Kunst im Taxispalais: Was Papier noch alles kann
36. Österreichischer Grafikwettbewerb mit zwei Osttiroler Preisträgern.
1,50 mal 1,50 sollte die Arbeit höchstens haben. Kein Glas, kein Stein und bitte keine reinen Fotos. Das Medium ist Papier. Es gab nur einige wenige solcher Regeln, die Künstler in diesem Jahr befolgen mussten, um am 36. Österreichischen Grafikwettbewerb teilzunehmen. Österreichs ältestes künstlerisches Kräftemessen hat der Tiroler Zeichner Paul Flora schon 1952 ins Leben gerufen – doch die Ausdrucksmittel des Grafischen sind aktuell wie eh und je.
Das zu zeigen, gelang der Kuratorin Nina Tabassomi, Leiterin des Taxispalais auch in diesem Jahr. In den Innsbrucker Ausstellungsräumen werden seit 1999 die jeweils ausgezeichneten Arbeiten der österreichischen Künstler präsentiert. Doch Tabassomi entschied sich erstmals und einmalig, nicht nur die Gewinner des Wettbewerbs zu zeigen – sondern fast alle* eingereichten Arbeiten. 410 der insgesamt 413 Einreichungen hängen noch bis 30. Juni 2019 in den Räumen des Taxispalais. Ein ausstellungstechnischer Kraftakt sei das für das gesamte Team gewesen, sagte Tabassomi bei der Preisverleihung am 24. Mai. Und erforderte eine ungewohnte Zurückhaltung beim sonst üblichen Sortieren, Gruppieren, Einordnen. „Ich musste dafür alles ignorieren, was ich als Kuratorin gelernt habe“, scherzte sie.
Gehängt wurde nach Anfangsbuchstaben
Um ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden und tatsächlich alle Künstlerinnen und Künstler gleichwertig zu präsentieren, wurden deren Werke streng nach der alphabetischen Position der Namen angeordnet, und in festgelegten Abständen gehängt. Die Gewinner der Länderpreise – Alexandra Kontriner und Benjamin Zanon sind übrigens auch in der Dolomitenstadt-Galerie vertreten – waren zusätzlich durch goldene Pfeile am Boden markiert.
Ein Konzept, das die Besucher in die Rolle von Forschern zwang: Immer mit dem Begleitheft in der Hand, suchten die Neugierigen und Angehörigen der zahlreichen ausgestellten KünstlerInnen die Wände ab und verglichen die verschiedenen Arbeiten mit dem rudimentären Raumplan – nur so waren Werktitel herauszufinden. Mit ihrem Experiment erreichte Tabassomi gleich zwei Dinge: Die Kommunikation zwischen den Besuchern war vermutlich größer als unter perfekt beschilderten Umständen („Hast du den XY scho g’funden?“ – „Na, aber woast du, wo die Z hängt?“). Und die ausgezeichneten Werke fügten sich so nahtlos in das wilde Ensemble aus verschiedenen stilistischen und konzeptuellen Zugängen ein, dass man der Kuratorin schlichtweg Recht geben muss: Bei 413 Arbeiten, zehn Länderpreisen und zwei Ankäufen, ist es natürlich unmöglich, alle preiswürdigen Arbeiten auszuzeichnen.
Sicher sei nur, dass ihre Jury-Kolleginnen Stephanie Damianitsch von der Akademie der Bildenden Künste in Wien und die freie Kuratorin Georgia Holz in den prämierten Arbeiten schon jeweils große handwerkliche und inhaltliche Qualität erkannt hätten: Hauptpreisträgerin Kirsten Borchert überzeugte mit ihrer Interpretation des Wortes EQUAL (Englisch für: gleich). In acht Farben druckte sie die einzelnen Buchstaben, schnitt sie aus und arrangierte auch die Negative der Formen jeweils auf gleich großen Flächen neu, sodass sich kein einziges Mal eine Form- oder Farbwiederholung ergab. Was ist gleich und wer bestimmt das eigentlich? – diese Frage stelle sich laut Tabassomi bei dieser Arbeit.
Kann Hass, Hass, Hass irgendwann seine Wirkung verlieren?
Auch der gebürtige Osttiroler Benjamin Zanon arbeitete sich an einem starken Wort ab und setzte ganz im Gegensatz zu Borchert dabei gerade auf die Wiederholung: Sein pulsierendes und doch liebliches Gewächs aus den spiegelverkehrt tuschierten Worten Hass/Hate/Odio nannte er: „Im Auge des Shitstorms“. Er wollte so herausfinden, ob dessen schlichte Aneinanderreihung ein Wort nach einer Weile seiner Bedeutung berauben kann. In Österreich, wo zuletzt auch das bisher Unsagbare so oft gesagt wurde, bis dessen unfreiwillige Empfänger fast gänzlich abgestumpft waren, ist das eine interessante Beobachtung.
Auch Anja Krautgassers detailreiche Studien des erfolgreichsten österreichischen Exportprodukts, der Handfeuerwaffe Glock, sind durch ihre Aneinanderreihung unheimlich treffend. „Zack, Zack, Zack“ macht es da im Kopf.
Besucher werden ihre eigenen Kuratoren
Tabassomi lud das Publikum explizit ein, solche Assoziationen fließen zu lassen und dabei gleichzeitig das Konzept des Kuratierens an sich in Frage zu stellen. Warum oder in welcher Gewichtung wurde hier Kunst ausgestellt, betextet und vermarktet? Sehe ich das auch so oder anders? Das ist beim normalen Ausstellungsbesuch selten als Frage so präsent.
Gleichzeitig erzeugt die inhaltlich unsortierte Hängung auch automatisch das Bedürfnis, selbst zum Kurator im Kopf zu werden: Querverbindungen herzustellen, Vergleiche zu ziehen und zu bewerten. Ist das Kunst, warum ist es vielleicht keine Kunst, was macht das mit mir? Viel mehr kann eine Ausstellung nicht wollen.
So gut das Experiment gelungen ist, in dieser Form wiederholen will Tabassomi es nicht. Denn eigentlich ist sie schon eine, die streng nach Qualität und nicht aus falschem Protektionismus wählt, sagte sie einmal im Interview mit dem Magazin Tirolerin: „Im Taxispalais können sich alle regionalen Künstler darauf verlassen, dass ich sie zeige, weil ich ihre künstlerischen Strategien für bestechend und relevant halte, nicht weil sie an einem bestimmten Ort geboren wurden oder leben.“
Ein glücklicher Zufall, mehr nicht sei es darum, dass Alexandra Kontriners Abbildung eines toten Steinadler-Schädels ausgerechnet jetzt, bei diesem Wettbewerb in Tirol gezeigt werde. Die Preisträgerin des Landes Niederösterreich reiht sich mit ihrer hauchzarten Zeichnung in viele sehr gute, aber nicht prämierte Arbeiten ein, die subtil und technisch gekonnt einen Kommentar zur Welt, unseren Beziehungen und unseren menschgemachten Symbolen abgeben. Das alles und noch mehr kann Papier.
Keine Postings
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren