Vor kurzem wurde eine Grünlandfläche am sogenannten Wasserrain in Lienz via Ansaatmischung zu einem „Bienen-Lebensraum“ entwickelt. Zu diesem Projekt – das in den Medien vorgestellt wurde – erlaubt sich die Naturkundliche Arbeitsgemeinschaft Osttirol (NAGO) nachfolgend einige fachliche Anmerkungen, um einen Beitrag zur Aufklärung und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung zu leisten. Die Stellungnahme der NAGO ist bereits jetzt erforderlich, da offenbar weitere Ansaatflächen in Lienz für Bienen geplant sind.
Zunächst zur aktuellen Pflanzengarnitur der „Bienenwiese“ am Wasserrain. Sie stellt sich nach Abschieben des Oberbodens und Aufbringung einer Ansaatmischung mit rund 70 Arten derzeit durchaus artenreich dar, wie eine botanische Aufnahme durch die NAGO am 22. September ergab. Analysiert man aber die Artengarnitur im Detail, so zeigt sich, dass nur rund 15 Pflanzenarten aus der Ansaatmischung selbst stammen dürften.
Neun Pflanzenarten dominieren den Bestand, davon sind fünf Arten in Osttirol heimisch (Färber-Kamille, Schwarzer Nachtschatten, Wiesen-Klee, Weißer Gänsefuß, Steinklee) und drei Arten Neophyten (Echter Buchweizen, Echte Ringelblume, Grünähriger Amaranth). Eine weitere, nämlich die Kornblume, ist zwar ein bekanntes alteinheimisches Getreideunkraut, aber die hier verwendeten, in der Blütenfarbe abweichenden Zucht-Formen sind als gebietsfremd zu beurteilen.
Die genannten Neophyten und die Kornblume stammen dabei unzweifelhaft aus der Ansaatmischung. Darüber hinaus sind weitere 14 Arten als Neophyten einzustufen, sodass der Anteil gebietsfremder Arten 25 Prozent beträgt. Somit wurden durch die Projektumsetzung im beträchtlichen Ausmaß Neophyten aktiv wie passiv gefördert, während man gefährdete heimische Arten im Pflanzenbestand bis dato vermisst.
Relevant, weil in Österreich oder in anderen Ländern Mitteleuropas als „invasiv“ (problematisch) eingestuft, sind zudem Ausbreitungstendenzen der gebietsfremden Arten Robinie und Essigbaum, die vom Rand her ausgehend von gepflanzten Altbäumen in die Ansaatfläche eindringen. Auch das Aufkommen des aus dem Himalaya stammenden Drüsigen Springkrautes – einer inzwischen per EU-Richtlinie als invasiv eingestuften Art, für die auch Österreich Maßnahmen setzen muss – ist ausgehend vom Ufergehölz der Isel durchaus wahrscheinlich. Die Qualität des derzeitigen Pflanzenbestandes ist aus botanischer Sicht damit insgesamt nicht nur als gering, sondern sogar als bedenklich einzustufen.
Zu betonen ist auch, dass in Abhängigkeit von der künftigen Pflege der Fläche die Pflanzenartenvielfalt als solche zurückgehen wird. Denn im jetzigen Bestand sind immerhin 34 Arten enthalten, die ein- bis zweijährig sind: Gerade die derzeit aspektprägenden, im Hochsommer blühenden und aus der Saatmischung stammenden Arten Kornblume, Ringelblume und Buchweizen werden in den kommenden Jahren mit fortschreitender Sukzession hier stark zurückgehen oder überhaupt ausfallen, wenn nicht entsprechende Maßnahmen wie erneute Ansaat, Öffnung der Grasnarbe oder dergleichen gesetzt werden. Solche Maßnahmen können an diesem Standort aber wiederum Neophyten fördern, sodass ökologisch eine Art Zwickmühle gegeben ist, aus der man nur schwer herauskommt.
