Nachdem wir über zwei Monate im Iran verbracht haben, wird es Zeit Neues zu erkunden. Wir reisen in das Land des Weihrauchs, das uns mit traditionellem Leben und wunderschöner Natur begrüßt. Es war noch nie so leicht einen Zeltplatz zu finden, fast alle verstehen Englisch, die Wasserversorgung ist ausgezeichnet und das Klima perfekt zum Überwintern. Auch wenn wir in eine komplett fremde Kultur eintauchen, kommt uns das Reisen im Oman tatsächlich zu einfach vor. Doch vorerst müssen wir durch die Vereinigten Arabischen Emirate.
Dubai stand nie auf unserer Wunschliste. Wieso sollten wir dort hin? Riesige Wolkenkratzer, moderne Megastädte, künstliche Inseln, Wüstenhitze, wenig Natur. Auch ob es sich kulturell auszahlt, wagten wir zu bezweifeln. Doch weil wir auf unserer Reise so viel wie möglich aus eigener Muskelkraft schaffen wollen und am Weg in den Oman sind, verschlägt es uns genau an jenen Ort, mitten hinein ins Emirat Sharjah, wo in der Früh die Fähre anlegt. Die Nacht am Schiff war weniger schaukelnd als erwartet, das Meer ruhig. Ungefähr zwölf Stunden dauert die Überfahrt. Jetzt sitzen wir in der Ankunftshalle in Sharjah und warten auf den Einreisestempel.
Für die Vereinigten Arabischen Emirate brauchen wir kein Visum. Auf den Plastiksesseln neben uns warten mehrere deutsche und österreichische Weltenbummler auf die Einreise. Auch sie wollen mit ihren Wohnmobilen und Lkw in den Oman. Er ist ein beliebtes Reiseziel bei allen, denen es im Winter zu Hause zu kalt ist. Nachdem das Offizielle erledigt ist, schieben wir unsere Räder aus dem Hafen und machen uns gleich auf, die Stadt zu verlassen. Uns trifft ein richtiger Kulturschock. Alles ist sauber, geordnet, westlich. Es kommt uns unwirklich vor, irgendwie künstlich. Ganz im Gegenteil zum Iran, wo vermeintliches Chaos herrscht, ein Chaos, das wir so lieb gewonnen haben. Sehr befremdlich wirkt nun diese moderne Welt auf uns. Einen Vorteil hat sie dennoch: Ich darf mich anziehen, wie ich will. Kein Kopftuch. T-Shirt und kurze Hose beim Radeln sind in Ordnung. Ein Gefühl der Freiheit.
Wir rollen so schnell wie möglich aus der Stadt raus. Vorbei an meterhohen Werbeplakaten, die den brandneuen "Rainroom" anpreisen: Man zahlt Eintritt um es regnen zu sehen. Ein wirkliches Spektakel auf der Wüstenhalbinsel. Nach etwa 30 Kilometern haben wir es an den Stadtrand geschafft und sind auf der Suche nach einem Schlafplatz. Die Hochhäuser sind Dünen gewichen, wir sind in der Wüste angekommen.
Das erste Zeltlager im Sand ist errichtet und die erste Kamelherde zieht an uns vorbei. Zelten ist hier eigentlich verboten, da gefährlich. Der Wüstensand ist durchzogen mit Spuren von Quads und Geländewägen, die über die Dünen rasen. Die Wüste ist ein riesiger Spielplatz für motorisierte Wohlstandsverwöhnte. Am nächsten Morgen erscheint ein riesiger Geländewagen. Der Fahrer lädt uns auf Tee aus seiner Thermoskanne ein. Auch dabei wird uns bewusst, dass wir in einer anderen Welt sind. Ab jetzt trinken wir Tee mit Milch, Zucker und Gewürzen. Aus Mangel an Alternativen, radeln wir zwei Tage auf Autobahnen durch die eintönige Landschaft.
