirol-Urlauber meldeten sich nach dieser Anzeige beim VSV, inzwischen zählt die Organisation die genannten 6.000 Betroffenen aus 45 Staaten, von über 1.000 habe man eine Vollmacht. Und man sei auf der Suche nach einem Prozessfinanzierer, erläuterte der VSV-Obmann. Sollte man fündig werden, "werden wir die gesamten 6.000 informieren. Das ist die ansprechbare Gruppe", gab sich Kolba kämpferisch.
Warum jetzt vier Musterklagen in Wien und nicht in Tirol eingebracht worden sind? "Ich habe kein Vertrauen, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck effizient und ernstlich daran arbeitet, die Verantwortlichen für die schweren Fehler bei der Bekämpfung der Pandemie ausfindig zu machen und anzuklagen," stellte Kolba im Rahmen der Pressekonferenz fest.
Die Finanzprokuratur als Rechtsvertreter des Bundes habe das "Angebot für Gespräche ignoriert", daher habe man deren Stellungnahme nicht abgewartet, sondern die Klagen gleich bei Gericht eingebracht, erläuterte der VSV. Laut Rechtsanwalt Alexander Klauser geht es in den vier Klagen um eine Summe von rund 287.000 Euro: In einem Fall verlangen die Hinterbliebenen eines österreichischen Journalisten 100.000 Euro Schadenersatz. Der Mann dürfte sich nach einem Ski-Ausflug nach Ischgl - ohne Besuch von Apres-Ski-Bars - bei der chaotischen Abreise im Bus infiziert haben. Er starb nach mehreren Wochen auf der Intensivstation. Ebenfalls 100.000 Euro Schadenersatz verlangt ein deutscher Ski-Tourist, der nach dem Aufenthalt in Ischgl lange Zeit mit Lungenentzündung auf der Intensivstation lag und mit Folgeschäden rechnen muss.
Rund 12.000 Euro begehrt ein Handelsvertreter für Ski-Mode, der am 12. März nur seine Geschäftspartner im Paznauntal aufgesucht hat, in keiner Gondel war, keine Apres-Ski-Bar betreten hat und ohne zu übernachten wieder heim nach Deutschland gefahren ist. Dessen ungeachtet erkrankte er in weiterer Folge schwer an Covid-19. Die vierte Klage betrifft ebenfalls einen deutschen Staatsbürger, der schwer erkrankt war. Er macht 45.000 Euro Schmerzengeld sowie ein Feststellungsbegehren geltend. "Der Betroffene war in Lebensgefahr und bis Mai in einer Reha", referierte Anwalt Alexander Klauser. Dafür verlangt der Mann eine zusätzliche Kostenabgeltung in Höhe von 30.000 Euro. Man rechnet im kommenden Frühjahr mit ersten mündlichen Verhandlungen, ein Urteil erster Instanz könnte in ein bis zwei Jahren erfolgen.
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