Zusätzlich zu diesen Punkten ist zu dem in den Medienbeiträgen verwendeten Begriff „Blumenwiese“ klarzustellen, dass der oben beschriebene Pflanzenbestand nichts mit unseren echten, d.h. traditionell bewirtschafteten Blumenwiesen im herkömmlichen Sinn zu tun hat. Eine klare begriffliche Trennung zwischen solchen, durch kurzlebige und gebietsfremde Arten geprägten Ansaatflächen und den durch meist ausdauernde heimische Arten charakterisierten Blumenwiesen ist wichtig, um Missverständnissen vorzubeugen: den letztgenannten Wiesen, die in den letzten Jahrzehnten durch Strukturänderungen und Intensivierungen in der Landwirtschaft stark dezimiert wurden, ist ökologisch wie naturschutzfachlich klar der Vorzug zu geben!
Gerade unter dem Aspekt des Biodiversitätsschwundes ist es von hoher Relevanz, die letzten, noch vorhandenen artenreichen Wiesen mit ihren heimischen Arten nicht nur zu erhalten, sondern ihnen auch wieder mehr Raum zu geben. Insbesondere die in Osttirol noch dort und da vorhandenen bunt blühenden Magerwiesen mit Wiesen-Salbei, Margerite, Pechnelke & Co. beherbergen zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten und sind auch für Bienen bzw. generell für Bestäuber wertvolle Lebensräume. Im Falle der Planung weiterer Blühflächen in Lienz bzw. Osttirol ist daher die Anlage solcher Wiesen zu präferieren, zumal deren Herstellung durch Saatgutübertragung aus regionalen Spenderflächen (z.B. Heudrusch, Heublumen- oder Heumulchsaat) möglich ist. Nur so bleiben die floristische Identität der Region und deren Vielfalt erhalten und Florenverfälschungen ausgeschlossen!
Der Zweck der Blühfläche am Wasserrain liegt laut der dort aufgestellten Infotafel in der Förderung der Bienen sowie anderer blütenbestäubender Insekten während des Sommers. Ob und in welcher Weise andere Bestäuber wie Schmetterlinge oder Wildbienen von solchen Ansaatflächen profitieren können, ist für NAGO aber fraglich.
Fazit: Das an sich sicherlich gut gemeinte Vorhaben der Anlage von „Bienenwies`n“ mit dieser Ansaatmischung ist für die NAGO keine nachhaltige, gesamtheitliche Ökomaßnahme. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Biodiversitätsschwundes, der auch vor Osttirol nicht Halt macht, sind neben dem Erhalt extensiver Wiesentypen Maßnahmen wie die Reduktion der Nutzungsintensität im Grünland oder die Anlage artenreicher Blumenwiesen mit Saatgut aus regionalen, echten Blumenwiesen wichtiger. Die NAGO steht mit ihrer Fachexpertise diesbezüglich gerne beratend zur Verfügung.
Mag. Dr. Oliver Stöhr ist Sprecher der NAGO, Ökologe und langjähriger Kenner der Fauna und Flora Osttirols; zahlreiche Publikationen in nationalen und internationalen Fachzeitschriften zur Tier- und Pflanzenwelt sowie zu Naturschutzthemen.
„Bienenwiesen“ in Lienz – ökologisch das Gelbe vom Ei?
Die Naturkundliche Arbeitsgemeinschaft Osttirol hat begründete Zweifel.
10 Postings
Nicht alles, was blüht ist ökologisch sinnvoll!