Hatta ist der letzte Ort vor der Grenze. Mittlerweile hat sich die Umgebung von Wüste auf Berge geändert. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns im Oman erwartet. Wir kommen Mittags in Hatta an und nutzen die Gelegenheit, das Essen in einem "Coffeeshop" zu probieren. Diese kleinen Läden gibt es an fast jeder Ecke. Sie werden von Indern, Bangladeschern oder Pakistani betrieben. Es sind ausgezeichnete Anlaufstellen für preiswertes, leckeres, vegetarisches Essen. Meist gibt es die Wahl zwischen Dal, einem Linsengericht, oder Gemüsecurry mit Reis und Fladenbrot. Für alle Fleischesser gibt's Hühnchen.
An der omanischen Grenze läuft alles reibungslos. Das E-Visum am Handy genügt dem Beamten. Es dämmert bereits, als wir die ersten Kilometer im Sultanat Oman abstrampeln. Doch es ist noch hell genug, um die faszinierende Landschaft um uns herum wahrzunehmen. Unerwartet grün ist es hier. Später erfahren wir, dass es vor unserer Ankunft ungewöhnlich viel geregnet hat. Gleich in der ersten Nacht finden wir einen traumhaften Schlafplatz und sind voller Vorfreude auf die nächsten zwei Monate in diesem Land.
Zunächst geht es an die Küste nach Shinas. Ein französischer Backpacker läuft uns über den Weg. Da es gerade Mittag ist, suchen wir uns gemeinsam den nächstgelegenen indischen Coffeeshop und essen Dal mit Porota, eine Art Fladenbrot. Das Brot dient als Besteck, den Umgang damit müssen wir erst lernen. Amüsiert beobachten wir die Inder am Nebentisch, wie sie mit ihren klebrigen Fingern den Reis in ihre Münder schaufeln. Gerade in einem neuen Land angekommen, müssen wir uns erst mit den Gepflogenheiten vertraut machen.
Es ist Mittag und somit tote Hose. Von dreizehn bis sechzehn Uhr haben hier fast alle Läden geschlossen. Auch das ist neu für uns. Wir finden ein kleines Einkaufszentrum das durchgehend geöffnet hat und kaufen uns eine SIM-Karte. Im Unterschied zum Iran gibt es hier wieder große Supermärkte mit einem riesigen Warenangebot. Ratlos schlendere ich zwischen den Regalen umher und suche nach Zutaten für unser Abendessen. Ich bin überfordert. Wo sind die netten kleinen Geschäfte, in denen man nicht lange überlegen muss, was man kaufen soll, weil es eh nur eine begrenzte Auswahl gibt. In Shinas bleiben wir zwei Nächte in einem Park am Meer. Wir sind erschöpft von den letzen Tagen und müssen unsere Route planen. Zum ersten Mal reisen wir nicht durch ein Land hindurch, sondern sind nur zum Überwintern im Oman. Uns bleiben zwei Monate Zeit, um die schönsten Ecken des Sultanats zu erkunden.
Auch im Oman heißt die Währung Rial. Doch im Vergleich zu seinem iranischen Namensvetter ist der omanische Rial viel mehr wert, sogar mehr wert als der Euro. Wir können auch wieder ganz normal am Bankomaten Geld abheben und bekommen für 300 Euro nur drei Geldscheine und nicht einen ganzen Haufen. Nachdem wir ein Stück an der Küste entlang radeln, merken wir schnell, dass uns das auf Dauer zu langweilig wird. Die Küstenstraße ist gut ausgebaut und es herrscht überraschend wenig Verkehr. Es kann passieren, dass uns minutenlang kein Auto überholt. Doch zu sehen gibt es hier nichts. Also fahren wir bei Sohar, dem angeblichen Geburtsort von Sindbad dem Seefahrer, ins Landesinnere. Es wird hügeliger. Die Landschaft ist zwar immer noch nicht besonders aufregend, aber weitaus schöner, als die leere Küstengegend.
