Und wir dachten schon, das läge weit, weit hinter uns: Versorgungsnotstand, Lebensmittelknappheit, Wirtschaftskrise – unsere Eltern, die Eltern jener, als deren Prädikat erstmals die Zugehörigkeit zur Gruppe der Gefährdeten hervorsticht, haben uns davon erzählt. Das stete Wohlstandswachstum, mit dem wir großgeworden (oder kleingeblieben) sind, ließ aber den Bezugspunkt der Rede davon, dass es „damals gar nichts gab“, langsam aber sicher ins Legendarische abdriften. Um meinen potenziellen Enkelkindern einst präziser zu berichten, kam mir die Idee, ein Corona-Tagebuch zu schreiben. Vielleicht ist Lesestoff, wie wir ihn kannten, dann wieder angesagt.
Es begann am Freitag, dem 13., als Minister Nehammer im Autoradio dringend von Hamsterkäufen abriet. Da aber mein Bedürfnis nach einem Haustier schon immer marginal war, ließ mich seine Bitte kalt. Erst recht, da er versicherte, es werde keine Ausgangssperren geben. Die galten bis zum Montag nur für Hamster.
Bis vor Kurzem galt die Ausgangssperre nur für ihn. Jetzt sitzen wir alle im Käfig. Foto: Ricky Kharawala/Unsplash
Der Sinn der Botschaft aus dem Ministerium erschloss sich mir am Samstag: Ich stand mit meinem Sohn im Sparmarkt vor dem Regal mit Klopapier und fand kein einzig Blättelein. Um die Küchenrollen stand’s nicht besser.
Psychologen, Soziologen, Meinungsforscher führen das auf einen Herdentrieb zurück, der selbst den deklarierten Einzelgänger überkommt, wenn Führer wie der durch eine Gasmaske anonymisierte Innsbrucker auf dem unsichtbaren Motorroller etwas vor- und die Mehrzahl seines Publikums es nachmacht. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Deswegen traut er auch sozialen Medien. Die Crux moderner Wissenschaft ist aber, dass sie Kausalketten nur nach Ursachen, nicht aber nach Zwecken abzufragen in der Lage ist. Welchen Zweck sollte auch ein Jahresvorrat an Klopapier und Küchenrollen in so kurzer Zeit erfüllen?
Neben all den Videos von kampflustigen Walküren mit hochgerüsteten Einkaufswägen, die jeden User mindestens im Stundentakt erreichten, stieß ich auf einen kreativen Schweizer, der in 2 Minuten und 24 Sekunden ein Blatt von einer Telarolle zu einer Handorgel faltete, um daran mittels Bostitch zwei Gummis und diese schließlich hinter seinen Ohren zu befestigen!
https://youtu.be/wSfzQo-6NR4
Verstanden? Keine Sorge, Bastelanleitungen für die stark nachgefragten Mundschutzmasken kursieren auch auf Deutsch. Von der Stadt Essen wurden solche auch an die Bevölkerung verteilt. Das Robert-Koch-Institut versieht den Zweck der Maßnahme allerdings mit einem großen Fragezeichen.
Rudi Ingruber ist Kunsthistoriker, Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt und freier Autor – auch für dolomitenstadt.at. Sein Corona-Tagebuch erscheint während der Zeit der „Corona-Krise“ in unregelmäßigen Abständen.
Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.
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2 Postings
Ich rate eher von Schlangenkäufen ab! So eine Schlange an der Kassa kann in diesen Zeiten recht gefährlich sein!!
sorry, daran hab ich nicht gedacht. danke für den Hinweis!
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