Da bin ich froh, dass die NAGO eindeutig Stellung bezogen hat! Danke! Es hätte vielleicht auch geholfen die dolomitenstadt.at zu lesen:
https://www.dolomitenstadt.at/2019/05/22/bluetenpracht-am-strassenrand-durch-schotter-statt-humus/
Die Asslinger haben sich da anscheinend besser beraten lassen, als die Imker & Co am Wasserrain. Ich habe mir das in diesem Artikel genannte Rewisa Netzwerk angesehen und bereits Saatgut bestellt: http://www.rewisa.at/Fachbetriebe.aspx
schon bei spaziergängen als kind stand neben der wiese eine robinie, die bis dato dort steht - ist nebenbei an einem extra taferl zu lesen .... dass da auch samen aufgehen ist doch normal. die natur geht ihren weg, auch wenn zb eine robinie ein neophyt ist - mittlerweile ein schöner stattlicher baum, der sich seinen platz wohl schon vor zig jahren gsucht hat - lange bevor auch nur irgendjemand an neophyten oder invasive pflanzengattungen gedacht hat
"Ohne Kenntnis der Biologie der einzelnen gebietsfremden Arten, ohne eine jeweils für den Einzelfall durchzuführende Problemanalyse und ohne zielgerichtete Maßnahmen- und Ressourcenplanung ist eine Neophytenbekämpfung nicht selten ein aussichtsloses, letztlich frustrierendes Unterfangen. Hinzu kommt, dass nicht alle Neophyten „böse“ sind, sondern durchaus auch positive Aspekte besitzen können, sei es als Bereicherung der Artenvielfalt, als Bienenweiden oder als Zierpfanzen" so aus dem interessanten beitrag von oliver stöhr in der dolomitenstadt.at vom april 2018.
mich würde vor allem interessieren, ob für die besamung sämtlicher örtlichkeiten in osttirol (böschungen, waldlichtungen, referenzflächen gemeinden ...) überhaupt standort- und artgerechte samenzusamensetzungen für bienenweiden verfügbar, bzw. ob solche mischungen in diesr vielfalt überhaupt machbar sind, denn wie aus olivers beitrag "Notizen Flora Osttirol -2007" sind blumenwiesen osttirols ergiebig, aber leider nur wenig erforscht. lokal auf den lienzer talboden beschränkt dürften zwei bis drei vegetationsphasen reichen, um den annähernd passenden ansaatsamen zu gewinnen.
"nicht alle neophyten sind böse", warum also die überaus negative haltung der NAGOS zu den bemühungen für bienenwiesenanlagen, die ja ohnehin ständig durch flugsamen und dem artenwachstumskampf in der entwicklung beeinflusst werden. gut finde ich das beratungsangebot der experten.
Ich frage mich, ob die Beurteilungen "gut" und "böse" auf Pflanzen im allgemeinen bzw. Neophyten angewendet werden können.
Die Bezeichnung "invasiv" (= eindringend) halte ich für wichtig. Das Eindringen von Arten, die heimische verdrängen kann langfristig über die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften das ganze regional übliche Artengefüge stark verändern. Solche Entwicklungen sollten nicht unbedingt durch gut gemeinte, aber nicht gut geplante Maßnahmen begünstigt werden.
Saatgut gibt es hier. Es wurde u.a. in Osttirol gesammelt: http://www.rewisa.at/Fachbetriebe.aspx
Es wäre schon eine einfache Maßnahme, wenn man die Wegränder einfach einmal in Ruhe ließe, statt sie "überall" (auch dort wo es für die Sicht der Staße nicht notwendig ist) mit den Motorsensen zu dezimieren. Das wären natürliche Blühstreifen und Bienenweiden. Weniger Kosten und ein Vorteil für die Artenvielfalt, eine win-win Situation, die sofort jede Gemeinde in Angriff nehmen könnte.
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Die Samen sind wohl von den daneben stehenden Bäumen.
Ja, früher waren die Wiesen bunt, jetzt, dank zu intensiver Bewirtschaftung, sind sie nur mehr grün. Die Gier des Menschen zeigt seine Auswirkung.
Die Natur beherrscht den Menschen. Der Mensch glaubt aber immer noch die Natur zu beherrschen.
Da bin ich eher der Meinung von Gertrude:
Die Gier beherrscht den Menschen, wenn er sich einredet, er könne die Natur beherrschen ...
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