Es ist ungewohnt ruhig. Kein Auto hält an, keine Selfies werden gemacht, die Leute sind freundlich aber distanziert. Anfangs genießen wir das sehr. Eine willkommene Pause nach dem ständigen Trubel im Iran. Unbeschwertes Radeln auf guten, asphaltierten Straßen. Das Land ist weitläufig und karg, der Boden steinig, die Luft trocken. Am Straßenrand finden wir immer wieder Wassertanks mit gefiltertem Trinkwasser. Auch die Moscheen bleiben ein Anlaufpunkt für Wasser und Toiletten. Hier hat jedes Haus mindestens einen Wassertank auf dem Dach. Immer wieder fahren blaue Tankwägen voller Trinkwasser an uns vorbei. Sie beliefern alle Dörfer, die nicht an das Leitungssystem angeschlossen sind. Wasser ist eines der wertvollsten Güter in dieser trockenen Wüstengegend. Wirklich sparsam wird damit trotzdem nicht umgegangen. Die Häuser am Land stehen vereinzelt da, oft kilometerweit voneinander entfernt. Platz spielt keine Rolle, der Oman ist sehr dünn besiedelt.
Heute ist es bewölkt, es sieht nach Regen aus. So schön die Wadis, trockene Flussbetten, auch sind, bei Regen werden sie zu einer unvorhersehbaren Gefahr. Des öfteren haben wir von weggeschwemmten Zelten gehört und wurden mehrmals gewarnt, nie in einem Wadi zu campieren. Bei einem Unwetter kann das normalerweise trockene Flussbett zu einem gefährlichen Strom anschwellen und verheerende Überflutungen verursachen. Dabei reicht es, wenn das Gewitter kilometerweit flussaufwärts niedergeht. Eine oftmals unterschätzte Bedrohung. Ein paar Kurven weiter sind wir aus dem Wadi raus und finden einen geschützten Schlafplatz. Schließlich verziehen sich die Wolken wieder und es wird eine ruhige Nacht. Aber "better safe than sorry".
Wir haben uns mit einem holländischen Pärchen zum gemeinsamen Radeln verabredet. Barbara und Bart sind auch schon einige Zeit unterwegs, das gemeinsame Radeln und Zelten bereitet uns viel Freude. Schon die erste Etappe führt uns durch eine wunderschöne, wilde Gegend mit beträchtlichen Steigungen und steilen Abfahrten. Am Lagerfeuer werden Pläne für den nächsten Tag geschmiedet. Sie wollen bis hinauf zum Aussichtsplateau des Jebel Shams fahren. Das stand nie auf unserer "To-do" Liste, aber irgendwie finden wir es sehr schade, nach einem so feinen Tag unsere Reisegemeinschaft schon wieder aufzulösen. Also entscheiden wir uns kurzerhand sie zu begleiten.
Der Jebel Shams ist mit dreitausend Metern der höchste Berg Omans. Unser Ziel liegt auf rund zweitausend Metern. Klingt gar nicht so schlimm, aber ich kann euch sagen, es ist mit Abstand der anspruchsvollste Abschnitt unserer bisherigen Reise. Als wir in der Früh aufbrechen, wollen uns einige Dorfbewohner auf Kaffee und Datteln einladen. Beim Besitzer eines kleinen Ladens nehmen wir an und schlürfen den typisch wässrigen omanischen Kaffee aus kleinen Tässchen. Das Highlight bei diesen Einladungen sind die Datteln. Die gibt es in den unterschiedlichsten Arten, manchmal mit Kümmel oder Sesam gewürzt. Und alle schmecken richtig gut und eignen sich perfekt als Energielieferanten für den bevorstehenden Anstieg.
Die Straße führt zuerst auf Asphalt dann auf Schotter- und Sandpisten 25 Kilometer lang mit Steigungen bis 19 Prozent über 1500 Höhenmeter hinauf. Und das mit all unserem Gepäck und Wasservorräten für zwei Tage. Was für eine Plagerei! Des öfteren ist schieben angesagt. Manchmal ist es so steil, dass wir sogar zu zweit ein Fahrrad schieben müssen. Das ist unglaublich anstrengend und geht extrem an die Reserven. Doch irgendwann am frühen Nachmittag stehen wir tatsächlich oben und werden mit einem atemberaubenden Blick auf den "Grand Canyon" belohnt, der sich vor uns tausend Meter tief auftut.
