Die Septemberausgabe der Straßenzeitung 20er ist da! In Osttirol kann man diese bemerkenswerte Publikation im Weltladen in Lienz um 2,80 Euro kaufen, manchmal auch am Eingang von Supermarktfilialen. Das Vertriebsteam des 20er sucht im Bezirk noch nach Menschen in sozial schwieriger Situation, die sich mit dem Verkauf der Straßenzeitung etwas dazuverdienen möchten. Die Hälfte des Verkaufspreises bleibt in der Tasche des Verkäufers bzw. der Verkäuferin.
Inhaltlich liefert das Team rund um Chefredakteurin Rebecca Sandbichler neuerlich den Beweis, dass sich der 20er vom Nischenmedium zu einem Aushängeschild der Tiroler Medienszene entwickelt, einerseits durch einen frischen und kritischen Zugang zu politisch relevanten Themen, andererseits durch einen konsequenten Fokus auf eine unangepasste Gegenwartskultur, die in den Mainstream-Medien oft nur noch als Fußnote Erwähnung findet.
Das Dossier der aktuellen Ausgabe ist dem „Leerstand“ gewidmet, einem Zustand, über den man auch in Osttirol trefflich diskutieren könnte, wenngleich im Gegensatz zum Ballungsraum Innsbruck hier noch recht paradiesische Zustände herrschen. Dort stehen nämlich 3.000 Wohnungen leer!
„Wem gebührt die Ehre“ übertitelt Sabine Wallinger ihren Essay über Straßen, die heute noch nach glühenden Nazis benannt sind. Gibt es in Lienz nicht? Doch! Wer sich den 20er kauft, erfährt einiges über einen Mediziner namens Burghard Breitner und wird sich nach einem Blick auf den Stadtplan von Lienz hoffentlich wundern.
Noch eine Parallele zwischen der Landes- und der Bezirksstadt gefällig? Auch in Innsbruck werden Millionen in eine Platzgestaltung investiert. Um 4,5 Millionen soll der dortige Bozner Platz umgestaltet werden.
Der gleichnamige Platz in Lienz wird 2021 quasi als Vorraum des Hauptplatzes und gemeinsam mit diesem ebenfalls erneuert. In Summe investiert die Stadt in die Neugestaltung der beiden zentralen Plätze mehr als drei Millionen Euro. Unterschied zu Innsbruck? Dort gibt es einen Architektenwettbewerb und eine öffentliche Expertendiskussion. In Lienz wird die Gestaltung hinter verschlossenen Türen vorwiegend von Lokalpolitikern, Stadtbediensteten und Cafetiers ausgetüftelt. Gerade deshalb ist der 20er Artikel von Ivona Jelcic auch für LienzerInnen lesenswert. Titel: „Heißes Pflaster“.
Und dann legt uns der 20er noch einen journalistischen Elfmeter auf: Im Beitrag „Risse im Tal“ geht es um Osttirols aktuellen Erzfeind Nr. 1, den Wolf. Diese Story dürfen wir demnächst wörtlich in voller Länge übernehmen. Schließlich wird auch bei uns journalistisch scharf geschossen.
Seit 1998 wird der 20er auf Tirols Straßen verkauft und vom „Verein zur Förderung einer Straßenzeitung in Tirol“ herausgegeben. Der 20er ist ein Projekt, das auf Gegenseitigkeit beruht: Menschen, die sich in sozialen Notlagen befinden, verkaufen die Zeitung und erhalten für jedes verkaufte Exemplar die Hälfte des Verkaufspreises. Der 20er erhält keine Subventionen, sondern finanziert sich aus dem Verkauf der Zeitung, Spenden und Inseraten.
Leere Häuser, alte Nazis und wilde Wölfe
Der 20er bringt im September wieder starke Stories. Einige passen auch nach Osttirol.
4 Postings
Vielleicht sollte man das Benennen von Straßen nach irgendwelchen Personen generell unterlassen. Schließlich könnte man bei fast jedem irgendein "Vergehen" finden oder konstruieren. Ganz einfach, nach amerikanischem Muster, wie 5.Straße West, das verhindert alle zukünftigen Diskussionen.
burghard breitner: lt. wikipedia international angesehener chirurg, studium sub auspiciis imperatoris absolviert. unzählige wissenschaftliche arbeiten verfasst.
"Will und kann man Burghard Breitner nach wie vor auf diese Art gedenken? Dem prominenten Mediziner, der als Klinikvorstand von 1932 bis 1955 zu den an der Innsbrucker Universitätsklinik für Chirurgie zwischen 1940 und 1945 durchgeführten Zwangssterilisationen offiziell „ermächtigt“ und damit für diese verantwortlich war?"
burghard breitner hat als klinikvorstand nach dem gesetz zur verhütung erbkranken nachwuchses (GzVeN) wahrscheinlich auch an diesen eingriffen teilgenommen. wahrscheinlich!
allerdings:
"Bevor ein Erbgesundheitsgericht über eine Zwangssterilisierung entschied, wurden Intelligenzprüfungen, medizinische Untersuchungen, Erkundigungen bei Arbeitgeber*innen, Orts- und Sicherheitsbehörden, Gesundheitseinrichtungen und Schulen angestellt"
die maschinerie der nazis hat also in allen ecken zugeschlagen. wer dem regime nicht folgsam war und sich sogar entgegenstellte, dem wurde der todesschein ausgestellt.
ob nun der chirurg burghard breitner die "ermächtigung" freiwillig oder unter zwang befolgte, ist immer noch offen und sollte bis zum heurigen frühjahr als entscheidungsvorgabe für die beibehaltung oder entfernung der straßenbenennung geklärt werden.
ina friedmann hat sich als wissenschaftliche mitarbeiterin am institut für zeitgeschichte mit diesem thema ausführlich auseinandergesetzt.
https://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/hidden-histories/ns-gesundheitspolitik.html
interessant!
da steht aber auch: "... Breitner war deutschnational orientiert. Mit einer niedrigen Mitgliedsnummer trat er 1932 der NSDAP bei..."
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