Was für eine Aussicht! Da haben wir uns aber wirklich ein Bier verdient. Ein Glück, dass wir vor ein paar Tagen ein Tiroler Pensionistenpaar getroffen haben, das mit Geländewagen samt Wohnkabine unterwegs ist. Nach einer kurzen Plauderei haben sie uns zwei Dosen Bier mit auf den Weg gegeben. Das Alkoholverbot im Oman ist zwar nicht ganz so streng wie im Iran, aber es ist dennoch nicht einfach und sehr teuer an Alkoholisches zu kommen.
Ein so massives Problem mit Alkoholismus wie im Iran scheint es hier nicht zu geben. Eigentlich wollten wir unser Bier bis zum Weihnachtsabend aufsparen, aber es gibt keinen besseren Zeitpunkt, als es nach dieser Tortur gemeinsam zu genießen. Wir überraschen Barbara und Bart und überreichen ihnen eine Dose. Zu viert sitzen wir auf einem kleinen Felsvorsprung, blicken in die Tiefen des Grand Canyon und stoßen auf den härtesten Tag der gesamten Tour an. Die Emotionen in solchen Momenten sind einzigartig und unbeschreiblich gut. An diesen Tag werden wir uns mit Sicherheit sehr lange erinnern. Abgerundet wird das Spektakel mit einem wunderbaren Lagerfeuer und einem leckeren Essen. Sobald das spärliche Holz, das wir gesammelt haben, verkohlt ist, spüren wir die kalte Bergluft und machen es uns im kuscheligen Schlafsack bequem.
Die Bremsen laufen heiß bei der steilen Abfahrt am nächsten Morgen. Es ist der 24. Dezember. In Al Hamra kaufen wir für unser Weihnachtsmenü ein. Zu viert und mit zwei Kochern ausgestattet, können wir etwas ganz Tolles zaubern und haben uns einige Leckereien überlegt. Der Einkauf ist erledigt und weiter geht es ein paar Serpentinen bergauf in das angeblich schönste Dorf Omans, Misfat al Abiyeen. Es erwartet uns ein kleines Hallstatt oder noch kleineres Venedig, auf jeden Fall gibt es wesentlich mehr TouristInnen als EinwohnerInnen. Trotz der vielen Hinweisschilder, sich respektvoll zu verhalten und zu kleiden, sehen wir genug IgnorantInnen in kurzen Hosen herumlaufen. Für uns total unverständlich. Wir spazieren durch das Dorf, haben aber schnell genug davon. Wir fühlen uns hier nicht wohl und fehl am Platz, wollen diese Verrücktheit nicht mitmachen.
Ein Stück weiter, die Schotterstraße aufwärts, finden wir einen guten Lagerplatz für den anstehenden Weihnachtsabend. Wir genießen den Fernblick über Ebenen und Berge und vereinzelt dazwischen funkelnde Dörfer. Ein glamouröses Kopfteil eines Bettes liegt ein paar Meter weiter auf einem Schutthaufen und dient uns am Lagerfeuer als Weihnachtsdeko. Am Speiseplan stehen: Zwiebelsuppe, Melanzani-Kichererbsen Curry und Crème Caramel zur Nachspeise. Zum Frühstück gibt es Pancakes mit Maronicreme. Luxus pur! Weihnachten mal ganz anders und genau nach unserem Geschmack. Nur der Weihrauchduft in den Straßen und Häusern und ein Weihnachtsmann in einem Supermarkt haben den Festtag angekündigt. Sehr angenehm und entspannt.
Auch am darauffolgenden Abend gibt es, wie fast immer, wenn wir Gesellschaft haben, Lagerfeuer. Doch an dem Abend bekommen wir noch mehr Gesellschaft. Ein Omani, der wohl gerade auf dem Heimweg ist, setzt sich zu uns ans Feuer. Er sagt kein Wort. Wir versuchen mit ihm zu kommunizieren, jedoch ohne Erfolg. Zwischendurch sammelt er Holz fürs Feuer. Ganz geheuer ist er uns nicht. Selbst als es an der Zeit ist schlafen zu gehen, folgt er uns bis vors Zelt, wirft ohne zu fragen einen Blick hinein und macht keine Anstalten aufzubrechen. Er steht einfach herum und sieht uns zu. Normalerweise lassen wir über Nacht alle Packtaschen am Fahrrad, aber heute nehmen wir sie mit ins Zelt. Der Mann kommt uns nicht gefährlich vor, aber wir können die Situation einfach nicht einschätzen. Wir haben uns schon schlafen gelegt und hören wie er immer noch draußen herumgeistert. Bis ihm Bart klar macht, dass er verschwinden soll.
Barbara und Bart werden später einen noch neugierigeren Besucher in Saudi Arabien bekommen, der mitten in der Nacht in ihr Zelt starrt. Irgendwann erzählt uns jemand, dass Araber ihre Lagerfeuer gerne exponiert und weit sichtbar machen, damit auch Gäste teilnehmen können. Fremde Länder, fremde Sitten. Ganz logisch, dass es da öfter zu Missverständnissen kommt. Erfreulicherweise ist am Morgen alles wie immer, unsere Fahrräder stehen noch am selben Platz und alle sind wohlauf. Obwohl, ganz wie immer ist es doch nicht. Die Sonne ist bereits aufgegangen, als wir frühstücken. Doch plötzlich verdunkelt sich der Himmel. Eine merkwürdige Stimmung macht sich breit, aber wir finden keine Erklärung dafür. Erst am nächsten Tag erfahren wir aus dem Internet, dass es sich um eine totale Sonnenfinsternis gehandelt hat. Schade, dass wir dieses Spektakel verpasst haben, weil uns ein Berg die Sicht genommen hat.
Wieder geht es aufwärts. Die heutige Strecke ist durchgehend asphaltiert und hat "nur" bis zu 17 Prozent Steigung. Durchaus anstrengend, aber ohne Schieben machbar. Bei den steilen Straßen im Oman haben wir uns trotzdem des öfteren gewünscht, die Straßenbauer würden zu uns nach Österreich auf Besuch kommen und sehen, wie man schön in Serpentinen den Berg hinauf baut. Wahrscheinlich ist es den vielen Allrad-Fahrzeugen geschuldet, dass die Straßen hier ohne viele Kurven einfach steil geradeaus auf den Berg führen. Auch gibt es weder Eis noch Schnee.
Auf halber Strecke bekomme ich plötzlich Hustenanfälle, die mich noch viele Tage begleiten werden. Auf der Passhöhe auf 2000 Metern angekommen, treffen wir eine Schweizerin, die ein paar Wochen durch den Oman radelt. Wir sind im richtigen Moment zur Stelle, als ihr Zelt von einer Windböe erfasst und beinahe weggeweht wird. Glück gehabt! Ein paar Felsstufen die Schlucht hinunter ist es etwas windgeschützter und gerade genug Platz für unser Zelt. Mit zusätzlichen Schnüren und Steinen befestigen wir alle Abspannpunkte so gut es geht. Vor uns der Abgrund, hinter uns der Fels. Aufgrund der widrigen Bedingungen wird es nur ein kurzes Beisammensitzen mit Tee. Dann schnell ins Zelt.
Die Highlights beginnen sich zu übertrumpfen. Die Abfahrt hinab durchs Wadi Bani Awf ist extrem steil. Bis zu 28 Prozent Gefälle auf durchgehend schlechter Schotterpiste mit sandigen Passagen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal abwärts schieben muss. Doch den Großteil können wir radeln, wenn auch im Schritttempo. Die grandiose Bergwelt um uns herum fasziniert uns so sehr, dass wir nicht nur zum Abkühlen unserer Bremsen Halt machen, sondern vor allem, um die schöne Landschaft zu genießen. Wir trauen unseren Augen nicht, als plötzlich ein wunderbar grünes Fußballfeld vor uns auftaucht. Was macht ein Kunstrasen mitten im Hadschar Gebirge? Der Autohersteller Audi hat hier vor Jahren einen Werbespot gedreht und dazu ein Fußballfeld in imposanter Kulisse aufgebaut. Nun ist es ein beliebtes Fotomotiv.
Wir brauchen einen ganzen Tag für 26 Kilometer Abfahrt. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 6 km/h bremsen wir uns ins Tal. Ich lerne wie man durch Wasser radelt und kann mich gar nicht satt sehen an der tollen Aussicht. Am Abend gönnen wir uns ein erfrischendes Bad in einem natürlichen Pool und ein letztes Lagerfeuer mit Barbara und Bart. Sie haben nicht so viel Zeit wie wir und müssen schnell weiter. Wie immer war es wunderbar, ein paar Tage gemeinsam unterwegs zu sein. Wir wollen uns nicht stressen und haben durch meinen Husten die letzten Nächte wenig geschlafen.
Auch in der kommenden Nacht ist an Schlaf nicht zu denken. Mein Husten wird immer schlimmer. Ein Blick auf die "Warmshowers" Webseite verrät uns, dass es einen Gastgeber ganz in der Nähe gibt. Ein Glück! Keine Stunde später haben wir eine Antwort und eine Einladung zu ihm in der Lenkertasche. In Al Awabi werden wir herzlich von Said empfangen. Wie alle Omanis hat er ein Haus mit separatem Gästezimmer. Perfekt für ein paar Tage Erholung. Es ist das erste Mal im Oman, dass wir in engeren Kontakt mit Einheimischen kommen und uns brennen schon allerlei Fragen auf den Lippen. Wir bekommen einen sehr interessanten Einblick in eine total fremde Kultur. Said ist ein junger Mann in meinem Alter, arbeitet als Sportmoderator im Fernsehen und besitzt nebenbei einen kleinen Burgerladen. Er hat einen Sohn, eine Tochter und natürlich einen Jeep.
Seine Frau bleibt für Ferdi während der gesamten drei Tage unsichtbar. Ich darf hinüber ins Haus zum Wasser holen. Wenn das Essen fertig ist, klopft sie an die Türe und überreicht Said die Teller. Er isst mit uns und führt uns dabei in die omanischen Tischsitten ein. Das Gericht wird auf einem großen Teller serviert. Fast immer besteht es aus einem riesigen Haufen Reis, auf dem ein paar Stücke Hühnchen thronen. Wir sitzen am Teppich um eine Plastiktischdecke herum. Traditionell wird mit der rechten Hand gegessen. Man nimmt eine Handvoll Reis, ein Stück Hühnchen dazu, knetet das alles zu einem Bällchen und schiebt es sich in den Mund. Selbst bei den Profis sieht das nicht besonders aus, bei uns noch dazu tollpatschig und so bleibt es bei ein paar wenigen Versuchen. Lieber verwenden wir dann doch Löffel und Gabel. Im Gegensatz zum weit verbreiteten indischen Essen, ist das omanische leider selten vegetarisch. Ich muss mich des Öfteren mit Reis begnügen. Auffällig ist, wie wenig Geschirr verwendet wird. Eine große Platte für alle, das war's. Nach dem Essen wird eine Schüssel zum Händewaschen gereicht.
Said erzählt uns, dass junge Paare - ganz im Gegensatz zu früher - meist nur mehr zwei Kinder haben wollen. Trotzdem werden große Häuser gebaut. Khalat, ein Freund von Said, führt uns durch sein neu gebautes Haus, das schon fast bezugsfertig ist. Neben zwei getrennten Gästeräumen für Frauen und Männer zählen wir zehn Klimaanlagen und acht Badezimmer auf zwei Stockwerken. Seine Mutter und seine zwei jüngsten Geschwister werden ebenfalls hier wohnen. Neben den Gästen scheint auch jedes Familienmitglied ein eigenes Badezimmer zu bekommen. Früher wurde durchgehend ebenerdig gebaut, heutzutage ist zweistöckig normal. Ohne getrennte Gästeräume geht es nicht. Auf meine Frage, ob es auch innerhalb der Familie üblich ist, dass sich Frauen und Männer getrennt voneinander aufhalten, meinen die jungen Männer in der Runde, dass das alle so wollen. Denn die Männer interessieren sich einfach nicht für Frauenthemen und umgekehrt. Das sei ganz natürlich. Die Meinung der Frauen kann ich leider nicht erfragen, weil sie immer im Verborgenen bleiben. Der Stil der Häuser ist komplett anders als wir es gewohnt sind. Viele kahle Wände und der Boden weiß gefliest. Holz wird kaum verwendet, ist auch nicht heimisch und somit ziemlich teuer. Außer den Sofas gibt es kaum Möbel. Viel wichtiger sind die Teppiche, die in jedem Zimmer liegen. Die Sandalen - Omanis tragen kaum Schuhe - müssen draußen bleiben.
Wir löchern Said weiter mit unseren Fragen: Was arbeiten die Einheimischen? In all den Lokalen und Geschäften, in denen wir bisher waren, haben wir fast ausschließlich indische und pakistanische Gastarbeiter gesehen. Die meisten Freunde von Said arbeiten beim Militär und in der Erdölindustrie, andere bei der Polizei und in unterschiedlichen Ministerien, von denen es im Oman unzählige gibt. Sie arbeiten wenig, verdienen gut und können dementsprechend gut leben. Noch dazu bekommen alle EinwohnerInnen mit 22 Jahren ein Grundstück vom Staat geschenkt. Es scheint ihnen also an nichts zu fehlen, eine gewisse Arbeitsscheu scheint normal zu sein. Zu Silvester spielen wir mit Said und seinen Freunden ein Brettspiel im Park, essen Burger und "rutschen" ganz unspektakulär ins neue Jahr. Ohne Feuerwerk, dafür aber mit hupenden Autos. Dies jedoch nicht, um das neue Jahr zu begrüßen, sondern um den allseits beliebten Sultan, der soeben von einem Krankenhausaufenthalt aus dem Ausland zurückgekehrt ist, willkommen zu heißen.
Mein Husten ist immer noch nicht viel besser. Ein Besuch bei einem Arzt hat auch keine Klarheit gebracht. Ich versuche es mit Lutschtabletten und Hustensaft, bin mir aber sicher, dass es sich nicht um eine Erkältung handelt. Die Pausentage verbringe ich auf der Gästematratze, während Ferdi mit Said einen Ausflug ins Wadi Bani Kharus macht. Die Dörfer im Tal sind meist von je einem einzigen Familienclan bewohnt. Die Wasserversorgung der Häuser und Felder funktioniert heute wie vor 1500 Jahren durch das traditionelle Afladsch-System, das einst von den Persern übernommen wurde: In kilometerlangen Kanälen die entweder direkt von Quellen, aus Wadis oder Brunnen gespeist werden, wird das Wasser durch Häuser und über Felder geleitet. Dabei gibt es eine genaue Regelung, wer wann und wie lange Wasser bekommt. Verantwortlich für die Wasserverteilung ist der sogenannte Wakir. Er öffnet und schließt die Kanäle. Zur einwandfreien Funktion muss der Faladsch, der teils offene, teils unterirdisch verlaufende Kanal, regelmäßig gereinigt werden. Diese Aufgabe wird von den Kindern im Ort übernommen. Sie können in die engen Kanäle hineinklettern und sich ein kleines Taschengeld verdienen.
Nach drei sehr aufschlussreichen Tagen bei Said ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Als Geschenk bekommen wir echten omanischen Weihrauch mit auf den Weg. Gemütlich radeln wir zurück ans Meer nach Seeb. Dort zelten wir zwei Nächte am Strand. Im Oman ist man stolz auf die Tradition der Beduinen. Zelten und Picknicks in der Natur sind äußerst beliebt, beinahe überall erlaubt und man kann sich sehr sicher dabei fühlen. Selbst mitten im Ort am Strand lassen wir die Taschen über Nacht am Rad. Es ist völlig normal, dass wir hier campen, niemandem fällt es besonders auf, niemand fühlt sich gestört. Unsere "Nachbarn" bringen uns frisch gegrillte Burger. Ferdi meint, sie schmecken extrem gut. Er darf beide essen. Dann gibt es eine Parade an der Strandpromenade. Gefeiert wird der zurückgekehrte Sultan, der im Fernsehen verkündet hat, dass er gesund ist.
Mir geht es wieder schlechter. Die Nächte am Strand sind anstrengend, ich huste ständig und kann nicht schlafen. Die Putzfrau vorm Strand-WC will mich nicht aufs Frauenklo lassen, weil sie mich für einen Mann hält. Das passiert mir hier leider ständig. Frauen mit sichtbar kurzen Haaren scheinen im Oman so außergewöhnlich zu sein, dass ich des Öfteren für Ferdis Bruder oder gar seinen Sohn gehalten werde. Am zweiten Tag ist Arbeit am Blog angesagt. Man könnte meinen, dass wir jede Menge Zeit dafür haben, tatsächlich haben wir unterwegs kaum eine freie Minute. Auch wenn wir ein paar Tage Pause machen, gibt es so viele andere Dinge zu erledigen und entdecken. Zum Schreiben bleibt meist wenig Zeit. Morgen wollen wir zur iranischen Botschaft in Maskat, um unser neues Iran-Visum für die Weiterreise Richtung Zentralasien zu beantragen. Wir haben gehört, dass man in der hiesigen Botschaft auch ohne Reiseagentur ein Visum bekommt. Doch nun lesen wir im Internet, dass ein wichtiger Befehlshaber der iranischen Revolutionsgarde durch eine US-amerikanische Drohne im Irak getötet wurde. Die Lage ist äußerst angespannt.
Was bedeutet das für uns? Können wir in gut einem Monat sicher durch den Iran reisen? Am nächsten Morgen fahren wir trotz allem zur iranischen Botschaft und versuchen unser Glück. Leider ist es nicht so einfach wie gedacht und wir brauchen doch einen Buchungscode einer Reiseagentur. Ziemlich erschöpft radeln wir durch die Hauptstadt Omans und suchen den nächstbesten Park, um uns auszuruhen. Mir geht es gar nicht gut, Husten und Schlafmangel bringen mich ans Ende meiner Kräfte. Wir überlegen wo wir schlafen können. Die Hotels sind viel zu teuer, über "Couchsurfing" und "Warmshowers" haben wir leider niemanden gefunden und in den Parks ist Übernachten verboten. Bleibt wieder mal nur der wenig erholsame Strand. Doch dann lernen wir Erika, Saud und die kleine Nina kennen und alles scheint gut zu werden...
Marlen aus Lienz und Ferdi aus Salzburg starteten im Juni 2019 zu einer Weltreise auf dem Fahrrad. In neun Monaten radelten die beiden von Lienz mehr als 11.000 Kilometer durch 14 Länder bis in den Iran. Dann stoppte Covid 19 die beiden Globetrotter. Was sie bis zu ihrer Rückkehr in die Quarantäne erlebten, erzählt uns Marlen Schieder in einer spannenden, mehrteiligen Reisereportage. Viel Spaß!
Ein Posting
... interessant mit großartigen bildern ... jetzt bin ich sogar fast ein wenig besorgt ! seit ich über deinen Husten gelesen habe ... aber wer so engagierte Reiseberichte schreiben kann, dem geht es sicher wieder gut ... ich wünsche euch viel Glück, Gesundheit und freundliche Begegnungen ... und bei Dolomitenstadt bedanke ich mich für die Veröffentlichung, sonst wäre ich euch nie begegnet !
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